„Natur hält uns am Leben“Euskirchenerin schießt Reh für Weihnachtsbraten selbst
Euskirchen-Flamersheim – Die Rehkeule, die Sabrina Winter (39) an Heiligabend ihrem Mann und den beiden Kindern serviert hat, war nicht gekauft. Die Jungjägerin hat das Tier im Kottenforst geschossen, es zerlegt und zubereitet. Es war ihr erster und bisher auch einziger Abschuss. Der Redaktion erklärte sie, wie sie zur Jägerin wurde, und welch tiefes Naturverständnis aus ihrer Sicht dahintersteckt, ein Tier zu töten, um es zu essen.
„Das Jagen liegt bei uns in der Familie. Ich bin damit aufgewachsen, dass mein Vater immer wieder zur Jagd ging – auch in der Eifel“, sagt Winter, die aus Odendorf stammt, inzwischen aber in Flamersheim lebt. „Letztlich wollte ich mit meinem Mann gleichziehen, der 2017 den Jagdschein gemacht hat.“
Gewehr statt Fotoapparat in der Natur
Aber die Leidenschaft für Jagd und Natur ist viel früher entstanden. „Ich war vielleicht zehn Jahre alt, als mein Vater mich geschickt hat, Abwurfstangen zu suchen – auch wenn ich damals nichts gefunden habe.“ Jäger haben ihre eigene Sprache: Was für Laien die Geweihe sind, die sich die Tiere an Bäumen abstoßen, sind für die Waidmänner – und inzwischen zunehmend Waidfrauen (siehe Kasten) – eben „Abwurfstangen“. Sie sprechen von Losung statt von Kot, von Trittsiegeln statt von Fußspuren.
Sabrina Winter geht es kaum darum, ein Tier zu töten. „Man sieht einfach immer etwas in der Natur. Den frischen Wildwechsel, die Fährte im Schnee oder in einer Matschpfütze“, schwärmt sie. „Im Wald leben viel mehr Tiere, als man so denkt.“ Solchen Schönheiten der Natur einfach mit einem Fotoapparat statt mit einem Gewehr nachzustellen? Das sei nicht dasselbe, findet sie.
Fast jeder Dritte fällt bei Jagdprüfung durch
„Die Natur hält uns am Leben – Aussäen, Ernten. Es ist ein Lebenszyklus, ein fortwährendes Geben und Nehmen“, findet Winter, und im Sinne der Tiere sei es nicht damit getan, beim Einkauf einfach nach einem Bio-Siegel für Fleisch zu schauen. „Jagen ist eine Auseinandersetzung mit dem Leben.“ Erst die Jagdausbildung habe ihr für viele Details die Augen geöffnet. Nun schaut sie nach den „Fegestellen“ an Bäumen – also danach, wo sich das Wild am Stamm gerieben hat. Sie sieht die Verbissstellen an Zweigen und denkt: „Ah, 60 Zentimer hoch, das war bestimmt ein Rehbock.“ Den Feldhasen kann sie nicht nur an den schwarzen Löffelspitzen (Löffel sind die Ohren) vom Kaninchen unterscheiden.
Das Wissen, das bei der Prüfung für den Jagdschein abgefragt wird, füllt etliche Bücher. „Mein Mann hat mir mal die gesamte Literatur, die ich durcharbeiten musste, in die Arme gelegt, und das war schon ein gewaltiger Stapel.“ Kein Wunder, dass fast jeder Dritte bei den Jagdprüfungen durchfällt, wie Lutz Schorn, der Vorsitzende der Bonner Jägerschaft sagt. Ein teures Kapitel: Bei Sabrina Winter lief alles glatt, trotzdem musste sie mehr als 1000 Euro für die Prüfung bezahlen.
Begehungsschein in der Tombola gewonnen
„Das hängt auch von der Häufigkeit des Schießens ab, um gut im Training zu sein.“ Die Prüfer sind vor allem bei Wildbiologie und Waffenhandhabung gnadenlos. Schließlich darf ein Jäger ohne weiteren Bedarfsnachweis, anders als ein Sportschütze, verschiedene Waffen besitzen. Winter nennt eine einfache Büchse ihr Eigen, die sie genau so sicher verwahrt, wie ihr Vater das getan hat. „Als Kinder haben wir sie nie zu sehen bekommen.“
Mit Waffe und Kleidung waren es dann doch eher 2000 Euro, schätzt Winter: „Besonders qualitativ gute Kleidung lernt man als Jäger ganz schnell zu schätzen. Sie muss warm und trocken halten während des Sitzens.“ Denn Warten in aller Hergottsfrühe gehört bei der Jagd dazu. Und so hat sie auf das erste Tier, das sie selbst geschossen hat, auch eine Weile gewartet. Sie hatte überhaupt Glück, in einer Tombola einen Begehungsschein mit einmonatiger Gültigkeit für das Jagdrevier von Lutz Schorn im Kottenforst gewonnen zu haben. Denn Reviere sind oft langfristig verpachtet, und Einladungen zur Jagd nur mit guten Kontakten zu erhalten.
