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NachwuchssorgenWie Parteien im Kreis Euskirchen Politik wieder attraktiv machen wollen

Lesezeit 7 Minuten
Mehrere große Wahlplakate von CDU, SPD und FDP zur Landtagswahl 2022 stehen nebeneinander.

Im kommenden Jahr ist wieder Wahl: Menschen für Kommunalpolitik zu begeistern sei immer schwieriger, sagen die Parteien im Kreis Euskirchen

Die Kreisvorsitzenden von UWV, FDP, CDU, Grünen und SPD empfinden es als zunehmend schwierig, Menschen für die Kommunalpolitik zu gewinnen.

Die SPD in Zülpich hat zum Casting gerufen. Gesucht wird Zülpichs Next SPD-Ratsmitglied. Mitbringen sollte man Engagement, eine Partei-Mitgliedschaft ist nicht zwingend. Gemeldet hat sich bislang niemand.

„Für mich war der Trigger, dass die Kollegen in Kall das nach der letzten Wahl recht erfolgreich gemacht haben“, erklärt Annegret Lewak, Vorsitzende des SPD-Ortsvereins in Zülpich, den Versuch. Die Kaller Genossen hätten so einige gute Leute gewonnen.

Parteien haben Schwierigkeiten Mitglieder zu gewinnen

Das wollten die Zülpicher kopieren. Noch sei ausreichend Zeit, sich als Neuling vor der Kommunalwahl im Herbst 2025 bekannt zu machen, erläutert Lewak. „Hier in Zülpich sind wir gut aufgestellt, aber auf den Dörfern haben wir schon Sorgen.“ Deshalb das Casting.

Grundsätzlich melden die Parteien im Kreis Euskirchen keinen Personalmangel. Für die Kommunalwahl 2025 sei man gut aufgestellt, berichten die Kreisvorsitzenden von SPD, CDU, UWV, FDP und den Grünen. Dennoch beobachten sie, dass es zunehmend schwierig wird, neue Leute zu gewinnen. So hat etwa die CDU noch keinen Kandidaten für die Landratswahl gefunden, die FDP sucht in Nettersheim noch aktiv Mitstreiter für die Wahl.

Politik ist laut Ingo Pfennings „nicht sexy“ genug

„Grundsätzlich stellt es eine Herausforderung dar, Menschen für Kommunalpolitik zu begeistern“, so Myriam Kemp (Grüne). Ihre Partei könne sich jedenfalls nicht beklagen, dass der Nachwuchs ihr die Türen einrenne, sagt sie mit einem Schuss Galgenhumor.

Das sehen die anderen Kreisvorsitzenden ähnlich. Lediglich Uwe Wegener (UWV) blickt gelassen in die Zukunft. Die UWV freue sich über eine positive Mitgliederentwicklung. In Bad Münstereifel und Weilerswist würden voraussichtlich „zahlreiche neue Gesichter“ antreten, freut sich Wegener.

Doch warum gelingt das nicht den anderen Parteien? Politikverdrossenheit ist der Begriff, der am häufigsten fällt. Politik sei aktuell „nicht sexy“, formuliert es Ingo Pfennings (CDU). Sie stecke in einer „schweren Image-Krise“.

Direkte Ansprache wirkt

Nur: Wie erzeugt man mehr Sexappeal? Nähe, lautet die Antwort der Parteien. Auf die Menschen zugehen, die eigene Arbeit transparent darstellen, Vertrauen aufbauen – das sei nun gefragt, so die Kreisvorsitzenden.  „Wenn ich Menschen gezielt anspreche, dann bekomme ich immer auch positive Antworten und die Menschen bringen sich dann ein“, berichtet SPD-Kreischef Thilo Waasem.

Die Erfahrung hat Annegret Lewak in Zülpich auch gemacht. Oft sitze sie unter der Woche im „Rot“, der Anlaufstelle der SPD in der Zülpicher Innenstadt. Als Selbstständige könne sie auch dort ihrer Arbeit nachgehen. Immer wieder komme sie dabei ins Gespräch mit Passanten. Mit einer Frau habe sie sich häufiger unterhalten – und die sei tatsächlich in die SPD eingetreten.

