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Pflegealltag im Kreis EuskirchenNaira Bong versorgt Senioren mit dem Auto

Lesezeit 6 Minuten
Altenpflegerin Euskirchen1

Der Zeitaufwand  für die Bürokratie hinter der Pflege sei oft höher als die Zeit, die man mit den Patienten verbringe, bemängelt Naira Bong.

Euskirchen – „Wir tun, was wir können.“ Dieser Satz fällt häufig an diesem trist-grauen Dezembertag, der so gar nichts Vorweihnachtliches haben will. Wie ein Mantra klingt er, ein Slogan, aber für die examinierte Altenpflegerin Naira Bong ist der Satz gelebte Wirklichkeit.

Seit 2006 arbeitet sie bei der Diakonie Euskirchen in der ambulanten Pflege. „Als ich vor 20 Jahren als Aushilfe in einem Seniorenheim begonnen habe, hätte ich nie gedacht, dass das mal so meins wird“, erinnert sich die 43-Jährige. Und dann fügt sie ohne jedweden Pathos an:„Ich liebe es, zu helfen. Ich liebe, was ich tue“, während sie sich mit dem quietschgelben Diakonie-Wagen durch den Stadtverkehr schlängelt.

Über die Serie

Den Pflegealltag zeigen

Im Zuge der Corona-Pandemie erfahren die Menschen, die in der Pflege tätig sind, ein bisschen mehr Aufmerksamkeit als gewöhnlich. Dennoch: Die Arbeit ist anstrengend, oft belastend und leider auch nicht gut bezahlt. Manche Pflegebeschäftigte geben ihren Beruf deshalb auf und verstärken so die Personalnot der Branche.

Einigen der Protagonisten, die sich dennoch für einen Beruf in der Pflege entscheiden oder aber als pflegende Angehörige im Einsatz sind, schauen wir in unserer Serie, die in loser Folge erscheint, über die Schulter. Wie meistern sie ihre Aufgaben? Was sind die besonderen Herausforderungen in ihrem Alltag? Und welche Verbesserungen würden sie sich wünschen?

Und wir fragen Experten, wie sie die Situation der Pflege im Kreis Euskirchen jetzt und in Zukunft einschätzen.

Pro Tour müssen zehn bis 15 Menschen versorgt werden, am Wochenende deutlich mehr. „Da kommt man schnell auf 100 gefahrene Kilometer am Tag“, so Bong. Die erste Patientin erwartet sie bereits.

Altenpfleger sind häufig die einzigen Kontaktpersonen

Inge Albrecht (alle Namen der Patienten geändert) ist 86 Jahre alt – eine aufgeweckte Seniorin, an deren Wänden großformatige Berglandschaften in Öl hängen. Reisen, das sei immer ihres gewesen, sagt sie. Und dann erzählt sie unvermittelt vom Krieg, an den sie sich noch lebhaft erinnere: „Ich war drei Tage lang verschüttet.“ Der Kopf macht noch, was er soll, nur die Knochen nicht, erklärt Albrecht, die seit vielen Jahren überwiegend von Naira Bong versorgt wird.

Zwischen den beiden Frauen herrscht große Vertrautheit. Das Miteinander ist gespickt mit zugewandten Gesten und Berührungen. Überhaupt: Angst vor Nähe und Körperkontakt scheint in diesem Beruf fehl am Platze zu sein. Nicht nur, weil es ganz häufig um die körperliche Versorgung und Pflege geht, sondern auch um menschliche Zuwendung. „Wir sind manchmal die einzigen, die die Patienten an diesem Tag sehen und sprechen“, weiß Bong. Corona habe dazu noch einen beträchtlichen Teil beigetragen.

Ein Pflegedienst muss wirtschaftlich bleiben

Die nächste, die auf der Tour angesteuert wird, ist Lisbeth Fischer. Die 90-Jährige wird heute geduscht. Bong hat dafür genau genommen 17 Minuten Zeit – Zeitkorridore, die festlegen, wie viele Minuten für bestimmte Handlungen der Grundpflege angemessen sind. Ein Pflegedienst muss wirtschaftlich bleiben - auch wenn die Menschen und ihre individuellen Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen und niemand daneben steht und die Zeit wirklich stoppt.

Lisbeth Fischer hat eher Sorge, zu viel Zeit in Anspruch zu nehmen. Immer wieder versichert ihr Naira Bong, dass sie alles ganz in Ruhe erledigen können. Zwischen Haare waschen und Körper eincremen bleibt sogar Zeit für einen Plausch. Was denn die Kinder und Enkel so machen? Lisbeth Fischer antwortet in herrlichstem Eifeler Platt, berichtet von ihren Liebsten, die sie an Weihnachten besuchen will. Der Umgang mit der Pflegerin sei schön, „so wunderbar familiär“, versichert die alte Dame und strahlt.

