Vom Mähroboter massakriertIgel-Pflegestelle Euskirchen wird zur Intensivstation
Kreis Euskirchen – Sommer, Sonne, Gartenzeit – der ordentlich getrimmte Rasen gehört für viele Menschen standardmäßig dazu. Wie praktisch, wenn diese Arbeit von einem kleinen Mähroboter übernommen wird – oftmals nachts, so dass sich die Grünfläche am nächsten Morgen in vorbildlicher Pracht präsentiert.
Dass aber die kleinen Alltagshelfer wahre Massaker anrichten können in der Welt der Kleintiere, die in jedem Garten heimisch sind, wissen immer noch zu wenige.
Mähroboter ist Gefahr für Maulwurf, Haselmaus oder Igel
Igel, Haselmäuse, Siebenschläfer oder Maulwürfe – der Mähroboter verletzt und tötet zahlreiche dieser Tiere, die ihm bei seiner Arbeit in die Quere kommen. Ganz besonders betroffen sind Igel, die sich – anstatt zu flüchten – an Ort und Stelle zusammenrollen.
Bei Birgit Jansen, die seit rund 20 Jahren Igel in Not versorgt und eine der beiden Igel-Pflegestellen des Tierschutzvereins Euskirchen betreibt, sind derzeit neun stachelige Patienten untergebracht, die meisten mit schweren Verletzungen durch Mähroboter. „Seitdem diese Technik für jeden erschwinglich ist, haben wir sehr viel mehr zu tun“, so die Dom-Escherin.
War es früher einer von zehn Igeln, der in ihrer Obhut gestorben sei, so seien es heute neun – nur einer überlebe. „Was an der Schwere der Verletzungen liegt, mit denen sie gebracht werden“, sagt Jansen, die bereits an die 3000 Igel versorgt hat.
Tierschutz Euskirchen: Mähroboter machen Igel-Krankenstation zur Intensivstation
Bevor der computergesteuerte Akkurasenmäher Einzug in den deutschen Gärten hielt, kümmerte sich Jansen überwiegend um parasitenbefallene Igel oder solche, die nicht in den Winterschlaf kamen oder zu früh aus diesem erwacht waren.
Mittlerweile ist aus der Igel-Krankenstation eher eine Intensivstation geworden: Da ist Elli, der ein Mäher über den Hinterlauf gefahren ist und die seither vier Operationen über sich ergehen lassen musste. Auch Harald erwischten die Messer am Hinterlauf. Als er kam, hatten sich bereits die Maden über seinen offenen Bruch hergemacht. Jetzt geht es dem Igelherrn schon viel besser.
Patient Uwe hatte nicht so viel Glück, ihm musste der verletzte Vorderfuß amputiert werden. „Er läuft mittlerweile recht gut auf seinem Stumpf“, zeigt sich Jansen zufrieden. Vor seiner Freilassung bekomme er eine Art Plastikschuh, der irgendwann abfalle, so dass das Bein noch eine Weile geschützt sei.
Igeldame Twiggy von Mähroboter in den Bauch geschnitten
Richtig schlimm sah es bei Igeldame Twiggy aus – die Messer eines Mähroboters hatten ihr tief in den Bauch geschlagen und dabei auch den Magen verletzt. „So hat sie sehr schnell sehr viel abgenommen“, erzählt Jansen. „Mittlerweile wird sie ihrem Namen aber nicht mehr gerecht – sie ist sehr proper und kann bald entlassen werden.“
Der Neuzugang auf der Krankenstation hat von Birgit Jansen den Namen Tristan bekommen. „Eine Isolde wird nicht lange auf sich warten lassen“, so die Igelpflegerin mit einer Portion Galgenhumor, ohne die die Arbeit nicht zu leisten wäre. Tristan ist noch benommen von der Narkose, die die Tierärztin ihm geben musste, um seine offene Kopfwunde zu versorgen.
Tierschützerin spricht sich gegen Mähroboter aus
„Die Verletzungen wiederholen sich, es sind immer dieselben Bilder“, sagt Jansen resigniert. Sie hat kein Verständnis dafür, dass Menschen ihre Rasenroboter zu Unzeiten laufen lassen.
„Mit einer Sense oder einem Spindelmäher kann man das Gras übrigens auch gut trimmen, es muss kein Mähroboter sein“, sagt Jansen resolut. Und wer zu faul sei zum Mähen, könne seinen Garten auch betonieren und grün streichen, schlägt sie nicht ganz ernst gemeint vor.
