Euskirchen im Zweiten WeltkriegZeitzeugen erinnern sich an den Tag der 1400 Bomben
- Am heutigen Freitag vor 75 Jahren fielen 1400 Bomben auf Euskirchen.
- Es war der härteste Treffer für die Stadt im Zweiten Weltkrieg.
- Zeitzeugen erinnern sich an den Krieg und mahnen vor einer Wiederholung.
Euskirchen – Die Luft in den Straßen war geschwängert von Staub und Sprengstoff. Ein Geruch, an den sich Dr. Heinrich Blass auch heute noch gut erinnert – 75 Jahre nach dem schwersten Bombenangriff der Alliierten auf Euskirchen. Am 27. Dezember 1944 warfen die Alliierten 1400 Bomben über dem Stadtgebiet ab. Vier Euskirchener starben.
Blass war damals nicht in Euskirchen. „Über die Weihnachtstage waren wir bei meiner Mutter und meinen beiden jüngeren Geschwistern im Bergischen“, erinnert er sich. Als er mit seinem Vater einen Tag später wieder in Euskirchen ankam, lag die Stadt endgültig in Schutt und Asche. Die Spuren des verheerenden Angriffs waren unübersehbar, der Geruch auch 24 Stunden später noch bei jedem Atemzug wahrnehmbar. Blass war damals 14 Jahre alt und erst wenige Monate wieder in Euskirchen.
Den Aufruf zum Krieg bewusst verschlafen
Im September hatte er zum Westwall in die Eifel gemusst, um dort zu schanzen und Kabelschächte auszuheben. Rund um Hellenthal halfen Blass und seine Kameraden bei den Vorbereitungen für die Ardennenoffensive, mit der die Wehrmacht die Alliierten zurückdrängen wollte. Den ersten Aufruf, in die Eifel zu gehen, habe er bewusst verschlafen. Als dann einen Tag später seinem Vater Repressalien angedroht worden seien, habe es keine andere Möglichkeit gegeben, als nach Schleiden zu gehen, erinnert sich Blass.
Bei der ersten Gelegenheit habe er sich wieder auf den Rückweg gemacht: erst auf der Ladefläche eines Lkw der Wehrmacht, ab Satzvey dann zu Fuß, immer der Bahnlinie entlang. Nach einem Bombentreffer wenige Tage nach seiner Rückkehr nach Euskirchen habe er im Bereich des heutigen Parkhotels seine erste Leiche gesehen. „Mich hat das damals nicht so mitgenommen. Die Menschen, die teilweise mit bloßen Händen nach Opfern gesucht haben, schon. Ihnen habe ich Schnaps gebracht“, so der spätere Stadtdirektor. Er musste nicht mehr an den Westwall zurück, weil sein Vater in Euskirchen die Technische Nothilfe (TN) leitete und ihn für Büroarbeiten einsetzte.
Zunächst war die TN zur Bekämpfung von Streiks in als lebenswichtig eingestuften Betrieben eingesetzt, später verlagerte sich der Aufgabenschwerpunkt auf den Katastrophenschutz und den zivilen Luftschutz. Die TN war die Vorgängerorganisation des Technischen Hilfswerks. Er habe beispielsweise den Mitarbeitern ihre Lohntüten überreicht, erinnert sich Blass. Die TN sei zum Ende des Krieges in Stotzheim untergebracht gewesen. Die Fahrt mit dem Rad dorthin war – vor allem bei schönem Wetter – eine Reise ins Ungewisse. Bei strahlendem Sonnenschein habe sich eigentlich niemand draußen aufgehalten. „Das war bestes Flugwetter. Da waren die wenigen Kilometer zwischen Euskirchen und Stotzheim mit dem Rad schon lebensgefährlich“, berichtet Blass. Die Weihnachtszeit 1944 sei nicht schön gewesen.
An diese Zeit denkt auch Ottilie Keldenich ungern. Die damals 14-jährige Euskirchenerin wohnte an der Kessenicher Straße. „Ich erinnere mich gut an die zahlreichen Bombardierungen“, sagt sie. Die an ihrem Namenstag, dem 12. Dezember, werde sie nicht vergessen. Wenige Tage zuvor hatte die Verwaltung die Evakuierung angeordnet. Wie viele Euskirchener sollte auch Keldenich nach Thüringen. Am 12. Dezember machte sie sich über die Walramstraße auf den Weg zum Bahnhof. Ihr Hab und Gut hatte die 14-Jährige auf einer Handkarre verstaut, die ihr das Leben retten sollte. Als die Tiefflieger aus Richtung des Alten Markts angriffen, suchte sie unter ihrem Gepäck Schutz und setzte später ihren Weg zum Bahnhof fort. Mit ihrer Mutter und zwei Geschwistern verließ sie Euskirchen mit dem letzten Evakuierungszug. Im Gegensatz zum gleichaltrigen Blass kehrte Keldenich erst nach dem Krieg nach Euskirchen zurück.
