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Experten besorgtViele Menschen im Kreis Euskirchen schaffen sich in Pandemie Hund an

Lesezeit 4 Minuten

Süß, süßer, Fino: Der neun Monate alte Welpe ist im November 2020 bei Familie Freese in Euskirchen eingezogen.

  1. Kurzarbeit, Home-Office, keine großen Freizeit- und Urlaubsmöglichkeiten – in der Corona-Pandemie schaffen sich viele Menschen ein Haustier an.
  2. „Katastrophal“ nennt eine Golden-Retriever-Züchterin aus Euskirchen die aktuelle Lage. Dabei brummt das Geschäft mit der Hundezucht.
  3. Auch Hundeschulen und Tierheime im Kreis sind besorgt.

Kreis Euskirchen – Spitze Ohren, wuscheliges Fell und aufgeweckte Augen – Fino könnte ohne weiteres Teil eines Hochglanzmagazins rund um süße Tierbabys sein. Der neun Monate alte Mittelspitz gehört seit November 2020 zur Familie Freese in Euskirchen. „Es war ein langer Traum der Kinder“, berichtet Mutter Birgit Freese. Doch mit Beruf und Kindern sei es bisher einfach nicht möglich gewesen. Schließlich brauche ein Hund Zeit und Aufmerksamkeit.

Im Januar 2020 habe sie sich beruflich verändert und arbeite nun nur noch von zuhause aus. Dann kam die Pandemie, und ihr Mann wechselte ebenfalls ins Home-Office. Die Kinder sahen damit ein großes Gegenargument aus dem Weg geräumt, und so kam schließlich Fino in die Familie.

Spaziergruppen sind derzeit nicht drin: Birgit Freese und Fino.

Kurzarbeit, Home-Office, keine großen Freizeit- und Urlaubsmöglichkeiten – die Corona-Pandemie habe einen regelrechten Haustier-Boom ausgelöst, sagt Reiner Bauer vom Tierschutzverein Mechernich, der das dortige Tierheim betreibt. „Selber haben wir zurzeit so wenig Tiere wie noch nie“, berichtet er. Statistisch lasse sich solch ein Boom was die Stadt Euskirchen betrifft, nicht belegen, sagt ein Sprecher. Die Zahlen der gemeldeten Hunde steige seit einigen Jahren stetig an. So seien es 2018 noch 4037 Hunde gewesen und heute schon 4178. Doch auch in der Hundezucht ist eine verstärkte Nachfrage zu spüren. „Ich kann ihnen gar nicht sagen, wie oft hier das Telefon klingelt“, sagt eine Golden-Retriever-Züchterin aus dem Euskirchener Raum, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will.

Überfüllte Tierheime befürchtet

Aufgrund der Nachfrage stiegen auch die Preise extrem. „Die Leute zahlen, was Sie wollen.“ Derzeit würden Welpen für 3500 bis 5000 Euro verkauft. Klingt erst einmal nach einer guten Situation für eine Züchterin. Doch die 58-Jährige sieht das anders. Die Lage sei „katastrophal“. Sie wolle da nicht mitmachen. Ihr gehe es nicht nur um das Geschäft, sondern in erster Linie um die Hunde. Ihre Wurfplanung habe sie deshalb verschoben. „Wir persönlich möchten die Hunde nicht irgendwelchen Leuten geben“, sagt sie.

Vor ein paar Jahren habe sie schon einmal eine schlechte Erfahrung gemacht. Damals habe die Familie den Hund nach zwei Monaten wieder zurückgegeben. Die Züchterin will das vermeiden und sich potenzielle Käufer deshalb in Ruhe anschauen.

Auch Bauer gefällt die Situation nicht. Er befürchtet, dass sich viele unüberlegt ein Haustier zulegen. Wenn dann die Pandemie vorbei sei und die Menschen nicht mehr so viel Zeit zu Hause verbrächten, „dann befürchte ich, dass man uns mit Tieren überlädt“. Anfang des Jahres habe er einen solchen Fall gehabt. Die Dame habe sich im Januar einen Welpen gekauft und ihn Ende Februar im Tierheim abgegeben.

Familie Freese will Hund behalten

Ein Szenario, das sich die Euskirchener Züchterin für ihre Welpen gar nicht ausmalen will. Auch sie teilt die Befürchtung des Tierschutzvereins. Nicht nur die Tierheime würden nach der Pandemie voll, viele würden ihren Welpen sicherlich auch beim Züchter zurückgeben, sagt sie. „Und dazu möchten wir nicht beitragen.“ Deshalb der vorübergehende Zucht-Stopp. Ein Welpe sei eben wie ein Baby, sagt sie. Das sei vielen nicht klar.

Eine Erfahrung, die auch Birgit Freese gemacht hat. „Ich habe das schon unterschätzt“, sagt sie. Und das, obwohl sie als Mutter Kinder gewöhnt sei. Fino müsse nachts raus und jammere, wenn er alleine gelassen werde. Doch den putzigen Rüden deshalb wieder abgeben? „Nein, auf keinen Fall“, sagt Freese bestimmt. „Wir sind auf jeden Fall sehr glücklich.“

Hundetraining per Video

Auch die Hundeschulen sind von der Pandemie betroffen. Tatsächlich gebe es keine bundeseinheitlichen Regeln für Hundeschulen, sagt Kirstin Piert von der Hundeschule Team Dogs aus Blankenheim. Je nach Bundesland würden sie als Dienstleister oder außerschulisches Bildungsangebot angesehen, mit völlig unterschiedlichen Regeln. Manche Schulen dürften Gruppenstunden anbieten, andere müssten ganz schließen.

Im Kreis Euskirchen sei Einzelunterricht derzeit erlaubt. Aber im vergangenen Corona-Jahr habe sie ihre Schule zum Teil auch dichtmachen müssen. Da habe sie dann Online-Kurse angeboten. Die Teilnehmer erhielten Lektionen mit Anleitung und Videomaterial. Dann schickten sie ein Video von der Umsetzung zurück, und die Hundetrainer gaben Feedback. „Damit sind wir gut gefahren“, sagt Piert.

Unüberlegtes Handeln

Doch nicht jede Schule habe ein solches Online-Angebot und nicht jeder Hundebesitzer sei dafür auch offen. Zudem sei Einzelunterricht nicht für jede Schule im Kreis umsetzbar – einfach, weil sie nicht genügend Trainer haben. Piert befürchtet, dass sich das nach der Pandemie bemerkbar machen wird. „Viele haben es jetzt einfach ohne Hundeschule gemacht“, berichtet sie. Für sie ist das fatal. Da könnten Probleme entstehen.

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Ebenfalls kritisch sieht Piert den Corona-Hunde-Boom. Sie beobachtet unüberlegtes Handeln. Viele machten sich kaum Gedanken, wie der Alltag mit Hund aussehen werde, wenn wieder weniger im Home-Office gearbeitet werde und mehr Freizeitgestaltung möglich sei. Die meisten gingen davon aus, dass der Hund bis dahin ja groß und erzogen sei, so Piert. Was dann noch auf sie zukomme, schätzten sie oft falsch ein. So werde zurzeit kaum trainiert, dass der Hund einmal alleine bleibt. Durch das Home-Office sei schließlich immer jemand im Haus.