„Bis 70.000 Euro“Euskirchener fürchtet enormen Straßenbaubeitrag – bald Rechtsstreit?
- Straßenbau-Beiträge können für Anlieger zu einem Ärgernis werden.
- Gerd Mirgels Fall ist ein Beispiel dafür, wie sehr sie das Miteinander von Stadt und Bürgern belasten.
Euskirchen – Gerd Mirgel wird sich wohl noch zwei oder drei Jahre gedulden müssen. Dann erst wird der Euskirchener wissen, ob die Stadt von ihm 50 000 oder 60 000 Euro haben möchte. „Das kann aber auch bis zu 70 000 Euro kosten“, befürchtet der Anlieger der Engelbert-Goebel-Straße. Genaueres weiß er nicht. Billig wird’s für Gerd Mirgel aber ganz sicher nicht werden.
Sein Fall ist ein Beispiel dafür, wie sehr die umstrittenen Straßenbau-Beiträge für Anlieger zu einem Ärgernis werden können – und auch dafür, dass sie das gute Miteinander von Stadt und Bürgern nicht gerade fördern.
Gerd Mirgel blickt auf die Straße vor seinem Haus. Im Winter 2017/18 wurden hier Kanäle , für das Baugebiet Weiße Erde gelegt. Der Investor hatte die Leitungen legen lassen. Soweit, so gut. Die Straße wurde aufgerissen und dann auf Vordermann gebracht. Rund 300 000 Euro habe das gekostet, berichtet Mirgel. Es gebe wenig Anlieger, also werde es für den Einzelnen richtig teuer.
Da die Stadt den vorherigen Zustand als Baustraße kategorisiert habe, handele es sich um einen Erstausbau. 90 Prozent der Kosten würden somit auf die Anlieger umgelegt. Andernfalls, so Mirgel, läge der Anlieger-Teil bei 70 Prozent. Darum kritisiert er nun die Einteilung der Stadt. „Für die Einstufung bestehen eindeutige gesetzliche Vorgaben und eine entsprechende Rechtsprechung“, erklärt hingegen Stadtsprecherin Silke Winter. Daran habe sich die Stadtverwaltung zu halten.
Wäre es nach Mirgel gegangen, wäre die Straße ohnehin wieder in den alten Zustand versetzt worden: „Die hätte es noch 100 Jahre getan.“
Stadt hätte bessere Gestaltung bevorzugt
Doch der Ausbau, so Winter, sei schon in „einer einfachen Ausführung“ erfolgt. Die Stadt hätte eine bessere Gestaltung des öffentlichen Raumes – etwa mit Baumbeeten, Stellplätzen und Pflasterungen – bevorzugt. „Mit Rücksicht auf die Wünsche der Anlieger wurde jedoch eine einfache Ausstattung vorgesehen“, so Winter: „Anlieger sind im Übrigen häufig der irrigen Auffassung, dass eine Baustraße auch auf Dauer genügen würde.“ Da die Stadt jedoch als Baulastträgerin die Verantwortung für den ordnungsgemäßen Straßenendausbau trage, müssten „alle Baustraßen endausgebaut werden“.
Die Engelbert-Goebel-Straße habe sich immer noch im Zustand einer Baustraße befunden, da es keine Deckschicht, keine Randeinfassung, keine Straßenentwässerung, keine normgerechte Ausbaubreite und keine Wendemöglichkeit gegeben habe. Nun wartet Mirgel also auf die Rechnung. Drei bis vier Jahre, so die Verwaltung, dauere es, bis die Bescheide versandt werden können. „Nach der Abnahme muss zunächst die Vorlage der Schlussrechnungen und -vermessungen abgewartet werden. Erst danach können von der Verwaltung die Abrechnungsgrundlagen geschaffen und Beitragsbescheide erlassen werden“, erläutert Winter.
Mirgel dauert das zu lange: „Am liebsten hätte ich den Bescheid sofort.“ Er wolle schließlich nicht, dass seine Erben zur Kasse gebeten würden: „Mit 75 Jahren muss man auch daran denken.“ Erst wenn der Bescheid vorliege, könne er sich dagegen auch zur Wehr setzen. Eine wirtschaftliche oder bauliche Verbesserung für die Anlieger, mit denen Straßenbaubeiträge begründet werden, vermag er jedenfalls nicht zu erkennen.
Da sei zum Beispiel der neue Wendehammer am Ende der rund 140 Meter langen Straße. „Uns wurde gesagt, dass das für die Müllwagen notwendig sei“, erinnert sich Mirgel. Doch er habe sich schlau gemacht: Laut Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften (UVV) sei ein Wendehammer nicht zwingend. Die UVV lasse es bei der Straßenlänge- und breite zu, dass die Müllwagen rückwärts heraus führen, sofern ein Einweiser dabei sei.
„Die Müllmänner kommen ja immer mindestens zu zweit“, so Mirgel: „Die fahren auch immer rückwärts raus auf die Billiger Straße – trotz Wendehammer.“ Die Stadt hingegen hält den Wendehammer für rechtlich erforderlich: „Das Fahrvermögen oder die Anzahl der Lkw, die in eine Straße einfahren, sind nicht relevant“, meint Winter. Ab einer Länge von mehr als 30 Metern sei ein normgerechter Wendehammer vorzusehen.
Mit dem Thema Straßenbaubeiträge befasst sich Gerd Mirgel seit geraumer Zeit. „Ich sammele Unterschriften für die Aktion des Bundes der Steuerzahler für die Abschaffung“, erzählt der Euskirchener.
