IntegrationEuskirchener Erfolgsmodell: Junge Flüchtlinge wachsen in Familien auf
- Am Anfang war es schwer, die Jungendlichen an Familien zu vermitteln
- Die Jugendlichen haben sich heute gut eingelebt
- Das Jugendamt sucht nach weiteren Familien, die jemanden aufnehmen möchten
Eifelland – Petra Quast kennt sie alle. An der Wand in ihrem Büro im Kreisjugendamt hängt eine große Tafel, auf der alle 75 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (UMF) aufgeführt sind, die zurzeit im Kreis Euskirchen leben. Die Tafel, so sagt sie, erleichtert ihr das Nachdenken und verschafft ihr einen guten Überblick.
Diplom-Sozialarbeiterin Petra Quast, Regionalteam-Managerin und Koordinatorin für die Unterbringung der sogenannten UMF, kann zu nahezu jedem der Jungen, die zwischen elf und 18 Jahren alt sind, etwas erzählen. Oft rührende Geschichten, denn die meisten der jungen Flüchtlinge kommen mit dem unbedingten Willen, hier in Deutschland Fuß zu fassen und möglichst schnell in die Schule zu gehen, „wenn möglich zwölf Stunden am Tag“, so Quast.
Aufnahme in Familien hat sich bewährt
Am Anfang war die Unterbringung der jugendlichen Flüchtlinge in Gastfamilien noch ziemlich „mit heißer Nadel“ gestrickt. „Die ersten Familien sind sozusagen mit uns ins kalte Wasser gesprungen“, erzählt Petra Quast, der man die Begeisterung für das Projekt deutlich anmerkt. „Dies ist wirklich eine sehr schöne Art der Jugendhilfearbeit, mit der so viel positiver Wille und Aufbruchstimmung verknüpft ist. Hier durfte in den letzten sechs Monaten etwas richtig Tolles wachsen“, freut sie sich und betont, dass dies nur mit dem nötigen Freiraum der Amtsleitung und der entsprechenden politischen Gremien möglich war.
Anfangs lief die Vermittlung noch recht chaotisch, zumal es schnell gehen musste. „Es gab Tage, da wusste ich morgens nicht, ob ich am Abend für alle Jugendlichen ein Bett habe. Da galt es, zu handeln, Obdachlosigkeit zu vermeiden.“ Vorhandene Bereitschaftspflegestellen wurden mit minderjährigen Flüchtlingen belegt. Die ersten elf Gastfamilien hatten nahezu keine Anbahnungsphase – etwas, was mittlerweile selbstverständlich geworden ist. Petra Quast: „Es ist wichtig, sich schrittweise kennenzulernen, mal auszuprobieren, wie es ist, wenn man nur mit Händen und Füßen kommunizieren kann. Familie und Jugendlicher sehen sich zunächst einmal ein paar Stunden, dann über Nacht, dann ein ganzes Wochenende – zusammenzufinden, ist eine individuelle Angelegenheit.“
Mittlerweile kommen die UMF nach ihrer Zuweisung in den Kreis Euskirchen als erstes nach Urft in eine rund um die Uhr betreute Aufnahmegruppe des DRK. Hier bekommen sie eine feste Tagesstruktur mit Deutschunterricht, Kulturvermittlung, Sport- und Freizeitangeboten. Darüber hinaus wird mit ihnen überlegt, wie sich die Zukunft für sie gestalten könnte. Die pädagogischen Fachkräfte vor Ort gewinnen zudem einen Eindruck von jedem einzelnen Jugendlichen – wie ist sein das Sozialverhalten? Wie die seelische Verfassung, ist er womöglich traumatisiert?
Der „Renner“ unter den Teenagern in Urft ist die Option, in einer Gastfamilie unterzukommen. Manchmal ist das aber auch mit besonderen Schwierigkeiten verbunden: „Es kommt vor, dass die Eltern des Jugendlichen das nicht wollen. Manch einer hat sein Kind als eine Art Pfand nach Deutschland geschickt, damit der Familiennachzug sichergestellt ist“, erklärt Quast.
