Der 21-jährige Syrer Mustapha Attar arbeitet in der Werbeagentur Lemm und hat bald Abschlussprüfung – auch im Sport hat er Anschluss gefunden.
AnkommenEin steiniger Weg führte einen 21-jährigen Syrer zum Ausbildungsplatz nach Euskirchen
Das Haus der Familie gibt es nicht mehr. Es stand in Idlib, einer Stadt im Nord-Westen von Syrien. Drei Jahre nach Ausbruch des Krieges gab es für Familie Attar nur noch die Flucht aus dem Land. „Ich war damals zwölf Jahre alt“, erzählt Mustapha Attar. Zunächst verschlug es die Eltern mit ihren beiden Söhnen in die Türkei, es folgten Aufenthalte in Griechenland und Rumänien.
Vor ziemlich genau sechs Jahren kam Familie Attar schließlich nach Deutschland. „Wir haben es wirklich versucht, uns in Rumänien ein Leben aufzubauen, aber selbst für die Rumänen ist es dort ultraschwer.“ Obwohl klar war, dass es nach dem Dublin-Abkommen kaum eine Chance geben würde, in Deutschland bleiben zu dürfen, erschien der Familie der Versuch als die bessere Option.
Für Mustapha ruft in wenigen Wochen die Abschlussprüfung
Mustapha Attar, heute 21 Jahre alt, sitzt in einem trendigen, roten Strickpullunder und buntem Hemd im Besprechungsraum der Euskirchener Werbeagentur Lemm. Hier macht er eine Ausbildung zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung. In wenigen Wochen hat er Abschlussprüfung.
Theo Lemm und Lars Probson von der Geschäftsführung wollen den jungen Mann auf jeden Fall weiterbeschäftigen. „Return for Invest“ nennt es Probson. Energie und Manpower in die Ausbildung junger Menschen zu stecken, soll den Nachwuchs ans Unternehmen binden.
Doch der Weg in die Ausbildung war ein steiniger und „ultraschwierig“, wie Attar sagt, der in Syrien ein sehr guter Schüler war. In Deutschland angekommen, wurde er ohne Umschweife in die zehnte Klasse der Hauptschule eingeschult. „Ich habe kein Wort vom Unterricht verstanden, habe mich oft gelangweilt. Nur in Fächern wie Mathe, Chemie oder Englisch konnte ich mitmachen“, erzählt er.
Letztlich, sagt so Attar, lief es aber besser als gedacht: „Ich hab’s gar nicht gemerkt, wie ich nach und nach immer mehr Deutsch gelernt habe.“ Den Hauptschulabschluss bekommt er am Ende der zehnten Klasse nicht, zu viele Fächer können nicht benotet werden.
Ursprünglich war ein Studium geplant
Der Junge wechselt an das Thomas-Eßer-Berufskolleg, besucht die einjährige Berufsfachschule Elektrotechnik und erhält den Hauptschulabschluss. „Ich hatte eigentlich die Idee, Abitur zu machen und anschließend zu studieren“, erzählt er. Doch zu dieser Zeit bekommt die Familie die zweite Ablehnung ihres Asylgesuchs in Deutschland und es wird schnell klar, dass eine Ausbildung bezogen auf das Bleiberecht die bessere Wahl ist.