CDU will nur Mitglieder bei der Kommunalwahl aufstellen

Die Zülpicher Sozialdemokraten setzen in Sachen Attraktivität neben Nähe auf zwei weitere Aspekte: Unverbindlichkeit und Jugend. Zum Casting sind explizit auch Menschen ohne Parteibuch eingeladen. Neu ist die Idee nicht. Auch in anderen Ortsvereinen sowie bei Grünen, FDP und UWV gab und gibt es Rats- oder Ausschussmitglieder, die nicht Mitglied waren oder sind.

Die Idee dahinter: Menschen engagieren sich eher, wenn sie nicht gleich in eine Partei eintreten müssen. Einzig die CDU scheint lieber etwas Festes zu wollen. Sie formuliert für sich den Anspruch, „geeignete Kandidatinnen und Kandidaten aus den eigenen Reihen zu finden“, so Ingo Pfennings.

Zülpicher SPD hat einige junge Leute dabei

Beim Blick in die Reihen der Zülpicher SPD fällt eins auf: Da sitzen einige junge Leute. Allein im Vorstand engagieren sich drei Unter-30-Jährige. Einer davon ist Daniel Jagnow. Der 25-Jährige ist nach der vergangenen Bundestagswahl in die SPD eingetreten.

„Irgendwo muss ja man mal anfangen“, sagt er. Das sehen auch seine Parteikollegen Henrik Bus (22), Ben Kopetzky (18) und Alessandro Lo Presti (26) so. Sie alle wünschen sich, dass junge Leute in der Politik ernster genommen werden.

Ben Kopetzky, Henrik Bus, Annegret Lewak, Daniel Jagnow und Alessandro Lo Presti stehen und sitzen vor dem „ROT“ in der Zülpicher Innenstadt.

Wollen noch mehr Menschen von Kommunalpolitik begeistern: Ben Kopetzky (v.l.), Henrik Bus, Annegret Lewak, Daniel Jagnow und Alessandro Lo Presti.

Nur weil man noch keine 30 sei, heiße das nicht, dass man grundsätzlich keine Ahnung habe, stellt Kopetzky klar. Viele junge Menschen schreckten vor einem politischen Einsatz zurück. Zumal eine Parteimitgliedschaft bei den Gleichaltrigen eher ein „nerdiges Image“ habe.

Junge Leute wünschen sich mehr gespräche auf Augenhöhe

Da ist es wieder. Das Image-Problem. Und wie kann man das beheben? Ganz grundsätzlich müsse die Kommunalpolitik transparenter werden. „Die Leute müssen merken, dass Politik etwas bewirkt“, sagt Jagnow. Er und die anderen drei wünschen sich mehr Information über Kommunalpolitik. Ratssitzungen seien zwar öffentlich, aber da gehe ja kaum jemand hin. Es brauche neue Wege, um den Menschen zu zeigen, dass man sehr vieles auf kommunaler Ebene bewegen könne. Soziale Netzwerke müssten ihrer Meinung nach stärker genutzt werden.

Das versuchen die Sozialdemokraten in Zülpich. Auf Instagram geben sie in kurzen Videoclips Informationen zu Ausschusssitzungen und Angeboten für junge Leute im Stadtgebiet. Wirklich viele erreichen sie damit nicht. Aber immerhin wirke das Ganze frischer als bei den anderen. Die CDU etwa verweist hauptsächlich auf Sitzungstermine, während die Grünen vorrangig eigene Veranstaltung bewerben. Auf dem Profil der FDP findet sich lediglich ein Post aus dem Jahr 2021, bei der UWV gar keiner.

