Kreis Euskirchen hält zusammenIm neuen Jahr Folgen von Flut und Pandemie überwinden
Kreis Euskirchen – Was für ein Jahr liegt hinter uns. Mal wieder – und doch so anders, so schrecklich anders. Mit welcher Hoffnung, ja Zuversicht und Überzeugung sind wir in dieses Jahr 2021 gestartet? Ja, wir müssen die Pobacken zusammenkneifen, um die Corona-Welle – war es noch die zweite oder schon die dritte? – zu überstehen. Ja, es ist blöd, auf Karneval zu verzichten. Aber: Ein Ende ist in Sicht. Wir lassen uns impfen und dann sind wir durch mit diesem leidigen Corona-Thema.
Dass das mit dem Impfen mal wieder alles arg lange und für viele – gefühlt – viel zu lange dauert, gehört zu dieser Pandemie auch irgendwie dazu. Dann wird das Wetter endlich besser. In Kombination mit den Impfungen fühlt sich der Frühsommer 2021 wieder ein bisschen an wie normales Leben. Bis zum 14. Juli. Dem Tag, an dem das Wasser kam. Der Tag, der so vielen alles genommen hat. Ihr Leben. Ihr Hab und Gut. Ihr unerschütterliches Gefühl, dass die Heimat, dass das Zuhause die sichere und uneinnehmbare Burg ist.
Geschüttet hat es Tage zuvor schon, die Warn-Apps haben die 200 Millimeter je Quadratmeter vielfach verkündet. 200 Millimeter? Pffft, lass kommen. Die sich überschlagenden Warnmeldungen der Vergangenheit bei jedem mittelprächtigen Regen hat jeder vor Augen. Passiert ist immer wenig bis gar nichts. Was sollen da schon 200 Millimeter sein? Niemand hat sich in seinen kühnsten Träumen ausmalen können, was an diesem 14. Juli 2021 über unsere Heimat hereinbrechen sollte.
Beispiellose Hilfe
Die schrecklichen Stunden der Flutnacht wird niemand aus dem Gedächtnis bekommen. Die Angst und die Ohnmacht im Angesicht der wütenden Macht des Wassers. Den Schrecken, den das erste Licht des nächsten Tages bringt, als das Ausmaß der Katastrophe offenbar wird. Als klar wird, dass nichts mehr ist, wie es war.
Ungewohnte Silvester-Seite
Die Jahreskarikatur von Bernd Kehren alias Bernardo ziert seit vielen Jahren stets die erste Seite der Silvesterausgabe des Lokalteils unserer Zeitung.
Die Flutkatastrophe ist das prägende Thema dieses Jahres. 26 Menschen sind gestorben, die Zerstörungen und Verwüstungen gehen in die Milliarden.
Die Redaktion hat sich dagegen entschieden, dieses Ereignis, das für so viel Trauer und Leid in der Region gesorgt hat, in Form einer Karikatur aufzuarbeiten. Auch wenn der Humor viele durch die schlimme Zeit getragen hat und trägt, wäre dieses Bild aus unserer Sicht nicht die richtige Form des Rückblicks gewesen. (rha)
Genauso unauslöschlich haben sich die Tage und Wochen nach der Flut in die Seelen gebrannt. In ihrer Trauer und Verzweiflung sind die Menschen nicht alleine, dem schier unüberwindlichen Berg an Arbeit müssen sie sich nicht ohne Hilfe stellen. Aus allen Ecken der Republik rollt eine Welle der Hilfsbereitschaft in die Eifel – mit Manpower, mit schwerem Gerät, mit Sachspenden, mit finanzieller Hilfe. Und vor allem: Die Region rückt auf beispiellose Weise zusammen. Jeder hilft, wo und wie er kann – dass auch in den Höhenorten in viele Keller Wasser eingedrungen ist, wird nicht mal erwähnt, es ist zu unwichtig. Wochenlang wird gemeinsam angepackt, Schlamm geschippt, Flutmüll abgefahren, es werden Spenden organisiert und ausgegeben. Eine Katastrophe bringt oft das Beste im Menschen zum Vorschein – auch das hat die Region erfahren.
