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EuskirchenNach 32 Jahren erneut zur Führerscheinprüfung – der Selbsttest

Lesezeit 6 Minuten

Fahrschullehrer Thomas Koch hatte eine beruhigende Wirkung auf Heike Nickel, die weitaus nervöser war, als sie es erwartet hatte.

Euskirchen – Meine Tochter ist seit kurzem Fahrschülerin. Sie paukt jetzt Vorfahrtsregeln und die Orientierung im deutschen Schilderwald. Mit einer App – womit sonst. 32 Jahren sind es her, da ackerte ich einen Stoß speckig gewordener Fragebögen für den Führerschein Klasse 3 durch, die ich günstig für ein paar Mark erstanden hatte.

Die Bleistiftkreuze etlicher Vorbesitzer ließen sich kaum mehr ausradieren. Trotzdem schaffte ich die theoretische Prüfung im ersten Anlauf, ebenso die praktische – den grauen „Lappen“ habe ich bis heute nicht eingetauscht gegen den modernen Führerschein im Scheckkartenformat.

Viele Fragen in der Theorie

Und dann schaut man der Tochter über die Schulter: Welche Vorteile bietet eine Antriebs-Schlupf-Regelung? Ein einachsiger Anhänger hat eine tatsächliche Gesamtmasse von 600 Kilogramm – wie groß muss die Stützlast mindestens sein? Ab welcher Höhe darf Ladung bis zu 50 cm nach vorn über Ihr Kraftfahrzeug hinausragen? Zu sagen, ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, wäre nicht übertrieben.

Doch damit bin ich in guter Gesellschaft, wie mir Wolfgang Partz, Pressesprecher beim TÜV Rheinland versichert. „Das ist ohne Vorbereitung nicht zu schaffen“, versichert er, als ich mich bei ihm für einen journalistischen Selbstversuch anmelde: Ich möchte sowohl die theoretische als auch die praktische Führerscheinprüfung noch einmal ablegen!

30 aus mehr als 1000 Fragen: Auf die Theorieprüfung sollte man sich gut vorbereiten.

Vorausgesetzt, ich darf meinen Führerschein behalten – egal wie es ausgeht.

„Als hätte ich mich beim Köln Marathon angemeldet“

In den folgenden Wochen geschieht etwas, womit ich nicht gerechnet habe: Überaus sorgenvoll werde ich von vielen Seiten gefragt, ob ich denn wirklich wisse, worauf ich mich da einlasse. Schließlich müsse ich mich für das vorhersehbare Scheitern rechtfertigen – bei Freunden, Kollegen, den Nachbarn.

Spott und Häme seien mir gewiss, wird mir da versichert – übrigens machen sich nur Männer solche Sorgen um meine Ehre. Es fühlt sich an, als hätte ich mich beim Köln Marathon angemeldet – und würde auch noch behaupten, es mit den kenianischen Läufern aufnehmen zu können. . .

Der alte Führerschein.

Am Prüfungstag wache ich mit einem flauem Gefühl im Magen auf. Hätte ich vielleicht doch heimlich ein bisschen üben sollen? Zu spät. Pünktlich um 12.30 Uhr finde ich mich zur Theorieprüfung beim TÜV Rheinland in Euskirchen ein.

Im Warteraum treffe ich auf Sonja, die gerade ihren Lkw-Führerschein macht, um im Betrieb ihres Mannes aushelfen zu können. Ob sie aufgeregt ist? Statt einer Antwort streckt sie mir ziemlich zittrige Hände entgegen. Der graue Bezug des freien Stuhls neben mir erzählt eine eigene Geschichte: Wahre Sturzbäche aus Angstschweiß haben dort bleibende Muster hinterlassen.

Aufregung vor der Prüfung

In der Ecke sitzt Vladimir, zusammengekauert über seinem Handy. Ob er jetzt noch übe, will ich wissen. Er nickt. Es ist sein zweiter Anlauf und er will es heute unbedingt schaffen. Und dann geht es auch schon los. Bildschirmplatz 15 wird mir zugewiesen. Als ich mit der Maus „Prüfung starten“ anklicke, klopft mir das Herz bis zum Hals. Beim Arzt nennt man dieses Phänomen Weißkittel-Effekt, hier vielleicht Tüv-Tremor?

30 Fragen gilt es zu beantworten. Am Ende sind es nur fünf, bei denen ich raten muss oder „Wer wird Millionär“-mäßig nach dem Ausschlussverfahren agiere. Manche Fragen sind derart blöd, dass ich das Gefühl habe, man möchte den Prüfling zwischendurch ein wenig erheitern. Kostprobe gefällig? „Trotz vorhandenen Gehweges auf der rechten Straßenseite fährt eine Person im Rollstuhl auf der Straße. Wie verhalten Sie sich?“

Antwortmöglichkeit: „Ich mache die Person durch Hupen darauf aufmerksam, dass sie sich falsch verhält.“ Zwischendurch sehe ich eine strahlende Sonja zum Ausgang schweben. Kurz darauf wird ein zerknirschter Vladimir von einem TÜV-Rheinland-Mitarbeiter verabschiedet: „Ja... dann sehen wir uns in zwei Wochen wieder!“

Prüfer Rosteck entgeht nichts.

