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Nahe der Grenze?Eifeler besorgt wegen möglichem belgischen Atommüll-Endlager

Lesezeit 5 Minuten
Das Archivfoto zeigt Demonstranten mit einem Transparent gegen Atomkraft vor dem Atomkraftwerk Tihange.

Der Einsatz wurde belohnt: Jahrelang demonstrierten viele Menschen, auch aus dem Kreis Euskirchen, für die Abschaltung von Tihange 2. Doch nach der Abschaltung sind sie längst nicht aller Sorgen ledig. (Archivfoto)

Zwei mögliche Standorte für ein belgisches Atommüll-Endlager liegen nahe der Grenze. Die Entscheidung wird erst in einigen Jahren getroffen.

Die Freude in der Region über die Abschaltung des belgischen Pannen-Reaktors Tihange 2 ist groß. Doch es bleiben Fragen. Im Aachener Aktionsbündnis gegen Atomenergie, so dessen Co-Sprecher Walter Schumacher am Donnerstag im Gespräch mit dieser Zeitung, werde diskutiert, ob es zum Feiern Anlass gebe. Schließlich seien noch fünf nicht mehr ganz junge Atomkraftwerke (AKW) im Nachbarland am Netz und der Ausstieg aus der Kernenergie auf 2035 verschoben.

Und noch etwas bereitet Sorgen. Was passiert mit dem Atommüll? „Derzeit sind sieben Standorte in der engeren Auswahl, diese sind Rocroi, Dinant, Namur, La Roche, Gaume, Herve, das Massif de Stavelot und das Synclinal de Neufchâteau“, teilte das Bundesumweltministerium am Donnerstag mit. Somit befänden sich zwei Standorte nahe der deutschen Grenze. Herve liegt etwa 30 Kilometer westlich von Aachen; Stavelot bei Malmedy ist eine touristisch beliebte Region nahe dem Hohen Venn.

Detlef Seif hofft auf mehr Transparenz der Belgier

Der Weilerswister Bundestagsabgeordnete Detlef Seif (CDU)  jedenfalls mahnt: „Wir sollten möglichst früh unsere Bedenken vorbringen.“ Es handele sich zwar um einen langen Prozess, eine Entscheidung werde wohl frühestens in 15 oder 20 Jahren fallen. Aber das, so Seif, sollte nicht dazu führen, die Sache schleifen zu lassen, zumal 2023 Konsultationen zu dem Thema anstünden. „Ich hielte ein Endlager im Bereich der deutsch-belgischen Grenze für unverantwortlich“, sagt Seif.

Bundestagsabgeordneter Detlef Seif (CDU).

Bundestagsabgeordneter Detlef Seif (CDU) hält ein Endlager im Bereich der deutsch-belgischen Grenze für unverantwortlich.

Er verweist auf eine Aussage des Geologen und Paläontologen Dr. Thomas Servais von der Universität Lille, der in Medien wie folgt zitiert wird: „Es ist kaum möglich, in den tektonisch stark beanspruchten Gesteinsformationen in Eifel und Ardennen einen flachliegenden, isolierten und ungestörten Gesteinskörper zu finden, der für ein Endlager infrage kommt.“

Seif hofft, dass die Endlagersuche vonseiten Belgiens in der Zukunft transparenter geführt wird als in der Vergangenheit. Er stützt seine Hoffnung auf eine Mitteilung der Nationalen Einrichtung für Radioaktive Abfälle und angereicherte Spaltmaterialien (Niras). Darin ist die Rede von einer „Grundsatzentscheidung für eine Tiefenlagerung“. Und es wird deutlich, dass die Entscheidung noch Jahre in Anspruch nehmen wird. Die sieben Standorte, die das Bundesumweltministerium nennt, werden darin aber nicht genannt.

