„Helene wird selbstständig leben“Wie Carina mit dem Down-Syndrom ihrer Tochter umgeht
- „Ich malte mir anfangs aus, dass mein Kind womöglich nie sprechen oder laufen könnte“, sagt Carina über ihre Tochter Helene. Sie kam mit Trisomie 23 auf die Welt.
- Mittlerweile ist Carina optimistisch, dass Helene einmal selbstständig leben wird. Frühförderung ist dabei entscheidend.
- „Sie bringt mich jeden Tag zum Lachen und gibt uns einfach sehr viel zurück“, sagt die 43-Jährige. Wir erzählen eine Geschichte, die Hoffnung macht.
Kreis Euskirchen – Ein Synonym für die Schwangerschaft ist der altbackene Begriff „guter Hoffnung sein“. Wer neues Leben in sich trägt, hofft eben nur das Allerbeste. Entsprechend hart trifft es werdende Eltern, wenn Ärzte bei dem Ungeborenen Auffälligkeiten entdecken und schließlich eine Behinderung diagnostizieren. Aus guter Hoffnung wird dann tiefe Verunsicherung und größte Verzweiflung.
Als Carina Hatzenbühler in der 16. Schwangerschaftswoche die Diagnose erhält, dass ihre ungeborene Tochter Trisomie 21 hat, fällt sie in ein tiefes Loch. Sie musste entscheiden, ob sie das Kind austrägt oder nicht. „Ich malte mir anfangs aus, dass mein Kind womöglich nie sprechen oder laufen könnte“, so die 43-Jährige, die damals bereits zwei gesunde Kinder geboren hatte. Letztlich sei alles anders gekommen, „ich musste meine Vorstellungen vom Leben mit einem Kind mit Down Syndrom komplett von der Festplatte löschen“.
Plastik-Pommes und Fantasie-Kaffee
Vor ihr auf dem Boden sitzt Helene, die gerade Plastik-Pommes auf einen Teller legt und Fantasie-Kaffee in kleine rote Tassen gießt. Das begeisterte Spiel der Viereinhalbjährigen mit der Puppenküche ist Teil der Frühförderung, zu der Carina Hatzenbühler ihre Tochter seit einigen Jahren in die Therapieräume der Lebenshilfe Kreisvereinigung Euskirchen bringt. Betreut wird das Mädchen von Heilpädagogin Michaele Schwaab: „Kinder mit Down Syndrom zeigen mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten. Jedes Kind hat ganz individuelle Züge.“ Helene sei sehr aufgeweckt, könne sich gut konzentrieren und an Regeln halten, gehe in Kommunikation und habe tolle Spielideen, so die Heilpädagogin. Ihr Entwicklungsalter entspreche in etwa dem einer Dreijährigen.
Der fachliche Blick auf die Fähigkeiten eines Kindes mit Behinderung oder Entwicklungsverzögerung hilft Eltern enorm. Oftmals gebe es Unsicherheiten und Ängste, das Kind zu unter- oder zu überfordern. „Sie hat mir schon oft Mut gemacht, Helene mehr zuzutrauen und ein Stück mehr loszulassen“, sagt Carina Hatzenbühler über Michaele Schwaab. Etwa beim Aufräumen. „Auch Kinder mit Behinderung haben schnell herausgefunden, wenn Eltern unsicher sind, welche Anforderungen angemessen sind. Und sie nutzen das genauso wie jedes andere Kind zu ihrem Vorteil“, sagt die Therapeutin schmunzelnd.
„Sie bringt mich jeden Tag zum Lachen“
In der Frühförderung wird den Eltern manches entschlüsselt, was sie vielleicht sonst nicht wahrnehmen würden. Schwaab: „Dass Helene zum Beispiel diesen Teller mit den Spielzeug-Fritten so hält, dass diese nicht herunterfallen, das zeigt ihre Fortschritte in der Handsensorik.“ Oft seien es eben diese kleinen Entwicklungsschritte, deren sich die Eltern gar nicht bewusst wären.
Helene hat mittlerweile die großen Schaumstoff-Bauklötze für sich entdeckt und baut hohe Türme, die sie nach Vollendung mit lautem Juchzen zum Einstürzen bringt. „Die Frühförderstunden sollen den Kindern auf jeden Fall Spaß machen“, sagt Schwaab. Die meiste Arbeit würde gar nicht in der Sitzung geleistet, sondern zu Hause: „Der wichtigste Faktor für die Kinder ist, in einer bejahenden Familie und Umwelt mit vielfältigsten Anregungen und Erfahrungen aufzuwachsen.“ Aufgabe von Frühförderung sei auch, die Eltern im Prozess der Annahme zu begleiten, bei behinderungsspezifischen Erziehungsproblemen zu beraten und Entwicklungsförderung in die Lebenswelt des Kindes zu integrieren. „Mit einfachsten Mitteln – Sand und Schaufel, Joghurtbechern, Pappschachteln – die Ideen, die ich hier mitbekomme, hätte ich selber nie gehabt“, meint Carina Hatzenbühler.
Anlaufstelle für die Eltern
Die Lebenshilfe Kreisvereinigung Euskirchen gründete 1978 die Frühförder- und Beratungsstelle, eine Anlaufstelle für Eltern, deren Kinder der besonderen Entwicklungsunterstützung bedürfen.
Frühförderung beginnt oftmals nach der Geburt und kann bis zur Einschulung in Anspruch genommen werden. Sie ist für Kinder konzipiert worden, die etwa zu früh geboren wurden oder sich langsamer oder anders entwickeln als Gleichaltrige.
Therapien werden angeboten für Kinder, bei denen eine Entwicklungsverzögerung oder eine Behinderung vorliegt. Auch bei Auffälligkeiten in Bezug auf Lust und Ausdauer beim Spielen, die Konzentrationsfähigkeit oder ungewöhnlich ängstliches Verhalten bietet die Beratungsstelle Hilfestellung.
Zu den Angeboten der Frühförder - und Beratungsstelle gehören heilpädagogische und ergotherapeutische Einzel- und Kleingruppenförderung, Eltern-Kindgruppen, Entwicklungsdiagnostik und daraus resultierende Förder- und Behandlungsplanung, individuelle Elternberatung und interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Diese sind in der Regel kostenlos, erforderlich ist jedoch eine ärztliche Verordnung , die die Notwendigkeit von Frühförderung bestätigt. (hn)
Ihr Leben habe sich mit der Geburt von Helene durchaus sehr verändert. Die größte Herausforderung sei, die zahlreichen Termine ihrer drei Kinder zu managen, vor allem Helene hat täglich Programm: Logopädie, Physiotherapie, Frühförderung und Sehschule. Bereut hat sie das Ja zu ihrer Tochter nicht: „Wenn ich Helene sehe, weiß ich, dass die Entscheidung die richtige war“, sagt die Mutter. „Sie bringt mich jeden Tag zum Lachen und gibt uns einfach sehr viel zurück.“ Anderen Eltern, die mit der Diagnose Down Syndrom konfrontiert werden, wolle sie Mut machen, „dieses Abenteuer zu wagen“.
Wo die Reise für Helene hingeht, kann man heute noch nicht sagen. Aber sowohl die Heilpädagogin als auch die Mutter sind optimistisch: „Ich denke, dass Helene eines Tages relativ selbstständig leben wird“, so Carina Hatzenbühler. „Und ich bin mir angesichts ihrer Bemühungen, möglichst alles alleine zu machen, jetzt schon sicher, dass sie das auch selber will.“