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Henry Plotter zaubert in KallSchule stellt inklusives Musical auf die Beine

Lesezeit 5 Minuten

In eine andere Rolle schlüpfen: Lucas Theisen (M.) übt mit den kleinen und großen Schauspielern die Texte für ihre Rollen.

Kall – In dem lichtdurchfluteten Klassenzimmer im ersten Stock der Kaller St. Nikolaus-Schule sind die Stühle an die Wände geschoben. Denn in der Mitte des Raums muss genügend Platz sein. Hier proben die Darsteller des Henry-Plotter-Musicals. Die Schauspieler sind allesamt Schüler. Seit September wird für das Projekt geübt. Für Ende Mai ist die große Aufführung im Euskirchener Stadttheater angesetzt.

Harry Potter dient als grobe Vorlage

Zwar ist die Truppe heute etwas dezimiert, dafür wird an diesem Tag zum ersten Mal mit den neuen schwarzen Umhängen geübt. „Wegen Krankheit haben wir heute ein wenig umbesetzt“, erklärt Choreograf Lucas Theisen mit der Textmappe in der Hand. Daher schlüpft Theisen heute mal in die Rolle von Professor Lupin, mal in die von Ron Weasley oder mimt die Hauptfigur Namens Henry.

Selbst genäht sind auch die Umhänge für die Tänzer.

Mit Partner Martijn leitet der Kölner das Projekt. Die Namens-Ähnlichkeit zur berühmten Romanfigur kommt nicht von ungefähr, doch dient die Buchreihe von Autorin J.K. Rowling allenfalls als grobe Vorlage. „Es gibt die Figuren und den Stein der Weisen. Der Rest ist komplett dazu erfunden“, erläutert Theisen. Die Lieder, mit denen das Stück musicaltypisch gespickt ist, seien mit den Kindern entstanden.

Fast die ganze Schülerschaft dabei

Die Proben und die Umsetzung des Musicals seien jedoch eine Herausforderung, sagt Theisen und lacht. Denn die St. Nikolaus-Schule ist eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung. Einbezogen wird trotzdem jeder, der mitmachen möchte. Bis auf einige wenige sei die ganze Schülerschaft mit dabei, so Theisen.

Wie die 14-jährige Lea (r.) sind die Schüler mit großem Engagement beim Projekt dabei. Ob als Schauspieler, Sänger, Bühnenbildner oder in der Film-AG kann sich jeder einbringen.

Ob als Schauspieler, Bühnenbildner, Tänzer oder in der Abteilung Kampfkunst. „Die ist besonders bei den Rabauken beliebt“, sagt der Choreograf schmunzelnd. Aber auch vom Requisiten-Team ist er ganz begeistert. Das sei nämlich für die Kulissen zuständig und habe schon Besen, Zauberstäbe und Torbögen gebastelt.

Nominierung

Finanziert wird das Projekt mit dem Landesförderprogramm „Kultur und Schule“. Auch die Kreissparkasse Euskirchen (KSK) unterstützt das Projekt. Damit geht die Bürgerstiftung der KSK zudem in das Rennen um den David-Preis. Das ist ein Wettbewerb für Stiftungsprojekte innerhalb der Sparkassen-Finanzgruppe.

Bei dem Wettbewerb sind Ideen gefragt, die mit wenig Geld etwas Großes leisten. Angelehnt an die biblische Erzählung um David, der den Riesen Goliath bezwang. Die Projekte der Nominierten werden deutschlandweit beworben und vorgestellt.

Aufgeführt wird das Henry-Plotter-Musical am Mittwoch, 27. Mai, 11.15 sowie 17.00 Uhr, im Stadttheater Euskirchen. Die zweite Vorstellung ist für die Öffentlichkeit zugängig. Der Eintritt ist frei. Die Ehrung der Nominierten des David-Preises findet am 17. März im Rahmen der Stiftungsfachtagung der Sparkassen-Finanzgruppe in Berlin statt. (hab)

Auch die Umhänge für die „kleinen Tänzer“ wurden mit der Nähmaschine während der Schulzeit angefertigt. Die schuleigene Film-AG führt derweil Interviews mit allen Akteuren und zeichnet sowohl die Proben als auch die Aufführung am Ende auf, um den Entstehungsprozess von A bis Z zu begleiten.

„Alles nach seinem eigenen Tempo“

Was nun nach einem ganz herkömmlichen Schulprojekt klingt, birgt für die Organisatoren einige Besonderheiten, die es zu bedenken gibt. „Hier geht alles nach seinem eigenen Tempo“, erklärt Theisen. Und so wird etwa zwischen den einzelnen Übungseinheiten mal eine Runde „Ich packe meinen Koffer gespielt“, wenn die Konzentration flöten geht.

An anderer Stelle arbeiteten sie mit kleinen Tricks, um wirklich alle Schüler nach ihren Fähig- und Fertigkeiten einzubeziehen. „Manche sprechen mit einem sogenannten Talker“, erklärt Theisen. Dabei handelt es sich um eine Art Tablet, auf dessen Bildschirm verschiedene Symbole für unterschiedliche Situationen zu finden sind. Bei der Aufführung kommt es als Hilfsmittel zum Einsatz. Ein Klick und der Text der strengen Professorin McGonagall, gespielt von der 16-jährigen Annika, tönt – wie von Zauberhand– aus dem Lautsprecher.

Der Talker hilft Sprachbarrieren zu überwinden.

Im ersten Stock haben sich die Sänger eingefunden. Was auf den ersten Blick wie ein wuseliges Durcheinander erscheint, entpuppt sich als Aufwärmübung, damit die Stimmen für die Gesangsstunde vorbereitet werden. Mit sichtlich großem Spaß bellen, fauchen oder muhen die Akteure. Mittendrin im Getümmel gibt Gesangscoach Eva Becker die Kommandos. Dann wird mit vereinten Kräften das Klavier in die Mitte des Klassenzimmers gerollt und eilig die Liedtexte hervorgeholt.

„Das ist mein erster Berührungspunkt mit Kindern, die einen besonderen Förderschwerpunkt haben“, erzählt die Berufssängerin hinterher. Mit Bands und Künstlern wie Rea Garvey, Stefanie Heinzmann oder Revolverheld hat sie bereits zusammengearbeitet. Die Arbeit an der St. Nikolaus-Schule ist auch für sie eine besondere. „Ich hatte da nie Berührungsängste“, sagt Becker: „Man hat hier einen guten Zugang zu den Kindern und Jugendlichen. Ich empfinde das nicht als Behinderung, sondern als Bereicherung.“

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Bei ihr gehe es darum, die Stimme als Instrument zu entdecken, schildert die Sängerin. Dabei arbeite sie gerne mit Bildern, mit denen die Mädchen und Jungen etwas anfangen könnten. Sie selber sei Mutter von zwei kleinen Kinder, weswegen sie nach einer langen Nacht auch mal „verknittert“ zur Arbeit komme, scherzt sie: „Aber nach einem Tag hier an der Schule, fahre ich immer mit fetten Grinsen im Gesicht nach Hause.“ Die Begeisterung, mit der die Schüler bei der Sache seien, finde sie toll, so Becker: „Warum sollen sich nur Regelschulen der Herausforderung eines solchen Projekts stellen? Das ist Integration!“