Dieses Jahr wird über das Endlager diskutiert

2023 werde darüber „eine breit angelegte gesellschaftliche Debatte“ stattfinden, heißt es in der Niras-Mitteilung – und: „Hochaktive und/oder langlebige Abfälle benötigen eine Endbestimmung, in der sie viel länger isoliert sind als in jedem Bauwerk, das der Mensch bisher erreicht hat.“ Sicherheit böten ausschließlich stabile geologische Schichten – und die sieht Seif im deutsch-belgischen Grenzbereich eben nicht gegeben: „Letztlich kann man ja auch Erdbeben nicht ausschließen.“

Am Donnerstag hatte Seif von der belgischen Botschaft auf Nachfrage die Zusage erhalten, dass bei einer Standortwahl, die grenzüberschreitende Umweltauswirkungen haben könnte, „natürlich vorher alle erforderlichen internationalen Konsultationen stattfinden“. Auch die Botschaft nannte keine potenziellen Standorte. Der Bundestagsabgeordnete deutet auch das als ein Zeichen für eine größere Transparenzbereitschaft auf belgischer Seite.


Das sagt das Aktionsbündnis

Auch beim Aachener Aktionsbündnis gegen Atomenergie beobachte man die Endlagersuche, so dessen Co-Sprecher Walter Schumacher. Priorität habe der Kampf für die Abschaltung der noch am Netz befindlichen fünf Reaktoren in Belgien. „Wenn ich als Pilot im Flugzeug sitze, das abstürzt, versuche ich doch erstmal den Aufprall zu vermeiden und kümmere mich nicht um die Gräber der Passagiere“, zieht er einen Vergleich: „Wenn sich nun alle auf die Endlagerfrage stürzen, aber sich nicht darum kümmern, dass die anderen Dinger weiterlaufen, ist das ja eine verlogene Debatte.“

Schumacher hält es nicht für ausgeschlossen, dass dies von interessierter Seite in Belgien befeuert werde: „Ich sage es mal ganz böse: Wenn ich für einen staatlichen Geheimdienst arbeiten würde, würde ich es genauso machen. Ich würde die Leute desorientieren, sodass sie vergessen, wo eigentlich der Kampf liegt.“ Zumal er von belgischen Atomkraftgegnern gehört habe, dass ein Endlager in Frankreich im Gespräch sei. Das ergebe seiner Meinung nach auch Sinn, denn die Konstruktionen und Besitzverhältnisse der Anlagen seien französisch geprägt. In den rund 50 französischen AKW falle ja auch viel Atommüll an, da könne es gut sein, dass sich die belgischen AKW dranhängen, spekuliert Schumacher. Er und seine Mitstreiter wollten sich aber zuvorderst der Atommüllvermeidung widmen – und die gelänge am besten, wenn möglichst viele Reaktoren so früh wie möglich abgeschaltet würden. (sch)


Das sagt das Umweltministerium

„Für Endlager im Inland wie im Ausland gelten hohe Anforderungen zum Schutz vor negativen Einflüssen auf Mensch und Umwelt“, erklärte ein Sprecher aus dem Bundesumweltministerium. Es sei internationaler Konsens, dass die geologische Tiefenlagerung die sicherste Entsorgung hochradioaktiver Abfälle sei. Bei der Auswahl eines Standorts gehe Deutschland von einer weißen Landkarte aus. Die geologische Situation sei maßgeblich, sodass die Entfernung von der Grenze nicht entscheidend sein dürfe. „Von unserem Nachbarland Belgien können und wollen wir nichts anderes erwarten“, heißt es aus dem Haus von Ministerin Steffi Lemke (Grüne).

Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) ist Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz.

Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) ist Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz.

„Wir stehen im engen Austausch mit den belgischen Behörden, wie zum Beispiel der für die Entsorgung radioaktiver Abfälle zuständigen Niras. So findet jährlich eine Deutsch-Belgische-Nuklearkommission statt, hier tauschen sich beide Länder zu aktuellen Themen der nuklearen Sicherheit aus“, so ein Ministeriumssprecher. Gerade die direkte Beteiligung der deutschen Bevölkerung sei ein großes Anliegen des Bundesumweltministeriums: „Wir gehen davon aus, dass auf deutscher Seite insbesondere die grenznahe Bevölkerung die Möglichkeit bekommen wird, sich an diesem Verfahren angemessen zu beteiligen.“ Das Verfahren sei noch in einem frühen Stadium. (sch)