Der Spieler des TV Palmersheim hat sein erstes Testspiel für die Handballnationalmannschaft der Gehörlosen bestritten und hofft auf die WM.
HandballPalmersheims Simon Schöller ist jetzt ein „Deafboy“
Der Kopf arbeitet im Hochbetrieb. Der Fokus wird geschärft, die Konzentration liegt auf dem Wesentlichen. Bei Simon Schöller ist das nicht anders als bei seinen Mitspielern vom TV Palmersheim vor einem Spiel. Doch es gibt einen großen Unterschied. Der Rechtsaußen erlebt das Ganze viel intensiver als seine Mannschaftskollegen und muss sich viel mehr konzentrieren. Er ist schwerhörig. Und das von Geburt an.
Wenn man es nicht weiß, würde man es nicht bemerken. Der Mann mit der Rückennummer zehn ist voll integriert im Team. Er trägt zwar Hörgeräte, aber die sind so konzipiert, dass sie nicht auffallen. Und er gehört der Kategorie Spaßvogel an. Schöller ist ein positiver Mensch, der gerne für ein Foto auffällig posiert.
Hörorgane nicht richtig ausgebildet
Drei Jahre ist er alt, als die hochgradige Hochtonschwerhörigkeit bei ihm festgestellt wird. „Per Zufall“, wie er sagt, denn eigentlich wurde die zwei Jahre ältere Schwester an den Hörorganen untersucht. Beide Geschwister wissen seit diesem Tag, dass sie das gleiche Schicksal plagt. Die Hörorgane waren während der Schwangerschaft nicht richtig ausgebildet worden. „Meine Mutter hat das schon früher vermutet, weil wir nach dem Ansprechen nicht reagiert haben“, sagt der 24-Jährige, der tiefe Töne noch gut hört.
Die Probleme kommen bei den hohen Tönen. „Ohne die Unterstützung von Hörsystemen würde ich zwar dumpfe Töne hören, aber nicht, was man mir konkret sagt“, fasst der Palmersheimer sein Empfinden zusammen. Er stellt aber auch klar, dass „Hörgeräte keine neuen Ohren, sondern lediglich Hilfsmittel sind, die aber mittlerweile 80 bis 90 Prozent aller Alltagssituationen abdecken können“. Das Ausgehen mit Freunden bleibt für ihn schwierig, da viele Umweltgeräusche um ihn herum auftreten, die die Sprache überdecken. Die Verständigung ist daher für ihn auch schwieriger, da sich der Kopf mehr anstrengen muss und er schneller ermüdet. In der Disco hingegen ist das kein Problem, weil der Handballer da die Hörgeräte „einfach ausmacht und mitfeiert“.
„Meister meiner eigenen Behinderung“
Schöller hat gelernt, mit seiner Einschränkung zu leben und findet, dass er seinen Alltag recht gut meistert. Das zeigen auch seine Einstellung und dass er sich als „Meister meiner eigenen Behinderung“ bezeichnet. So ist es nicht verwunderlich, dass er nicht nur ausgebildeter Hörakustiker, sondern seit 2021 auch Hörakustikmeister in einem Betrieb in Euskirchen ist. Durch seinen Beruf kennt er die Sorgen und Problemen anderer Menschen und berät sie vor dem Kauf von Hörsystemen in einem ruhigen Arbeitsumfeld mit geräuschreduzierenden Kabinen.
Beim Handballsport, dem er schon seit fast 20 Jahren beim TV Palmersheim nachgeht, verzichtet er schon mal auf die Hörgeräte, da Schweiß die Mikrofone verstopfen kann. Das macht die Ansagen oder das Reinrufen für ihn umso schwieriger. „Mittlerweile achtet die Mannschaft aber mehr auf mich und steuert die Ansagen in meine Richtung“, sagt der Linkshänder, dessen Mitspieler auch viel mit optischen Reizen arbeiten und Spielzüge anzeigen.
Mit dem TVP ist Schöller von der Kreisliga bis in die Oberliga aufgestiegen und so war für ihn jetzt der Zeitpunkt gekommen, seinen Namen nochmal bei der Nationalmannschaft der Gehörlosen in den Ring zu werfen. Bereits vor sechs Jahren wollte er es dort probieren, aber „da waren meine Werte noch zu gut“.
Hoffen auf die WM in Kopenhagen
Diesmal lagen die Hörtestdaten, die zur Bestimmung der Hörkurve aufgenommen wurden, unter dem Grenzwert von 55 Dezibel und so lud ihn Bundestrainer Alexander Zimpelmann zu einem dreitägigen Vorbereitungsturnier nach Norderstedt ein. Schöller überzeugte. Palmersheims Trainer Peter Trimborn bekam eine offizielle Anfrage per Kurznachricht. Am 10. März gab Schöller sein Nationalmannschaftsdebüt gegen den Barmstedter MTV und erhielt viel Lob. Zudem wurde er zu einem weiteren Vorbereitungslehrgang im Mai eingeladen. Im Anschluss wird der Weltmeisterschaftskader nominiert, der im Juli in Kopenhagen um den Titel mitspielen soll.
Simon Schöller kann somit hoffen, dass er eines der begehrten 14 Tickets für dieses Turnier bekommt. „Dass es so schnell geht, hätte ich nicht gedacht“, sagt der 24-Jährige, der plötzlich von großen Wettkämpfen mit Menschen die ein ähnliches Schicksal teilen, träumen darf. Er steht kurz davor, Teil der Deafboys zu werden, wie die Nationalmannschaft sich nennt, die sportlich und gesellschaftlich die Interessen der Gehörlosen vertritt.
Austausch unter Gleichgesinnten
Schöllers Eindrücke vom Lehrgang waren überwältigend: „Viele Menschen wissen gar nicht, dass es so etwas für Gehörlose gibt.“ Ihm war der Austausch unter Gleichgesinnten wichtig. Und er hat wertvolle Tipps erhalten. „Ich wünsche mir, dass wir in der Gesellschaft noch sichtbarer werden“, so der Palmersheimer, der dafür kämpfen will, dass die Krankheit wahrgenommen und akzeptiert wird.
Sportlich geht es aber jetzt erstmal beim TV Palmersheim weiter, wo Schöller seinen Beitrag zum Klassenerhalt leisten will. Das weiß auch sein Trainer, der sich dennoch über das Interesse der Nationalmannschaft freut. „So eine Chance hat man nicht einfach in der Schublade liegen und es wäre vermessen, ihm da jetzt Steine in den Weg zu legen“, sagt Peter Trimborn, der seinen Schützling bei dessen Werdegang unterstützen will.