Staatlicherseits wird inmitten des Bundestagswahlkampfes ein 30-Milliarden-Paket für den Wiederaufbau geschnürt – das sucht ebenfalls seinesgleichen. Dennoch gibt es für die Betroffenen nach der Soforthilfe nicht gleich einen stattlichen Scheck, so sehr sich das manch einer vielleicht gewünscht hätte. Es ist verständlich, dass so viel Geld nicht komplett ungeprüft ausgegeben werden kann. Trefflich streiten lässt sich darüber, ob das Verfahren der Antragstellung und Prüfung nicht doch typisch-deutsch, zu langwierig und zu bürokratisch ist. Doch glücklicherweise fließen nun die ersten Mittel. Den Betroffenen ist nur zu wünschen, dass sie aus dem Fonds oder von ihren Versicherungen so schnell und so unbürokratisch wie möglich das Geld erhalten, damit sie den Wiederaufbau angehen können – oder andernorts einen Neustart wagen.
Hoffnung und Zuversicht
Finanzielle Not, Unsicherheit und Zukunftsangst sind ein Päckchen, dass sie nicht auch noch zu tragen haben sollten. Die Traumata, die die Erfahrungen der Flutnacht geschaffen haben, sitzen bei vielen tief. Vielfach sind sie erst nach der Plackerei des Aufräumens und dem Zurückversetzen der Häuser in den Rohbauzustand hervorgebrochen. Als die Menschen nicht wie all die Helfer in ihr intaktes Heim haben zurückkehren können. Als Herbst und Winter gekommen und die Möglichkeiten zum für die ersten Wochen nach der Flut so typischen und wichtigen Austausch und Gespräch auf der Straße weniger geworden sind. Von größtem Wert sind da die psychologischen Hilfsangebote, die inzwischen in vielen Orten fest installiert sind. Die werden langfristig gebraucht.
Langfristig müssen zwar die Konzepte für Katastrophenschutz und -hilfe aufgestellt sein. Im Hochwasserschutz sind zahlreiche Maßnahmen erforderlich, sicherlich auch zahlreiche Bauvorhaben und geplante Neubaugebiete auf den Prüfstand zu stellen. Nur weil solche Konzepte langfristig geplant werden müssen, dürfen sie nicht auf die lange Bank geschoben werden. Erste Ansätze sind zu erkennen, aber diese Projekte sind zu stemmen, bevor eine Flut-Demenz um sich greift und doch weitergemacht wird wie vor dem 14. Juli.
Die Flut und ihre Folgen sind in der Region nach wie vor präsent und werden die Menschen noch Monate, wahrscheinlich Jahre beschäftigen. Aber sonst? In den Jahresrückblicken der Fernsehsender werden die Bilder in diesen Tagen nochmal gezeigt. Für viele abseits der betroffenen Orte spielt das, was im Sommer geschehen ist, keine große Rolle mehr. Für viele – aber längst nicht für alle. „Gemünd lässt einen nicht los“, hat es einer so treffend formuliert, der wochenlang Tag für Tag angepackt hat. Ob in Gemünd oder Bad Münstereifel, ob in Euskirchen, Kall oder all den anderen hart getroffenen Orten: Stellvertretend steht dieser Helfer für so viele, die die Menschen und ihre Schicksale nicht vergessen, nicht vergessen können.
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Die die Menschen nicht alleine lassen. Die immer wiederkommen, von nah oder fern. Die eine helfende Hand und ein offenes Ohr haben, die im Advent Lichterzüge organisiert oder mit Nikolausmützen und Weihnachtsgeschenken durch die Straßen gegangen sind. Die sich auch ein knappes halbes Jahr nach der Katastrophe immer wieder etwas einfallen lassen, um den Menschen ein Licht, einen Funken Hoffnung zu schenken.
Licht, Hoffnung und Zuversicht ist das, was die Region in diesen dunklen Winterwochen so nötig braucht. Das Licht in den Häusern, wenn die Bewohner am Wiederaufbau arbeiten – oder wenn sie in ihr Zuhause zurückkehren können. Und auch das symbolische Licht am Ende des Tunnels, um 2022 das vermaledeite Corona-Thema endlich so weit hinter uns lassen zu können, damit es unseren Alltag nicht mehr bestimmt.
Die Hoffnung, vielmehr die Zuversicht und Gewissheit lassen wir uns auch im neuen Jahr nicht nehmen. Es wird viel Kraft brauchen, die Wunden heilen zu lassen, die Verluste irgendwie aufzufangen, unsere Heimat wieder aufzubauen – und gemeinsam werden wir auch das schaffen.