FDP fordert straffere Sitzungen und mehr Digitalität im Stadtrat

Dabei sind es gerade die Liberalen, die sich gerne als Partei für junge Leute inszenieren. Auf Kreisebene scheint das zu fruchten. „Der Anteil junger Menschen unter der Mitgliedschaft ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen“, berichtet FDP-Kreischef Frederik Schorn. Der Generationenwechsel sei erfolgreich abgeschlossen. Für mehr Sex-Appeal setzt die FDP aber auf ein anderes Thema: Zeit.

Mehrstündige Ausschuss-, Fraktions- und Ratssitzungen, dazu noch die Vorbereitungszeit zu Hause – Kommunalpolitik ist nichts, was man mit einer halben Stunde in der Woche abhaken kann. „Der FDP ist es seit Langem ein Anliegen, dass Sitzungen zeitlich so liegen und so straff durchgeführt werden, dass neben dem Engagement noch ein Berufs- und Familienleben möglich ist“, so Schorn: „Leider ist das kaum der Fall.“ Digitale Gremiensitzungen könnten ein Engagement attraktiver machen, ist er überzeugt. Auch diese Möglichkeit werde zu selten genutzt.

Grüne im Kreis Euskirchen wollen diverser werden

Die Grünen setzen auf Diversität. Es sei ihnen ein Anliegen, noch mehr Menschen mit internationaler Geschichte anzusprechen, berichtet die Co-Kreisvorsitzende Kemp. Darum werde man den vielfaltspolitischen Sprecher des Landesverbandes, Firat Yakşun, zu einer Kreismitgliederversammlung einladen. Er soll den Kreis-Grünen Tipps geben.

In der SPD gebe es bereits aktive und kompetente Menschen mit Migrationshintergrund, berichtet Waasem: „Allerdings können und müssen wir da besser werden.“ Das gelte auch für andere Bevölkerungsgruppen, die aktuell in Stadträten unterrepräsentiert seien: Menschen mit Behinderung und Frauen.

Ein Problem, das auch Annegret Lewak und die jungen Männer der Zülpicher SPD sehen. In ihren Augen schrecke das eher schlechte Image der Kommunalpolitik Frauen noch mehr ab als Männer. Nach wie vor werde man auch mit frauenfeindlichen Haltungen konfrontiert, so Lewak.

Sie biete interessierten Frauen daher das Gespräch an. Also wieder Nähe für mehr Attraktivität. Noch sei das allerdings mangels Interesses nicht häufig nötig gewesen, sagt Lewak leicht resigniert. Sie hoffe, dass sich das noch ändere. Schließlich laufe das Casting noch – vielleicht wird Zülpichs Next-SPD-Ratsmitglied ja eine Frau.


Wenn die Auswahl das Problem ist

Manchmal liegt es nicht an mangelnder Sexiness, sondern an der Auswahl. So war es wohl bei Margit Wagner, die erst durch die Gründung der Partei Werteunion (WU), kommunalpolitisch aktiv wurde. Mit anderen Mitstreitern gründete sie den WU-Kreisverband. Inwieweit dieser Schwierigkeiten hat, Menschen für Kommunalpolitik zu begeistern oder neue Mitglieder zu finden, dazu gibt sie keine Auskunft. Grundsätzlich veranstalte die Partei Werte-Treffs, um mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen, berichtet sie.

Zum Thema Frauen schreibt sie, dass es im Landesverband der Partei überdurchschnittlich viel weibliche Mitglieder gebe. Ein Blick auf die Webseite verrät: Im Vorstand sind ein Drittel der Mitglieder Frauen. Im Kreisverband liege der Frauen-Anteil bei „nur 20 Prozent“, so Wagner weiter. Sie zieht dennoch den Schluss: „Quoten lehnen wir ab, denn wie man sieht, geht es auch ohne.“

Im Rahmen der Recherche wurden auch die Kreisvorsitzenden der Freien Wähler (FW) und der AfD angefragt. Detlef Krings (FW) ließ die Anfrage gänzlich unbeantwortet, während Frank Poll (AfD) nur darauf hinwies, „keine weiteren Informationen an eine linksfaschistoide Schmierenjournallie geben“ zu wollen.