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ErdbebenkatastropheMenschen aus dem Kreis Euskirchen trauern, hoffen und helfen

Lesezeit 8 Minuten
Selver Bicilir sitzt zwischen zahlreichen Spenden für die Erdbebenregion in der Türkei und in Syrien.

Die türkisch/syrisch/kurdische Gemeinschaft in Euskirchen sammelt Spenden für die Betroffenen im Erdbebengebiet.

Die Menschen im Kreis Euskirchen sind tief betroffen vom Erdbeben in der Türkei und Syrien. Manche versuchen verzweifelt, Kontakt zu Verwandten zu bekommen.

Cafer Kasisari sitzt in seinem Restaurant in Gemünd und redet in Türkisch auf sein Smartphone ein. Er telefoniert via Video mit seiner Familie in Pazarcik.

Das Dorf liegt in der Provinz Kahramanmaras, die am Montag von zwei Erdbeben der Stärken 7,8 und 7,5 erschüttert wurde. Mehrere Tausend Menschen sind bisher gestorben, Zehntausende verletzt, viele werden noch vermisst. Kasisaris Familie hat überlebt.

Bilder auf dem Handy eines Gemünders zeigen das Leid

Auf seinem Handy-Bildschirm sieht man, wie sein Schwager mit der Familie im Auto unterwegs ist. Sie suchen nach Brot, sagt Kasisari. In dem Ort mangele es an Nahrung und Trinkwasser. Neben der Straße sind auf dem Video einige hohe Mehrfamilienhäuser zu sehen. Da wohne aktuell keiner mehr, berichtet der 52-Jährige.

Die Menschen hätten beim ersten Erdbeben ihre Häuser verlassen. In die Gebäude traue sich niemand, höchstens, um einmal zur Toilette zu gehen. „Die Leute, die ein Auto haben, sitzen im Auto“, sagt Kasisaris Tochter Pelin. Wer kein Auto habe, schlafe im Zelt oder im Freien. Und das im Winter.

Pelin (25) und Cafer Kasari (52) sammeln Geld für  die Betroffenen der Erdbebenkatastrophe in Pazarcik.

Pelin (25) und Cafer Kasari (52) sammeln Geld für die Betroffenen der Erdbebenkatastrophe in Pazarcik. Cafer Kasari wurde dort geboren, seine Geschwister leben dort noch.

Die Leute seien mitten in der Nacht, zum Teil nur mit einem Schlafanzug bekleidet, nach draußen gelaufen, so die 25-Jährige. Sie macht sich große Sorgen: „Wir kriegen ab und zu Videos von Familienangehörigen, wenn sie dann mal Internet haben. Das ist so herzzerreißend.“

Nahrung und Trinkwasser im Erdbebengebiet nur schwer zu bekommen

Auf dem Bildschirm ihres Vaters ist nun ein etwas größerer Platz zu sehen, auf dem Autos und Zelte stehen. Junge Männer schaufeln Sand an die Zelte. Das solle verhindern, dass Regen hineinkomme, übersetzt Cafer Kasisari, was sein Schwager berichtet.

Vor einem anderen Zelt stehen ein paar Frauen und Männer. Sie berichten, so übersetzt Kasisari, dass sie kein Essen mehr haben, keinen Strom, kein Wasser. Sie fragen, wann endlich Hilfe komme.

Bisher kein Hilfstransport im Heimatorts des Vaters angekommen

Bisher sei kein Hilfstrupp in den Heimatort ihres Vaters gekommen, sagt Pelin Kasisari. Dabei seien noch Menschen verschüttet. Auf Videos sei zu hören, wie sie unter den Trümmern nach Hilfe schrien. Er wisse, dass Freunde und Bekannte unter den Todesopfern seien, sagt Cafer Kasisari. Wie viele, dass werde sich erst später herausstellen.

Die Nachrichten aus der Heimat seien schwer auszuhalten, sagt er. Seine Stimme bricht weg. Ihm kommen die Tränen: „Ich könnte tausendmal weinen.“ Er und seine Familien wollen nicht einfach nur zusehen. Via Facebook und Paypal haben sie eine Spendenaktion gestartet. Er werde das Geld persönlich in die Türkei bringen, sagt Cafer Kasisari.

Gemünder will am Freitag in die Erdbebenregion fliegen

Am Freitag oder Montag will er nach Antalya fliegen und mit dem Auto weiter. Tochter Pelin will mit, wenn sie Urlaub bekommt. Von den Spenden wollen sie vor Ort die Dinge kaufen, die am dringendsten benötigt werden. Er hoffe, sagt Kasisari, dass die Menschen in der Eifel, die gerade selbst eine Katastrophe erlebt haben, bereit seien zu helfen.