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Von einer ihrer Wohnzimmerwände lächeln der Seniorin mehrere Generationen ihrer Familie entgegen. Nur ein einziges Foto zeigt keinen Menschen, sondern einen alten Eifeler Bruchsteinhof: „Das ist mein altes Zuhause“, sagt Lisbeth Fischer nachdenklich. „Manchmal habe ich so doll Heimweh nach diesem Ort, dass ich vor dem Bild sitze und weine“, gesteht sie.

Es kann jederzeit zu Notsituationen kommen

Beim nächsten Patienten auf der Tour soll nur eine Wundversorgung am Bein gemacht werden. Eher eine Kleinigkeit. Doch dann macht der Mann, der auf die 100 zugeht, seine Wohnungstür nicht auf. Klopfen, Klingeln, lauschen: Hinter der Tür hört man seine Stimme, offenbar ist der Mann in einer hilflosen Lage.

Wie sehr Naira Bong Profi ihres Faches ist, zeigt sich spätestens jetzt: Die Pflegerin bleibt ruhig und besonnen, sie spricht beruhigend zu dem alten Herrn hinter der Tür, ruft nacheinander eine Angehörige und den Hausmeister an, fragt bei der Nachbarin, ob sie einen Schlüssel habe.

Schließlich gelingt es, die Wohnung zu betreten und den Mann aus seiner misslichen Lage zu befreien. Viele Stunden hat er in unbequemer Stellung verbracht. Seine Muskeln sind verkrampft, er hat Schmerzen. Geduldig und einfühlsam mobilisiert Bong den verzweifelten Senior, bis er schließlich wieder auf seinen Beinen steht.

„Sie sollten sich einen Notrufknopf zulegen“

Eine gute halbe Stunde später sitzt Alfons Maler frisch eingekleidet, gekämmt und versorgt in seinem Wohnzimmersessel. Eine kleine Massage hat seine Rückenschmerzen gelindert. Seine Beinwunde ist frisch verbunden, Hunger und Durst sind vorerst gestillt.

„Sie sollten sich einen Notrufknopf zulegen“, erklärt die Altenpflegerin dem Senior und erfährt, dass es diesen bereits besitzt. „In der Schublade von meinem Nachttischschrank liegt der“, sagt Alfons Maler. Bevor die Altenpflegerin den Mann für heute verlässt, befestigt sie den Notruf an seinem Handgelenk und ringt dem Patienten das Versprechen ab, den Knopf auch zu drücken, wenn es nötig ist.

Der Teamzusammenhalt hilft bei belastenden Erlebnissen

Der Zeitplan für die heutige Tour ist längst nicht mehr einzuhalten. „Aber das gehört dazu, wir arbeiten hier ja schließlich mit Menschen“, sagt die 43-Jährige.

Ob sie immer so cool bleiben könne in Situationen wie der gerade erlebten? Situationen, bei denen man nicht wisse, was einen hinter der Tür erwarte? Naira Bong überlegt. „Tagsüber ja“, sagt sie. „Nachts fällt mir das nicht immer so leicht, da kann man beispielsweise nicht einfach bei den Nachbarn klingeln. Da ist man erstmal auf sich gestellt.“

Natürlich erlebe man auch Belastendes, das einen auch nach Feierabend noch beschäftige. Naira Bong erzählt, wie wichtig vor allem dann der Zusammenhalt des Teams ist und wie sehr sich die einzelnen Mitarbeiter gegenseitig unterstützen. „Wenn wir etwas Belastendes erleben, dann reden wir darüber. Auch außerhalb der Dienstzeit. Das muss sein.“

Es mangelt am Fachpersonal

Die gesellschaftliche Anerkennung die es zu Anfang der Corona-Zeit gab für das, was sie und ihre Zunft für die alten Menschen tun, das habe schon gut getan, sagt die zweifache Mutter. Letztendlich reiche das natürlich nicht.

Arbeit gebe es reichlich, immer mehr Menschen benötigen häusliche Pflege, nur leider mangelt es im ganzen Land am nötigen Fachpersonal. „Würde dieser Beruf besser bezahlt werden, gebe es sicher auch mehr Menschen, die diese Arbeit gerne machen würden“, ist sich Naira Bong sicher. Bis dahin aber heißt es für sie und ihre Kollegen weiterhin mit vollem Einsatz: „Wir tun, was wir können.“