Um so ernster ist es ihr aber mit der Überzeugung, dass jeder Verantwortung trage für das Stückchen Natur am Haus, und damit auch für die darin lebenden Kreaturen.
Igelsicher?: Mähroboter fahren über alles drüber
Auch wenn Hersteller mit dem Attribut „igelsicher“ werben – die Mähroboter erkennen alles, was nicht hart ist, nicht als Widerstand und fahren darüber hinweg. Wer daran zweifle, könne ja gerne einmal seinen nackten Fuß in den Weg stellen, so Jansen.
Wer einen verletzten Igel findet, sollte bestenfalls gleich zum Tierarzt fahren. Gerne könne man sich auch über den Tierschutz Euskirchen an sie und ihre Kollegin in Kirspenich wenden.
Da Igel Wildtiere sind und diese rein formal dem Land Nordrhein-Westfalen gehören, sei die Behandlung der verletzten Tiere kostenfrei, erklärt die Dom-Escherin.
Schutz und Hilfe für Igel
Niemals in der Dämmerung oder nachts mähen
Igel sind dämmerungs- und nachtaktive Tiere, weshalb Mähroboter bestenfalls um die Mittagszeit laufen sollten. Keinesfalls sollte man die Alltagshelfer in der Dämmerung oder bei Nacht über die Wiese fahren lassen. In den kommenden Wochen sind ganze Igelfamilien auf Nahrungssuche im Garten unterwegs.
„Auch bei Tag lohnt es sich, den Rasen vorher abzusuchen. Denn hungrige Igel halten sich nicht an Uhrzeiten“, heißt es auf der Ratgeberseite des WWF, wo Interessierte auch eine Bauanleitung für eine einfache „Igelschürze“ finden, die am Mähroboter angebracht werden kann.
Hier gibt es Hilfe für verletzte Igel
Der Tierschutz Euskirchen hat derzeit zwei Igelpflegestellen: bei Birgit Jansen in Dom-Esch und bei Dr. Heike Bokelmann in Kirspenich. Verletzte und kranke Igel, aber auch andere Wildtiere werden hier versorgt, aufgepäppelt und schließlich wieder ausgewildert.
Die Zahl der durch Mähroboter verletzten Tiere sei in den letzten Jahren drastisch gestiegen. „Seitdem die Geräte für jedermann erschwinglich sind, haben wir gut zwei Drittel mehr Aufwand: Die Tiere kommen in der Regel schwer verletzt bei uns an“, sagt Birgit Jansen. (hn)
www.tierschutz-euskirchen.de
Auf dem Weg zum Auswilderungsgehege geht es durch den Stall, in dem derzeit eine Ziege lebt und Dotty, eine junge Krähe, die mitsamt der Geschwisterschar bei einer Baumfällaktion aus dem Nest geschleudert wurde. „Dotty erlitt dabei eine Schädelverletzung und kann noch nicht wieder richtig sehen“, erzählt Birgit Jansen, die den Vogel per Hand füttert.
Manchmal müsse man die Tiere auch erlösen, vor allem dann, wenn sie keine Chance haben, in freier Wildbahn zu überleben. „Und das ist immer das oberste Ziel: zurück in die Freiheit, zurück in ein artgerechtes Leben“, betont Jansen. Wie sie eine solche Entscheidung treffe? „Solange die Tiere um ihr Leben kämpfen, kämpfen wir mit. Wenn sie aufgeben, haben wir keine Chance.“
In Naturgarten-Gehege werden Igel wieder fit fürs Wildleben
Wer die Rekonvaleszenz überstanden hat, kommt schließlich in ein Gehege unweit des Hofes von Birgit Jansen. Auf dem Grundstück hat sie einen prächtigen Naturgarten angelegt, in dem sich auch 25 Hühner tummeln – jedes Einzelne kennt sie mit Namen.
In der Schutzzone, die von einem stabilen Zaun umgeben ist, können die Igel sich wieder an ein Leben in der Natur gewöhnen. Hier gibt es Totholzhaufen, hohes Gras und jede Menge Pflanzen.
„Zurzeit leben hier sechs Igel – einer davon ist Stevie Wonder“, erzählt Jansen. Der blinde Igel wolle partout nicht ausziehen. Alle anderen aber würden über kurz oder lang entweder zurück in ihre alten Reviere gebracht oder an spezielle Auswilderungsstellen.
Mit Sorge blickt Birgit Jansen auf die nächsten Wochen, denn nun beginnt die Zeit, in der ganze Igelfamilien durch die Gärten spazieren. Auf den Mähroboter, so verlockend er ist, sollte jetzt bestenfalls verzichtet werden.