Nur zur Erlösung oder zum Essen töten
Und so saß Winter an einem Novembermorgen im Kottenforst, bis sie gegen 6 Uhr kaum 40 Meter von sich entfernt eine Ricke erspähte. „Das Licht, der Wind – alles hat gestimmt, denn die Tiere wittern einen sonst auf weite Entfernung.“ Das Tier zweifelsfrei „ansprechen“, also genau erkennen, was es ist, ist eine weitere Pflichtaufgabe für den Jäger vor dem Schuss, und dann gilt es, ein sicheres Schussfeld zu haben mit Kugelfang. „In Schussrichtung war garantiert kein morgendlicher Berufspendler mit dem Fahrrad durch den Kottenforst unterwegs“, versichert Winter. Und dann stellte sie sich die allerletzte und entscheidende Frage: „Will ich das tatsächlich?“
Die Kreisjägerschaft Euskirchen hat keine Nachwuchssorgen
Rund 1100 Mitglieder zählt die Kreisjägerschaft Euskirchen (KJS) – Tendenz leicht steigend. Die Mitglieder der KJS kommen aber nicht nur aus dem Kreis Euskirchen: Auch aus Rhein-Erft, Rhein-Sieg, aus dem Kreis Düren und dem Kreis Aachen stammende Jäger gehören dem Verband an.
Nachwuchssorgen hat die KJS nicht. 30 Jungjäger befinden sich derzeit in der Ausbildung. Und bei Frauen wird das Jagen immer beliebter: Etwa ein Viertel der Prüflinge ist weiblich. Bevor die Jungjäger ihren Jagdschein erhalten, müssen sie einen achtmonatigen Kursus absolvieren und die dazugehörige Prüfung erfolgreich bestehen.
Die Arbeit der Jäger hat sich in den vergangenen Jahren drastisch gewandelt: Sie müssten nun noch intensiver auf den Naturschutz achten, sagt Johannes Klefisch, Schatzmeister der KJS. Im Kreis liegt der Fokus vor allem auf der großen Wildschweinpopulation. Der Bestand an Sauen müsse möglichst gering gehalten werden, um Schäden am Ökosystem zu verhindern, so Klefisch. Auch die Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest solle so verhindert werden.
Nicht jeder Jäger ist in der KJS organisiert. Rund ein Viertel der Jagdscheinbesitzer aus dem Kreis gehört nicht der KJS an, schätzt Klefisch.
Jagen dürfen die Jäger auf 1050 von insgesamt 1249 Quadratkilometern Kreisfläche. Die bejagbare Fläche ist in 333 Eigenjagdbezirke und gemeinschaftliche Jagdgenossenschaften aufgeteilt. (maf)
Dass sie abgedrückt hat, dokumentiert ihr Bekenntnis, nur aus zwei Gründen ein Tier zu schießen: Als Hegeabschuss, also zur Erlösung von offenkundigen Qualen bei kranken Tieren, oder eben zum Essen, wie in diesem Fall. Nach dem Schuss ist das Reh direkt umgefallen. „Es war ein 1a-Blattschuss. Ich habe ja auch viel auf der Schießanlage in der Bengener Heide trainiert. Im Schießen bin ich ganz gut.“ Jeden anderen Ausgang dieser ersten Alleinjagd hätte sie auch nur schwer verkraften können. „Das Tier krank zu schießen, den Hundeführer für eine Nachsuche bestellen zu müssen, das wäre für mich eine Katastrophe gewesen.“
6,5 Kilo verwertbares Fleisch vom geschossenen Reh
Das erste Reh – eine ältere Ricke, wie die stark abgenutzten Zähne zeigen, hat sie selbst geborgen, also abtransportiert. 15,5 Kilogramm wog das Tier. Der Ehemann half dann dabei, es weiterzuverarbeiten. Erst musste es ein paar Tage „in der Decke“, also mit Fell, abhängen, dann wurde es zerteilt, einvakuumiert und tiefgefroren.
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6,5 Kilogramm verwertbares Fleisch kamen in den Kühlschrank. Am Tag vor Heiligabend lag die 1230 Gramm schwere Rehkeule für das Festessen auf der Küchentheke zum Auftauen, während nebenan bereits das Gemüse für die Zubereitung geputzt wurde. „Wir wissen schon, dass es schmecken wird“, sagte Winter dabei, denn von einem anderen Stück hat sie bereits eine Rehbolognese für die Nudeln zubereitet.
Die Kinder, die sechs Jahre alte Tochter und der achtjährige Sohn, „wissen, dass Fleischkonsum einen Preis hat“, sagt die Mutter. Sie ist stolz, dass die Kleinen eine Stockente von einer Schellente unterscheiden können – und auf die Reaktion der Tochter nach dem erfolgreichen ersten Abschuss. „Da hat sie gesagt: ’Das erzähle ich am Montag gleich in der Schule’.“