Auch Ilhan Öz, Inhaber des Stern Grills am Alten Markt in Euskirchen, sammelt im Freundes- und Familienkreis Geld. „Die Menschen haben ihr gesamtes Hab und Gut verloren“, sagt der Imbissbetreiber betroffen. Auch diese Spenden sollen über private Wege ins Katastrophengebiet kommen: „Damit es auch wirklich ankommt.“

Das Handy ist für die Angehörigen zum ständigen Begleiter geworden

Er sei unruhig, sein Handy habe er die ganze Zeit auf Stand-by. Aufmerksam verfolgt er alle Nachrichten. „Die Schwester meiner Schwägerin ist noch unter den Trümmern in Malatya“, berichtet Öz.

Er hoffe die ganze Zeit auf den erlösenden Anruf. Eines ihrer Kinder, fünf Jahre alt, konnte 17 Stunden nach dem Beben, das das Haus zum Einsturz brachte, lebend gerettet werden.

Heute Nacht um 2 Uhr haben wir erfahren, dass eine Verwandte und ihre Tochter, die verschüttet worden waren, gerettet werden konnte.
Enrise Kaya

Viele türkische und syrische Mitbürger legen ihre Handys nicht mehr aus der Hand. „Heute Nacht um 2 Uhr haben wir erfahren, dass eine Verwandte und ihre Tochter, die in Pazarcik in der südtürkischen Provinz Kahramanmaras verschüttet worden waren, gerettet werden konnten“, sagt Enrise Kaya.

Türkische, kurdische und syrische Menschen aus Euskirchen berichten, wie es ihnen mit dem Erdbeben in der Türkei geht.

Türkische, kurdische und syrische Menschen aus Euskirchen berichten, wie es ihnen mit dem Erdbeben in der Türkei geht.

Die Mutter sei jedoch nicht bei Bewusstsein. Medizinische Hilfe gebe es derzeit nicht. Kaya steht im Kadir-Lebensmittelhandel am Alten Markt in Euskirchen und ringt um Fassung: „Heute noch soll von Euskirchen ein Lkw mit Hilfsmitteln in das Gebiet starten – mit Decken, Babynahrung und Medikamenten.“ „Wir beten, beten, beten“, sagt eine Frau von der türkisch-islamischen Gemeinde und weint.

Zahlreiche Spenden sind bereits in Euskirchen und Zülpich angekommen

Selver Bicilir, Inhaberin des Flames Grills, und ihr Lebensgefährte Ali Demirbas organisieren einen Spendentransport in die Türkei. Abgewickelt werde das Ganze über die die türkische Caritas, berichtet Bicilir.

Vor dem Restaurant stapeln sich Kartons, randvoll gefüllt mit Babynahrung, Hygieneartikeln, Schlafsäcken und Decken. Immer wieder kommen Menschen vorbei und geben Hilfsgüter ab. Manche spenden auch Geld. „Auch von uns sind Verwandte gestorben. Wir kriegen alle zehn Minuten Anrufe und können nichts tun, außer zuhören und trösten“, sagt die Organisatorin.

Nur Hilfsorganisationen kommen ins Katastrophengebiet

Aktuell sei es nur Hilfsorganisationen möglich, in das Katastrophengebiet zu fahren. „Weil es zu gefährlich ist, wird dort niemand mehr hineingelassen“, so Bicilir weiter. Ihre Angehörigen kommen ihr zufolge aus Gazianzep, Kahramanmaras, Urfa und Pazarcik Bozlar. „Untätig sein geht gerade einfach nicht. Deshalb haben wir die Spendenaktion organisiert“, erklärt sie.

Am Dienstag gegen 18 Uhr wurde die erste Ladung abtransportiert, doch laut Bicilir ist das nicht der letzte Spendentransport in das Katastrophengebiet: „Wir werden weitere Aktionen organisieren. Vor allem Heizstrahler und Taschenlampen werden benötigt.“

Kaller Walid Kasmus wartet auf ein Lebenszeichen von seinem Bruder aus Antakya

Auf Nachricht wartet Walid Kasmus. Der Kaller kommt aus der Region Idlib in Syrien. Seine Mutter und seine Schwester mit zwei Kindern haben die Erdbeben überlebt, berichtet er.

Aber von seinem Bruder aus Antakya (Türkei) habe er noch nichts gehört. Eine traurige Nachricht habe ihn bereits erreicht: Seine Tante sei tot geborgen worden. Der Bürgerkrieg in seiner Heimat erschwere die Situation, sagt Kasmus. Gerade in der Region Idlib sei man auf internationale Hilfe angewiesen. Er hoffe, dass diese bald dort ankomme. Verwandte hatten Glück Ilhan Gönes von Alis Schuh- und Schlüsseldienst stammt aus dem Gebiet um Elazığ, wo das Beben ebenfalls Gebäude und Straßen zerstört habe.

Schlüsseldienst-Betreiber will Geld für die Opfer sammeln

„So viele Menschen sind gestorben“, sagt Gönes. Seine Verwandten hätten großes Glück gehabt und seien alle mit dem Leben davongekommen. Hier im Laden zu sitzen und nichts tun zu können, sei schlimm für ihn, sagt Gönes.

