Mächtiges Aussehen, feiner KlangHinter den Kulissen der Euskirchener Kirchenglocken
Euskirchen – 142 Stufen führen in den Glockenturm der Herz-Jesu-Kirche – 92 schmale aus Stein, 48 breitere aus Edelstahl. Der Weg hinauf über die Dächer von Euskirchen ist kräftezehrend, wenn man ihn nicht tagtäglich geht. Und so muss auch Küsterin Johanna Hilger eine kurze Pause einlegen, bevor sie weitergeht. „Da die sechs Glocken automatisch geläutet werden, muss ich nur selten in den Glockenturm“, sagt die Wißkirchenerin.
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Vor Ostern steht eine Routinekontrolle an – es ist alles in Ordnung, die Glocken scheinen bereit für den Flug nach Rom. Der steht der Legende nach am Gründonnerstag an. In der Osternacht kehren die Glocken wieder heil zurück, um mit voller Kraft zu läuten. „Zu besonderen Anlässen läuten alle sechs Glocken. Das ist statisch überhaupt kein Problem“, versichert Hilger, die seit zwei Jahren Küsterin in der Herz-Jesu-Kirche und der St.-Martin-Kirche ist.
3300 Kilogramm schwere Glocke als Prunkstück
Die gut geölten Ketten, die von einem Motor angetrieben werden, bringen insgesamt 8,8 Tonnen Glockengewicht in Bewegung. „Das absolute Prunkstück ist die 3300 Kilo schwere Glocke, die den Namen der Kirche trägt“, berichtet Kurt Lingscheidt, stellvertretender Vorsitzender des Kirchenvorstands. Sie sei für die Euskirchener der kleine Bruder vom „Dicken Pitter“ im Kölner Dom, der 24 000 Kilo auf die Waage bringt.
Die Glocken von Herz Jesu seien ein endloses Kapitel. Bereits 1908 – noch vor der Einweihung der Kirche – wurde ein vierstimmiges Geläut angeschafft, sagt Lingscheidt. „1917 mussten drei Glocken für Munitionsherstellung abgegeben werden, nur eine kam zurück“, berichtet er.
Zwei Glocken seien nach dem Krieg hinzugekauft worden. Während des Zweiten Weltkriegs mussten die Euskirchener erneut Glocken abgegeben – 1942 wurden alle vier requiriert. „Nach dem Krieg wurde ein provisorisches Geläut aus drei Glocken verschiedener Herkunft eingebaut“, erinnert sich Lingscheidt.
Doch damit sei noch lange nicht Schluss mit dem Glocken-wechsel-dich-Spiel gewesen. 1960 sei die 1400 Kilo schwere Glocke „Maria, Königin des Friedens“ angeschafft worden, bevor 2003 dann noch fünf neue Glocken gegossen und in die Herz-Jesu-Kirche eingebaut wurden. „Das Besondere ist, dass alle sechs Glocken musikalisch aufeinander abgestimmt sind. Sie passen sogar zum Klang der Glocken in der evangelischen Kirche“, sagt Küsterin Hilger. In der Herz-Jesu-Kirche läuten die Glocken in den Tönen „B“, „Des“, „Es“, „F“, „As“ und „B“.
Glocken werden programmiert
In der evangelischen Kirche läuten drei Glocken – genau wie bei den katholischen Kirchen in Euskirchen automatisch oder sogar programmiert. „Eine Glocke, die sogenannte Rufglocke, erklingt 30 Minuten vor Beginn des Gottesdienstes“, erklärt Küster Michael Bork. Das sei Tradition aus einer Zeit, in der kaum jemand eine Uhr hatte. „Die Menschen wussten dann, dass sie sich auf den Weg zur Messe machen müssen“, so Bork. Während der Messe werde eine Glocke beim Vaterunser angestimmt.
Während die Glocken in der Herz-Jesu-Kirche recht neu sind, sind einige der acht Glocken von St. Martin wesentlich älter. „Die Herrenglocke ist das älteste Denkmal der beginnenden Blütezeit rheinischer Glockengusskunst, da sie zugleich Bildschmuck, Gussjahr und Gießereibezeichnung trägt“, erläutert Lingscheidt.
Der Bronzeguss mit dem Gussjahr stamme aus dem Jahr 1335, misst 107 mal 109 Zentimeter und wiegt 850 Kilo. Zudem verfüge das Geläut über die Ave-Glocke aus dem Jahr 1409. Die Glocken Katharina, Genoveva und Große Anna wurden laut Lingscheidt 1520 von Meister Jan van Trier gegossen. Von 1513 stamme die Kleine Anna des Meisters Jan van Alfter. Die Johannesglocke sei ein Replikatguss von 2005 der ehemaligen Johannesglocke, genannt „Brömsch“, und ersetze die Leihglocke von 1700, die dem Martinus geweiht war. Ebenfalls ein Neuguss von 2005 ist die Martinusglocke. „Sie ersetzt die Leihglocke von 1663, die dem Donatus geweiht war“, berichtet Lingscheidt.
Während der Turm der Herz-Jesu-Kirche bis in die Spitze gerade aufragt, ist der Turm von St. Martin schief. Laut Lingscheidt neigt er sich nach Osten um 1,7 Grad – etwa 1,20 Meter – zur Horizontalen.
Glockenturm mehrfach durch Blitzeinschläge zerstört
Der hohe Turm sei mehrfach durch Blitzeinschläge zerstört worden – 1606, 1711, 1775 und 1781. Auch schwere Stürme setzten ihm stark zu, sodass 1880 das gesamte Holzwerk des Turmes ersetzt werden musste. Zwischen 1965 und 1971 fanden laut Lingscheidt umfassende Sanierungen an der Kirche einschließlich des Turms statt.
1992 setzte ein Sturm dem Bauwerk schwer zu. Ein 200 Tonnen schwerer Teleskopautokran kam zum Einsatz, damit der „schiefe Turm von Euskirchen“ repariert werden konnte.
Die 1966 in der Südstadt am Franziskanerplatz von Architekt Emil Steffann erbaute Kirche St. Matthias hat keinen Glockenturm. „Über Handbetrieb lässt sich eine 130 Kilo schwere Glocke läuten“, erklärt Lingscheidt.