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Als einzige FrauSyrerin Alia Issa trat bei den Paralympics in Tokio an

Lesezeit 4 Minuten
Paralympic-Teilnehmerin Alia Issa mit Teamkollege Ibrahim al Hussein.

Paralympic-Teilnehmerin Alia Issa erlitt als Kind einen Fieberkrampf, der sich auf ihr zentrales Nervenssystem auswirkte. Der Sport eröffnete ihr eine neue Welt.

Alia Issa, die seit 2022 in Deutschland lebt, kämpfte bei den Paralympics 2021 in Tokio. Heute sucht sie Anschluss in ihrer neuen Heimat.

Der Sport fehlt ihr. „Ich fühle mich körperlich und seelisch besser, wenn ich trainieren kann“, sagt Alia Issa. Seit Juli vergangenen Jahres lebt die 22-Jährige, die die syrische Staatsbürgerschaft hat, jedoch in Griechenland geboren wurde, mit ihrer Familie in Deutschland. Erst vor wenigen Tagen hat sie ihre Anerkennung als Geflüchtete erhalten.

Alia Issa hat eine Spastik, sie sitzt deshalb die meiste Zeit im Rollstuhl. „Das war nicht immer so. Mit vier Jahren hatte Alia eine Infektionskrankheit und erlitt einen Fieberkrampf“, erzählt ihre Mutter Fatima. Dabei wurde ihr zentrales Nervensystem geschädigt – die Sprache und der Muskeltonus sind dadurch beeinträchtigt.

Wegen ihrer Behinderung hatte Alia in Kindertagen wenig zu lachen. „Ich wurde von meinen Mitschülern gemobbt. Aber das hielt mich nicht davon ab, zur Schule gehen zu wollen“, sagt sie.

Issas Vater starb 2017 an Krebs – den bisher größten Erfolg seiner Tochter erlebte er nicht mehr

Ihr Vater, ein Schneider, habe große Pläne für sie gehabt. Ärztin habe sie werden sollen – und Alia will das noch immer. Vielleicht sogar mehr denn je, denn ihr Vater, der sie trotz aller Herausforderungen und Hürden immer ermutigte, für ihre Ziele zu kämpfen, lebt nicht mehr. 2017 starb er an einer Krebserkrankung. Und so hat er den bisher größten Erfolg seiner Tochter nicht mehr miterleben dürfen: 2021 trat die junge Frau bei den Paralympischen Spielen in Tokio an.

Das Leben von Alia Issa wendete sich zum Besseren, als sie auf die weiterführende Schule wechselte – eine Förderschule für Menschen mit Behinderung. Dort konnte sie nun auch am Sportunterricht teilnehmen, was ihr gleich gut gefiel. „Ich fühlte mich sofort stärker und selbstbewusster mit meinem Körper und meiner Mobilität“, so Alia Issa.

Paralympics-Teilnehmerin Alia Issa mit Familie und Flüchtlingshelfer

Neuanfang in Deutschland: Die Paralympic-Athletin Alia Issa (v.) mit ihrer Mutter Fatima, dem ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer Nabil Hamy und ihrem Bruder Ali (r.)

Einer der Sportlehrer an der Schule, der auch später ihr Trainer wurde, erkannte ihr Talent und vermittelte sie zu seinem Sportverein, dem Tyrtaios Sports Club für Behinderte. Issa probierte zunächst andere Sportarten aus, dann jedoch zeigte ihr der Trainer den Keulenwurf, und sie war sofort begeistert.

Alia Issa wirft die Keule bis zu 17,5 Meter weit

Keulenwurf ist eine Leichtathletik-Disziplin für Athleten, die körperlich nicht in der Lage sind, Speerwurf, Kugelstoß oder Diskuswurf auszuüben. Stattdessen werfen sie einen hölzernen Kegel, der an einen Bowling-Pin erinnert.

Je nach Beeinträchtigung wird die Keule vorwärts, rückwärts oder seitwärts geworfen. Alia Issas Wurftechnik ist die, die Keule über den Rücken nach hinten zu werfen. Anfangs schaffte sie sieben Meter, später waren es bis zu 17,5 Meter.

Paralympics-Teilnehmerin Alia Issa

Trainingsstunde: Alia Issa bei ihrer Disziplin, dem Kegelwurf.

Das Griechische Paralympische Komitee und die Agitos Foundation unterstützten die junge Frau dabei, an nationalen und internationalen Wettbewerben teilzunehmen. Bei den Para-Leichtathletik-Europameisterschaften 2021 in Polen belegte Alia Issa den vierten Platz im Vereinswurf der Frauen.

Issa hofft, in Deutschland Anschluss an den Sport zu finden

Ihr Ticket nach Tokio war ihr da schon so gut wie sicher. „Ich hätte trotzdem nie geglaubt, dass ich in meinem Leben einmal an den Paralympischen Spielen teilnehmen würde“, so die 22-Jährige, die zudem die einzige Frau war, die in dem Geflüchteten-Team antrat.

Bei der Eröffnungsfeier der Paralympics 2020, die wegen der Pandemie um ein Jahr verschoben werden mussten, schritt Alia Issa zusammen mit Schwimmer Abbas Karimi an der Spitze des Refugee-Teams. Letztlich schaffte es Alia Issa in Tokio, in ihrer Disziplin auf Platz acht zu kommen. Mit ihrem Wurf erreichte sie die Marke von 16,33 Metern.

Eröffnungsfeier im Olympiastadion

Die Fahnenträger des Refugee-Teams, Alia Issa und Abbas Karimi, tragen bei der Eröffnungsfeier der Paralympics im Olympiastadion die Fahne.

„Der Sport hat mir Unabhängigkeit gegeben. Ich bin jetzt plötzlich Teil einer neuen Gemeinschaft, die neue Freunde mit ähnlichen Zielen bietet“, erzählte Issa einem Reporter für eine Veröffentlichung des International Paralympischen Kommittees.

Diese Gemeinschaft fehle ihr jetzt in Deutschland. Aber sie hofft, bald wieder Anschluss an den Sport zu finden. Und damit auch an den Teamgeist der Menschen, die dahinterstehen.


Das „tapferste Team auf der Welt“

Die Paralympischen Spiele sind wie die Olympischen Spiele globale Sportwettbewerbe, jedoch für Sportler mit Körperbehinderung. Sie finden turnusmäßig alle vier Jahre direkt im Anschluss an die Olympischen Spiele statt.

Bei den Spielen in Tokio ging erstmals ein Flüchtlingsteam an den Start, mit sechs Menschen aus Afghanistan, Burundi, Iran und Syrien. Unter ihnen als einzige Frau Alia Issa. Sie wolle Menschen, die ihr Schicksal teilen, „als Vorbild dienen“ und dazu beitragen, dass diese „nicht zu Hause bleiben, sondern stattdessen Sport treiben“, sagte sie bei einer Pressekonferenz 2021.

Bayern-Spieler Alphonso Davies, in einem Flüchtlingscamp in Ghana geboren, stärkte die Mannschaft mit rührenden Worten: „Die Welt steht hinter euch.“ Er bezeichnete die sechs Paralympioniken als das „tapferste Team auf der Welt“ und als „Vorbilder mit der Kraft, andere zu inspirieren“.