Was er aus der Ferne machen kann, tut er: Geld sammeln und dafür sorgen, dass es auch wirklich bei den Menschen ankomme. Und nicht irgendwo versickere. „Außerdem habe ich ein Haus dort, das erdbebensicher gebaut wurde. Rund 14 Leute, Onkel, Tanten und deren Familien, sind jetzt da untergebracht.“

Kickerboxer Baker Barakat kurz vor Erdbeben ausgeflogen, nun will er zurück, um zu helfen

Baker Barakat war bis Sonntag in der Katastrophenregion. Auch da war schon Krise wegen des Kriegs, berichtet der Syrer, der seit 1989 in Euskirchen lebt. Nun sei es aber noch viel schlimmer – auch wenn das kaum gehe.

In der kommenden Woche will Barakat wieder in die betroffene Region fliegen, um zu helfen. „Dort gibt es nichts mehr. Ich muss da einfach helfen“, sagt Barakat. Das Problem sei, so der ehemalige Weltmeister im Kickboxen, dass die türkische Regierung im Grenzgebiet mit der Hilfe eher zurückhalten sei, weil es sich um überwiegend kurdisches Gebiet handele.

„Die haben gar kein Interesse, da zu helfen“, sagt Barakat. Was benötigt werde, seien vor allem Decken und warme Kleidung. „Jetzt hat es dort auch noch angefangen zu schneien“, berichtet Barakat, der sich immer wieder mit Freunden über die Situation vor Ort austauscht.

Zülpicher Aram Hassan wartete lange auf ein Lebenszeichen

Gegen 11 Uhr stehen am Dienstag schon zahlreiche Kisten und Kisten im Außenbereich des Zülpicher Restaurants „Aram’s Pizzeria und Grillhouse“. Sie sollen mithilfe eines Transporters nach Düren zum Deutschen Roten Kreuz gebracht werden. Von dort gehen sie dann auf die Reise ins Erdbebengebiet.

Michael Schulze stapelt in Zülpich Spenden aufeinander.

Im Kreis Euskirchen ist nach dem schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien eine Welle der Hilfsbereitschaft angelaufen.

Organisiert hat den Spendenaufruf Michael Schulze. „Ich habe seit der Flutkatastrophe ein Helfersyndrom“, sagt der Zülpicher. Am Montag habe er nach Rücksprache mit seinem ehemaligen Arbeitgeber den Spendenaufruf in den sozialen Netzwerken geteilt und dazu ermutigt, die Sachspenden zum Restaurant an der Krefelder Straße zu bringen. Zwölf Stunden später sind die ersten Hilfsgüter da. „Die Familie meiner Frau kommt aus Gazianteb, einem der Epizentren des Erdbebens“, berichtet Aram Hassan.

Helfer: Es ist völlig egal, wo die Spenden hingehen

Nach bangen Stunden habe seine Frau ihre Verwandten telefonisch erreicht. „Sie leben, haben aber praktisch alles verloren“, sagt Hassan, ein im Irak geborener Kurde: „Wir wollen, nein, wir müssen helfen. Es ist völlig egal, ob die Spenden in die Türkei oder nach Syrien gehen.“

Die Verwandten seiner Frau seien in einer alten Fabrik untergekommen. Es sei sehr kalt im Katastrophengebiet. „Und es gibt immer noch Nachbeben“, berichtet er und bedankt sich im selben Atemzug bei Schulze für die organisierte Hilfe.

Seine Arbeit sei damit aber noch nicht beendet, sagt der Zülpicher, schließlich müsse ein Transporter organisiert werden. Und am Freitag soll sich der nächste Hilfskonvoi auf den Weg machen. Dann werden wohl auch Sachspenden des Vereins „Zusammen für Zülpich“ dabei sein. „Wir stehen im Austausch mit Aram. Alles, was wir an Winterkleidung haben, geben wir mit“, berichtet Vereinsmitglied Markus Stammel.


Burkhard Aehlich kennt sich mit Einsätzen in Katastrophengebieten aus. Der Zugführer der THW-Ortsgruppe Euskirchen war 2014 auf den Philippinen, nachdem ein Taifun dort schwere Verwüstungen hinterlassen hatte, um die Trinkwasserversorgung wieder herzustellen.

Aktuell liege ihm keine Anfrage vor, sagt Aehlich im Gespräch mit dieser Zeitung. Er ist Teil der SEEWA (Schnelleinsatzeinheit Wasser Ausland). Das ist eine operativ-taktische Auslandseinheit, mit der das THW schnell auf akute Gefahrenlagen im Bereich der Trinkwasserversorgung reagieren kann.

Das Deutsche Rote Kreuz im Kreis Euskirchen steht laut Geschäftsführer Rolf Klöcker im Austausch mit dem Bundesverband. „Bisher haben wir keine Unterstützungsanfrage erhalten“, sagt er und fügt an: „Wir als DRK bitten ausdrücklich darum, von nicht konkret nachgefragten Sachspenden abzusehen.“

Sinnvoller seien Geldspenden, mit denen konkret Dinge in der Katastrophenregion beschafft werden können, die dort gerade benötigt würden, sagt der Kreis-Geschäftsführer. (tom)