„Ich hatte mich damals schon für das Programmieren interessiert und mir einiges selbstständig angeeignet“, erzählt er. Obwohl die meisten Firmen das Abitur voraussetzen, schreibt er Bewerbungen, um an eine Ausbildungsstelle zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung zu kommen. „In dieser Zeit brach die Corona-Pandemie aus, die meisten Firmen hatten zu und alles ins Homeoffice verlagert. Antwort habe ich da fast von niemandem bekommen.“
Dann dachte sich Attar, dass er sich irgendetwas einfallen lassen muss, um den nicht vorhandenen, höheren Schulabschluss wettzumachen und aus der Riege der Bewerber positiv herauszustechen: „Ich habe also eine Portfolio-Seite programmiert, um gleich ein bisschen zu zeigen, was ich drauf habe.“
Zwei Firmen beißen an – eine davon ist die Werbeagentur Lemm. „Ich durfte mich zwischen zwei Angeboten entscheiden, das hat sich gut angefühlt“, erzählt Mustapha Attar lachend. Im August 2020 startet er die Ausbildung in Euskirchen: „Hier bei Lemm benutzen wir die gleiche Programmiersprache, die ich schon kannte, was mir den Einstieg sehr erleichtert hat.“
Familie Attar, die in Zülpich-Füssenich zu Hause ist und zu der mittlerweile zwei weitere Kinder gehören, hat zwischenzeitlich den subsidiären Schutzstatus zugesprochen bekommen. „Mein Bruder ist ebenfalls in der Ausbildung, er lernt Karosserie- und Fahrzeugbau“, erzählt Mustapha Attar.
Das Ausmaß von 12 Jahren Krieg in Syrien sei unvorstellbar
Ob er jemals zurückgehen wolle? Der 21-Jährige schüttelt den Kopf: „Syrien ist meine Heimat, das wird auch so bleiben. Aber wenn man weiß, was dort los ist, kann man nicht daran denken, zurückzukehren.“ Hier in der Region habe man erlebt, was eine Nacht Hochwasser an Zerstörung zurücklasse, „und es ist noch lange nicht alles wiederaufgebaut“.
Das Ausmaß der Zerstörung von zwölf Jahren Krieg, dessen Ende noch nicht abzusehen sei, könne man sich kaum ausmalen. „Ich fühle mich hier wohl und habe Freunde gefunden. Nur mein Deutsch ist noch ein bisschen kaputt“, sagt der junge Mann lachend.
Geschichten vom Ankommen
- In der Serie „Ankommen“ stellen wir Menschen vor, die sich auf den Weg gemacht haben - in ein neues Land, in eine neue Kultur und Gesellschaft.
- Was gefällt ihnen an Deutschland, was bleibt fremd? Und welchen Herausforderungen müssen sie sich stellen, um am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilhaben zu können? „Integration setzt die Aufnahmebereitschaft der Mehrheitsgesellschaft voraus wie auch die Bereitschaft der Zugewanderten, die Regeln des Aufnahmelands zu respektieren und sich um die eigene Integration zu bemühen“, so das Ministerium für Integration.
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Freundschaften geschlossen habe er vor allem durch seinen Sport. In Kontakt damit kam er in einem der Flüchtlingsheime in Deutschland, in dem Familie Attar damals lebte: „Da war ein Profi-Tischtennisspieler aus Syrien, der mit uns an der Platte stand. Ich wollte das unbedingt auch lernen!“
Kaum in Zülpich angekommen, seien sein Bruder und er in einen Verein eingetreten und waren schon bald Teil der Jugendmannschaft. „Das ging am Anfang nur mit Händen, Füßen und ein paar Brocken Englisch. Aber wir mussten Deutsch lernen, um dazuzugehören, was gut war.“
Mustaphas Tipps: die Sprache lernen und an sich glauben
Wenn Mustapha Attar aus dem Fenster der Agenturräume an der Thomas-Eßer-Straße blickt, schaut er auf die Gebäude der Zentralen Unterbringungseinrichtung auf der gegenüberliegenden Seite. Junge Männer stehen davor und hoffen vermutlich wie er einst darauf, eine Perspektive in Deutschland zu bekommen. Welchen Tipp er ihnen geben würde?
Mustapha Attar muss nicht lange überlegen: „Die Sprache lernen, das ist unglaublich wichtig. Und dann muss man an sich glauben und darf nicht aufhören, seine Ziele zu verfolgen“, sagt er ernst. Auch wenn man die Ziele am Ende vielleicht nicht erreiche, weil eben auch Glück dazugehöre, dann habe man es zumindest versucht: „Das fühlt sich anders an, als es gar nicht erst zu wagen.“