Mit Interesse habe er auch die Argumentation des Euskirchener Landtagsabgeordneten Klaus Voussem (CDU) in dieser Zeitung vernommen. Voussem sprach sich für eine bürgerfreundliche Reform der Straßenbaubeiträge, jedoch gegen eine vollständige Abschaffung aus, wie sie die SPD fordert. „Freibier für alle“ sei einfach zu fordern, sagte Voussem: „Aber einer muss den Deckel bezahlen.“ Mirgel entgegnet mit einer anderen Volksweisheit: „Wer die Musik bestellt, der muss sie auch bezahlen.“
Er jedenfalls habe den Ausbau der Straße nicht bestellt - schon gar nicht in der nun ausgeführten Version. Was den Euskirchenern besonders wurmt, ist die fehlende Transparenz. So hätte er gerne mal das Abnahme-Protokoll gesehen. Doch das sei ihm verweigert worden. „Die Abnahme ist ein Rechtsgeschäft zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber“, erklärt Silke Winter. Nur mit deren Zustimmung sei eine Einsichtnahme möglich: „Diese Zustimmung wurde nicht erteilt.“ Für Mirgel ist das alles unbefriedigend: „Wir sind es doch, die die Rechnung bezahlen müssen.“
Immerhin: Im Abrechnungsverfahren der Stadt bestehe selbstverständlich die Möglichkeit der Akteneinsicht, sagt Silke Winter: „Außerdem steht jedem Bürger der Rechtsweg offen.“ Ob Mirgel Gerichte bemühen wird, ist noch offen. Er denke schon, dass er eine gute Chance hätte, sagt er.
Auch im Euskirchener Rathaus macht man sich vor einer gerichtlichen Auseinandersetzung nicht bange, wie Winter erklärt: „Da die Stadt von der Rechtmäßigkeit ihres Handelns ausgeht, sieht sie juristischen Auseinandersetzungen gelassen entgegen.“
Einige Kommunen wollen mit Maßnahmen warten, bis das Land entschieden hat
Die Diskussion über die Straßenbau-Beiträge im Düsseldorfer Landtag hat ihren Niederschlag auch in den Städten und Gemeinden im Kreis Euskirchen gefunden. In mehreren Kommunen haben die Politiker darüber beraten, wie mit dem Thema umgegangen werden soll.
In Schleiden haben die Ratsmitglieder das Thema vertagt, bis der Landtag einen Beschluss gefasst hat. Es lagen zwei Anträge vor, einer von der SPD und einer von CDU, Grünen und UWV. In beiden wird die Aussetzung der künftigen Straßenbau-Vorhaben gefordert. Der weiterreichende Antrag der SPD wurde einstimmig beschlossen. Danach sollen auch die Gebührenbescheide für die jüngst bereits abgeschlossenen Maßnahmen in der Maisbergstraße in Gemünd und im Kapellenweg in Schleiden und eventuell auch ältere Maßnahmen ausgesetzt werden, sofern dies rechtlich zulässig ist. Das muss geprüft werden. Damit soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass auch diese Anlieger in den Genuss einer günstigeren Rechtslage kommen, sollte der Landesgesetzgeber die Beitragspflicht abschaffen oder modifizieren. Auf Antrag der SPD wurde der Schleidener Bürgermeister beauftragt, sich auf Landesebene für die Abschaffung der Beiträge und eine dauerhafte Gegenfinanzierung durch das Land einzusetzen.
In Kall befasste sich der Hauptausschuss mit Ausbaumaßnahmen im Bereich Golbach und Umgebung. Die Planungen zur Vorbereitung einer Bürgerversammlung werden fortgeführt. Die Umsetzung wird aber bis zur Entscheidung im Landtag ebenfalls zurückgestellt.
In Mechernich kam das Thema im Stadtentwicklungsausschuss aufs Tapet. Die UWV hatte beantragt, geplante Maßnahmen, die Beiträge der Anlieger nach sich ziehen, zurückzustellen. Dem stimmte der Ausschuss nach Empfehlung der Verwaltung einstimmig zu. Auch die Mechernicher wollen abwarten, wie Düsseldorf in dieser Frage entscheidet. In der Vorlage hatte die Stadtverwaltung darauf hingewiesen, dass die Straßenausbau-Beiträge „aufgrund der individuellen Belastungssituation sehr streitanfällig“ seien.
Im NRW-Landtag wurde die von der SPD geforderte Abschaffung der Beiträge am 14. November 2018 von CDU, FDP und Grünen abgelehnt, das Thema zur weiteren Beratung aber an den Verkehrsausschuss, den Finanzausschuss und den Bauausschuss übertragen. Die CDU/FDP-Koalition lehnt eine vollständige Abschaffung ab, will aber Vorschläge zur Verbesserung der bestehenden Regelungen in den Landtag einbringen.
Wollte das Land den Kommunen die fehlenden Einnahmen ausgleichen, wäre jährlich ein dreistelliger Millionen-Betrag fällig, so die Mechernicher Verwaltung mit Verweis auf den Städte- und Gemeindebund. Der Stadt gingen in zehn Jahren rund 8,5 Millionen Euro an Einnahmen verloren. Um das auszugleichen, müsste etwa der Hebesatz der Grundsteuer B von derzeit 595 auf rund 700 Prozentpunkte steigen. (bk/sch)