Die gute Nachricht: Ich habe nur zwei Fragen falsch beantwortet! Die schlechte: Ich bin trotzdem durchgefallen. Beide Fragen hatten einen hohen Fehlerpunktwert. Trotzdem – unzufrieden ist anders. Über die eine verpatzte Frage decke ich das Mäntelchen des Schweigens, da ich ansonsten doch noch um meine Reputation fürchten muss. Über die andere Frage, die sich um eine Gefahrensituation auf der Landstraße drehte, ließe sich trefflich streiten. Aber Schwamm drüber – ich habe nicht ernsthaft damit gerechnet, den Theorieteil zu überstehen.

Mit Nervosität in die praktische Prüfung

Die wahre Herausforderung, die, die meinen Ehrgeiz weckt und die ich mit sportlichem Eifer angehe, wartet draußen vor der Tür auf mich: TÜV-Prüfer Rüdiger Rosteck wird meine praktischen Fahrkünste begutachten, und zwar unter realen Bedingungen und gänzlich ohne Journalistenbonus. Mit dabei ist der Euskirchener Fahrschullehrer Thomas Koch – ein Gemütsmensch sondergleichen, dessen Anwesenheit auf dem Beifahrersitz einem Tässchen Beruhigungstee nahekommt.

Der TÜV-Prüfer meiner Jugend war eher grummelig-grau und von einschüchternder Art, ohne sichtbaren Spaß an seiner Aufgabe. Die neue Generation der amtlich anerkannten Prüfer gefällt mir da schon besser: Rüdiger Rosteck wirkt besonnen und freundlich und flößt mir alles andere als Furcht ein. Nervös bin ich trotzdem. Immerhin bin ich es nicht gewohnt, dass mir ein Mann sagt, wo es langgeht (mit Ausnahme von Stefan, meinem Navigationsgerät).

Doch das genau tut Rosteck jetzt. „Bitte fahren Sie nach links vom Hof“, dirigiert er mich vom Rücksitz, wo er mit Stift und Klemmbrett Platz genommen hat. Dass ich augenblicklich nach rechts steuere, mag inneren Widerständen geschuldet sein. „Ich dachte, Sie meinen das andere Links“, scherze ich gequält und versuche, den kleinen Fehler mit einer gekonnten Rückwärts-Wendung wieder auszubügeln.

Hochkonzentriert bei der Sache

Wenn jemand meint, es sei ein Klacks, nach 32 Jahren noch einmal 100 Prozent regelkonform einen fremden Wagen durch die Gegend zu lenken, der hat sich mächtig geirrt! Ich bin absolut konzentriert, und da, wo sonst Nervosität mit Geschwätzigkeit kompensiert wird, herrscht nun versunkenes Schweigen.

Schulterblick links, Schulterblick rechts, die Augen vorne, hinten und vor allem auch auf dem Tacho. Ich blinke, wenn ich an geparkten Autos vorbeifahre, lasse die Räder des Fahrschulwagens am Stoppschild drei lange Sekunden stillstehen, halte brav eine halbe Tacholänge Abstand zu den vor mir fahrenden Autos, fahre an manch einer Stelle gar langsamer als erlaubt. Und während ich all das mache und merke, wie es mich anstrengt, frage ich mich, wie ich normalerweise Auto fahre. Auf jeden Fall unbekümmerter.

Rüdiger Rosteck lässt nichts aus: verkehrsberuhigte Wohngebiete in der Euskirchener Südstadt, Autobahn, Linksabbiegen, diverse Kreisverkehre, Wendemanöver und natürlich rückwärts einparken. Letzteres musste ich bei meiner echten Fahrprüfung im Februar 1985 nicht absolvieren, da sich an den Straßenrändern meterhoch der Schnee türmte. Nach 32-jähriger Übungsphase klappt es nun umso besser.

Nur bei der Gefahrenbremsung auf der Philipp-Reis-Straße stelle ich mich ein wenig an –Versuch eins gleicht dem Eintauchen eines Löffels in eine Schüssel Quark. Versuch zwei hat dagegen Wumms. Das Antiblockiersystem rappelt, Fahrlehrer Koch lächelt erleichtert.

Das magische Wort

Nach einer Dreiviertelstunde, die unter der Anspannung auf gefühlte zehn Minuten zusammenschnurrte, habe ich es geschafft. Ich mache den Motor aus, Prüfer Rosteck raschelt mit den Notizen, ich stelle die Atmung ein. Zunächst gibt es ein paar Abzüge in der B-Note: Meine rechte Hand lag häufig auf dem Schaltknüppel. Und anstatt beidhändig das Lenkrad „auf viertel vor drei“ zu umfassen, fanden sich meine Hände auch schon mal leger auf der Speiche dazwischen. Und dann sagt er das magische Wort, das meinen Atemreflex wieder in Gang bringt: Bestanden!

Liebe Zweifler, Schwarzseher und um mein seelisches Wohl Besorgte: Ich habe es geschafft – also fast. Die Theorie werde ich in nächster Zeit sicher noch öfter üben können, dank meiner Tochter. Die Praxis aber sitzt. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich bei meiner anschließenden Fahrt nach Hause unter den Augen von Prüfer Rüdiger Rosteck garantiert mehrfach durchgefallen wäre.