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Wildtiergehege HellenthalAndenkondor „Santiago“ will seit 15 Jahren nicht fliegen

Lesezeit 3 Minuten

Hellenthal – Es waren durchaus nicht die Geringsten, die die Faulheit in höchsten Tönen priesen: So philosophierte im alten Griechenland Diogenes am liebsten lässig in seiner Tonne liegend, Gotthold Ephraim Lessing sang Jahrtausende später das „Lob der Faulheit“, und Ambrose Bierce soll einmal gesagt haben, Fleiß sei nichts anderes als eine nervöse Störung.

Was dem Menschen gut und billig, lässt sich aber auch im Tierreich beobachten: So ärgern sich im Wildtiergehege Hellenthal Falkner Karl Fischer und seine Frau Marlies seit etlichen Jahren über den Andenkondor „Santiago“, der partout keine Lust hat zu fliegen.

Vor 15 Jahren kam der Jungvogel im Alter von knapp zweieinhalb Monaten vom Weltvogelpark Walsrode bei Hamburg nach Hellenthal. Große Hoffnungen verbanden Marlies und Karl Fischer mit dem Tier. Immerhin wurden damals fast 12 000 Euro für den Vogel gezahlt.

Wer mit den Vögeln zu tun hat, weiß, dass sie nicht mit jedem können. Ob ein Kondor einen Menschen mag oder lieber nichts mit ihm zu tun haben möchte, zeigt sich erst allmählich. Das gilt offenbar auch umgekehrt. Karl Fischer: „Meine Frau hat diesen damals hässlichen Kondor gesehen und fand ihn schön. Und der hat sich gefreut wie ein Schneekönig.“ Die Prägephase sei schief gelaufen. Fischer: „Er hat sich gedacht: Ich bin doch nicht doof. Warum soll ich hochfliegen, wenn es hier unten Futter gibt?“ Doch Marlies Fischer sieht es nicht ganz so: „Ich bin nicht schuld, ich habe mich nur seiner erbarmt.“

Sie päppelte ihn liebevoll auf, muss ihn dabei aber offenbar ein wenig verzogen haben. Denn statt zu fliegen, sitzt er lieber in der Gegend rum. Der mittlerweile 13 Kilogramm schwere Vogel ist lediglich zu bewegen, ein Lauftraining zu absolvieren. Ab und an hebt er auch mal ab, um auf die Spitze eines Baumes zu fliegen. Das war es dann aber auch, mehr geht nicht.

Man griff zu drastischen Mitteln und stieg in die Lüfte mit dem imposanten Greifvogel: Mal wurde er von einem Balkon, dann von einem Turm, von der Staumauer der Oleftalsperre und schließlich sogar aus einem Zeppelin geworfen. Santiago jedoch blieb die Ruhe selbst: Lässig segelte er zu Boden, denn selbstverständlich kann der Kondor, der eine Flügelspannweite von 3,50 Metern hat, fliegen. Doch dann wollte er seine Ruhe, versteckte sich sogar zuweilen. Dank Peilsender wurde er aber sofort wiedergefunden. Karl Fischer dachte intensiv nach: Santiago wurde geschlechtsreif, da sollte sich doch etwas machen lassen. Die Liebe, so dämmerte es Fischer, müsse doch selbst den härtesten Flugverweigerer in die Lüfte schweben lassen. Man suchte anderthalb Jahre lang, und fand dann eine flotte Französin: Kondorhenne Lucie aus einem Park in Rambouillet, 50 Kilometer westlich von Paris, ist 15 Jahre alt, hat bereits Erfahrungen mit dem Schnäbeln und zwei schnuckelige Kondor-Küken groß gezogen.

Die spannende Frage beim ersten Rendezvous war jedoch: Würden beide Tiere sich vertragen, gar Interesse füreinander zeigen? Die ersten Kontakte sind vielversprechend.

Wenn Fischers Kalkül aufgeht, dann sollten sich die beiden schon im Frühjahr in ihren luftigen Honeymoon stürzen (siehe Kasten). Doch in Liebesdingen lässt sich nichts voraussagen. Schließlich bekannte schon Hilde Knef in einem bekannten Chanson, sie sei leider viel zu faul für die Liebe. Ob Santiago sich aufraffen kann?