„Wir sind mitunter mehrmals am Tag in den Keller gelaufen und haben Schutz gesucht. Das hat extrem viele Nerven gekostet“, erzählt Blass. Damals habe es nur einen sicheren Bunker gegeben – am Kirchplatz. Der sei regelmäßig voll gewesen. Öffentliches Leben habe es kaum mehr gegeben und unter den Jugendlichen sei das Sammeln von Bombensplittern ein Hobby gewesen, erinnert sich Blass. Er habe auch mal ein Flugblatt in den Händen gehalten. Sie zu sammeln, sei aber kein Thema gewesen. Dabei wurden sie damals regelmäßig über Euskirchen und der Eifel abgeworfen.
„Auf denen stand, was die Zeitungen nicht schreiben durften“, erläutert Weltkriegsexperte Horst Schuh. Zudem seien sie Teil des Plans der Alliierten gewesen, die mit den Bombardements die Moral der Zivilbevölkerung brechen wollten, so Schuh. Dass dieser Plan aufging, bestätigt Blass: „Als der Krieg vorbei war, war eine große Erleichterung zu spüren.“
Statt Zülpich wurde zunächst Malmedy von den US-Amerikanern bombardiert
Zülpich wurde an Heiligabend 1944 bombardiert. Der Zülpicher Pfarrer Karl von Lutzenberger starb in den Trümmern der Kirche St. Peter auf dem Mühlenberg. Das Quartier wurde vor 75 Jahren von den Alliierten besonders stark bombardiert. Glaubt man den Zeitzeugen, gab es dafür zwei Gründe. Sie berichteten einerseits von deutschen Aufklärungstrupps auf dem Zülpicher Kirchturm und andererseits von wartenden Fahrzeugkolonnen vor der Landesburg. Dies sei, so erzählt man es sich bis heute, von der alliierten Luftaufklärung beobachtet worden und habe tags darauf zum Angriff geführt.
Hans-Gerd Dick, Kulturreferent der Stadt Zülpich, ist sich sicher: Dass der Mühlenberg so extrem getroffen wurde, war eher Zufall. „Zülpich war ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Das Ziel der Angriffe war es, diesen unpassierbar zu machen“, so Dick. Das habe aber nur bedingt funktioniert, da die Straßen nach den Angriffen rasch von den Trümmern befreit worden seien. Auch die Strecken der Dürener und Euskirchener Kreisbahn seien nicht nachhaltig beschädigt worden. „Wenige Tage vor dem alliierten Einmarsch stehen in Zülpich Züge unter Dampf. Das ist auf alliierten Aufklärungsfotos gut zu erkennen“, so Dick. Der Bahnhof der Euskirchener Kreisbahn befand sich damals im Bereich des heutigen Adenauerplatzes.
„Zwischen Forum und Adenauerplatz sind heute kleine Wälle. Darunter befinden sich die Bahnsteige von damals. Sie wurden einfach zugeschüttet“, erläutert der Experte. Die Angriffe Weihnachten 1944 auf Zülpich seien deshalb so gut dokumentiert, weil den Alliierten am 23. Dezember 1944 ein Fehler unterlief. Bei schlechter Sicht machten sich die Bomber auf den Weg nach Zülpich. Dick: „Die Piloten glaubten nach Kartenstudium der Navigatoren an Bord, Zülpich bereits überflogen, Lommersum aber noch vor sich zu haben und bombardierten ersatzweise – vermeintlich – das Dorf an der Erft, bevor sie abdrehten. In Wirklichkeit war das Malmedy. Die Amerikaner bombardierten sich also selbst“.
Einen Tag später starteten sie einen neuen Versuch – mit schlimmen Folgen für Zülpich: 98 Bomben wurden Heiligabend abgeworfen, viele Menschen verloren ihr Leben. Am Ende des Krieges hat die Römerstadt nur noch 50 Einwohner.