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Seltsame WesenDie Basilika in Steinfeld kann viele Geschichten erzählen

Lesezeit 3 Minuten

Bei einer Themenführung durch die Basilika in Steinfeld widmete sich Helmut Kirfel mehr als zwei Stunden dem Chorgestühl. 

Kall-Steinfeld – Viel gibt es zu erzählen über die altehrwürdige Basilika in Steinfeld und ihre Jahrhunderte alte Geschichte. Jedenfalls mehr, als die ehrenamtlichen Führer in den zwei Stunden unterbringen, die die offiziellen Führungen durch das Kirchengebäude und das Kloster dauern. „Wenn jemand eine Frage stellt, die etwas ins Detail geht, kann es schon sein, dass das den Rahmen sprengt“, sagt Helmut J. Kirfel.

So etwa bei dem barocken Chorgestühl, das an den Seiten des Altarraum zu sehen, aber im Normalfall nicht zur Besichtigung freigegeben ist. Alleine über dieses Thema könne eine eigene Führung gemacht werden. Und so nahmen die Organisatoren das Chorgestühl bei der ersten der neuen Themenführungen auch in den Fokus.

Aus dem Barock ist nicht gleich aus dem Barock

Die erste Überraschung präsentierte Kirfel seinen rund 20 Zuhörern direkt: „Das Chorgestühl ist gar nicht aus dem Barock.“ In Wahrheit seien die drei Teile, aus denen das Ensemble zusammengesetzt ist, aus drei verschiedenen Perioden. Das Gestühl selbst, die sogenannten Stallen, entstamme dem Spätmittelalter, und die Reliquienkästen seien aus dem Barock und um 1700 angefertigt worden. Das Zwischenelement allerdings sei in der Zeit um 1938 entstanden.

Bei den Pilgern beliebt

Die Reliquienkästen in der Basilika in Steinfeld seien um 1700 dem barocken Hochaltar nachgebildet worden, berichtet der ehrenamtliche Führer Helmut J. Kirfel. Zu der Zeit seien die Kästen noch viel voller gewesen. Um 1938 sei der Inhalt ausgedünnt worden. Mit Reliquien ausgestattet worden sei das Kloster von Norbert von Xanten, der sie in Kirchen in Köln gekauft hatte. „Reliquien waren das Kleingeld des Mittelalters“, so Kirfel. Wer viele dieser Reichtümer hatte, habe viel Prestige gehabt und damit auch Pilger angezogen. (sev)

Offiziell würden die kleinen Nasen an der Unterseite der Sitzklappen im Chorgestühl „Misericordien“ genannt, erläuterte Kirfel. Doch im Volksmund seien sie als „Lügenstühle“ bezeichnet worden. Der Grund: Die Chorherren konnten sich in den stundenlangen Messen, die siebenmal am Tag stattfanden, im Stehen auf diese Holzstücke stützen und so die Beine entlasten. Die seitlichen Armstützen hätten dazu gedient, bei den Gebeten die Arme auflegen zu können. „Wir reden von Messen von vier Stunden Länge, und das um 12 Uhr nachts“, berichtete der Führer.

Das Chorgestühl habe allerdings im Mittelalter an einer anderen Stelle in der Kirche gestanden. Damals habe es Sitze für 40 bis 60 Chorherren gehabt, die im vorderen Drittel des Kirchenraumes positioniert waren.

Am Chorgestühl gibt es seltsame Wesen zu entdecken.

Um 1700, als die Kirche barockisiert worden ist, sei das Chorgestühl bereits nach dem jahrhundertelangen Gebrauch marode gewesen, führte Kirfel aus. Die besterhaltenen Stücke seien zusammengebaut und in den Altarraum gestellt worden. Zwei Elemente seien darüber hinaus auch in der Pfarrkirche von Nettersheim zu sehen. Deshalb würden die Schnitzereien auf den Misericordien auch kein in sich geschlossenes Programm darstellen.

Unheimliche Wesen und Alltagsgeschichten

Stattdessen sei dort ein Sammelsurium aus verschiedenen Mischwesen, dekorativen Elementen, Szenen aus Fabeln, aber auch kleine Alltagsgeschichten, die als Warnung für die Chorherren vor Hochmut oder Schwatzhaftigkeit interpretiert werden könnten. So ist an einer Stelle ein Fuchs im Predigermantel zu sehen, der zu drei Gänsen spricht, während er eine vierte bereits im Rucksack hat. „Das könnte eine Warnung vor Heuchelei sein“, sagte Kirfel.

Westwallarbeiter in Steinfeld

Die Figuren auf den Mittelstücken habe ab 1930 Bruder Albert angefertigt. Das war aber noch lange nicht alles. Bruder Albert habe auch Schnitzereien angefertigt, die als Hinwendung zu den preußischen Machthabern interpretiert werden könnten. Denn der Eigentümer des Kloster Steinfelds sei zur damaligen Zeit der Staat gewesen – der Salvatorianerorden habe die Gebäude nur gepachtet und erst 1953 gekauft. So seien während des Zweiten Weltkrieges 1000 Westwallarbeiter und die Kinder des Kinderheims Köln-Sülz hier einquartiert gewesen.

Kenntnisreich, humorvoll und mit Freude für die Details referierte Kirfel rund zwei Stunden über das Chorgestühl. Mit viel Beifall bedankten sich die Zuhörer für die Informationen und zahlreichen Anekdoten.