Einbindung der Eltern in der Heimat
Also fing man an, immer mehr den Kontakt zu den Eltern in den Heimatländern zu suchen. „Wir haben also einen Brief aufgesetzt und auf Arabisch und Persisch übersetzen lassen“, erzählt Quast. Darin wird erklärt, dass deutsche Gesetze vorschreiben, dass jemand Verantwortung für das minderjährige Kind übernehmen muss und dass es deshalb einen Vormund zur Seite gestellt bekommt.
Auch wird die deutsche Schulpflicht erklärt, die es Kindern verbietet, arbeiten zu gehen. „Wir wollen immer den Kontakt zwischen Ihnen und Ihrem Kind unterstützen. Wir hoffen aber auch, dass Sie Ihrem Kind Mut machen, unsere Hilfe anzunehmen“, heißt es weiter in dem Schreiben.
Bei aller Überzeugung und Begeisterung für das Gastfamilienprojekt macht Petra Quast keinen Hehl daraus, dass es auch Probleme geben kann. „Unter den 75 Jugendlichen haben wir nur zwei, die uns vor Herausforderungen stellen. Aber auch das Miteinander in den Familien klappt nicht immer reibungslos.“ Von Anfang an ist eine Fachkraft mit im Boot, sie hilft auch bei Schwierigkeiten oder Konflikten. „Das ungewohnte Miteinander, die Veränderungen in der Familie, das alles muss reflektiert werden. Auch die Jungs brauchen Unterstützung, denn sie sollen sich ja zu autonomen Erwachsenen entwickeln.“ Trotz intensiver Anbahnung kommt es mitunter vor, dass die Chemie doch nicht stimmt – dann wird selbstredend ein Wechsel in Erwägung gezogen. „Wo Menschen sind, menschelt es eben“, so Quast.
Nach dem ersten halben Jahr mit dem Gastfamilienprojekt zieht Petra Quast jedenfalls eine überaus positive Bilanz. „Es macht ungeheuer Spaß, dieses große bürgerschaftliche Engagement und natürlich die riesigen Fortschritte zu erleben, die die Jugendlichen machen.“ Petra Quast sagt, sie habe seither so viel Neues gelernt. „Mein Weltbild hat sich noch einmal deutlich vergrößert“.
Jugendamt sucht weitere aufnahmebereite Familien
Zurzeit sind 75 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) im Kreis Euskirchen stationär untergebracht, davon leben bereits jetzt 35 Jugendliche in Gastfamilien. Für nahezu alle konnte zudem eine ehrenamtliche Vormundschaft eingerichtet werden. Das Jugendamt des Kreises sucht nach wie vor interessierte Familien, die sich vorstellen können, einen minderjährigen Flüchtling bei sich aufzunehmen. Die Erfahrungen sind bislang sehr positiv und zeigen, welch großes Potenzial in der Einbeziehung der Bürgerschaft liegt.
Die Familie bekommt durchgehend Hilfe, gerade in der Anfangszeit gibt es vier bis sechs Stunden fachlicher Unterstützung pro Woche. Interkulturelle Offenheit ist unbedingte Voraussetzung, wenn man selber Interesse hat, Gastfamilie zu werden. Auch die Bereitschaft zur Selbstreflektion und zur engen Zusammenarbeit mit den professionellen Helfern und dem Jugendamt sind nötig. Ausreichend Zeit, Wohnraum und ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis sowie ein Attest zur gesundheitlichen Eignung werden ebenfalls erwartet. Auch müssen Gastfamilien finanziell auf eigenen Füßen stehen. Weitere Informationen gibt es bei Petra Quast vom Kreisjugendamt. (hn)
petra.quast@kreis-euskirchen.de