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Am ZappesGisela Mießeler bedient seit 61 Jahren in der Mechernicher Römerstube

Lesezeit 5 Minuten

Ganz klassisch: Bitburger und Reissdorf hat Gisela Mießeler im Ausschank. Früher hatte sie auch mal Dortmunder getestet.

Mechernich-Eiserfey – Der Tresen ist blitzeblank poliert, die Zapfhähne glänzen, die Gläser sind fein säuberlich im Regal aufgereiht. Der FC-Wimpel steht auf seinem Stammplatz, der Kalender – noch der von der damaligen Kreissparkasse Schleiden – ist selbstverständlich aufs korrekte Datum eingestellt. In der Eiserfeyer Römerstube ist der Platz hinter der Theke das Reich von Gisela Mießeler. Seit 61 Jahren ist das so. Nur nicht an diesem Tag. Da posiert sie nur mal fürs Foto am Zappes. Es ist ihr 80. Geburtstag. Nachdem Corona ihr das Wirtinnen-Jubiläum im vergangenen Jahr verhagelt hat, ist sie nun ausnahmsweise mal Gast in der eigenen Kneipe.

Es wird nicht nur der Ehrentag der Wirtin gefeiert. Es ist auch der Startschuss für die Wiederaufnahme des Kneipenbetriebs nach der langen Corona-Pause. Am Freitag wird sie wieder pünktlich um 17 Uhr die Kneipentür aufsperren, ebenso montags und dienstags – wie es die Eiserfeyer so lange schon von ihr gewohnt sind. Während der Corona-Zeit hat es bestenfalls Beerdigungskaffees gegeben, wenn die Regeln das denn mal zugelassen haben.

Gisela Mießeler und De Männ

Einige Generationen Kneipengänger hat Gisela Mießeler kommen und gehen sehen, seitdem ihre Eltern die Gaststätte übernommen haben und sie selbst im damaligen Hotel Greven in Mechernich „die Gastronomie gelernt hat“ – anders weiß sie es nicht zu beschreiben. Die heutigen Ausbildungsberufe gab es damals noch nicht. Vor allem ihre Mutter Maria Esser ist die treibende Kraft gewesen, die Gaststätte zu übernehmen, als die Familie 1960 aus dem Nachbarort Weyer nach Eiserfey gekommen ist.

In den unzähligen Geschichten, die Mießeler zu erzählen weiß, ist meist von „de Männ“ die Rede – und auch heute ist abseits der Veranstaltungen das klassische Kneipengehen noch eher Männersache. De Männ, das sind die, die einst zum Bier die alten Lieder gesungen und das Klavier in der Ecke gespielt haben. Und die, die zuweilen die Karten durch die Kneipe geschmissen haben, wenn mal wieder wer beim Skat gefuttelt hat. Ihr Vater, so Mießeler lachend, habe das auch ganz gut gekonnt mit dem Futteln...

Nach dem Fußballspiel direkt in die Kneipe

De Männ, das sind in den 60er und Anfang 70er Jahren, als es das Sportlerheim noch nicht gab, diejenigen, die direkt vom Fußballspiel in die Kneipe gekommen sind – und im Keller geduscht haben. De Männ sind auch die, die trotz Sperrstunde nicht von der Theke wegzubekommen sind. Anfang der 60er, erzählt Mießeler, hätte eigentlich um 1 Uhr Schicht sein sollen in der Kneipe. Ist’s ja auch gewesen, die Tür hat man zumindest abgeschlossen. Trotzdem ist für den Dorfpolizisten durchs Fenster unschwer zu erkennen, dass da noch eine fröhliche Runde beim Bier sitzt.

Der Eiserfeyer Saal ist mehr als 100 Jahre alt. Die heutige Gaststätte und den Zwischenbau hat Gisela Mießelers Familie gebaut.

„Ab mit euch, die Treppe rauf“, habe sie de Männ gescheucht: Durch eins der Gästezimmer auf den Speicher über dem Saal sind sie in ihren feinen Sonntagsanzügen geflüchtet. Unglücklicherweise sei die Saaldecke etwas morsch gewesen. Einer oder zwei sind durchgebrochen – doch die Polizei hat die von der Saaldecke baumelnden Beine nicht gesehen. Getraut hat die Wirtin dem Braten nicht, als die Schupos weg sind – wähnt sie sie irgendwo auf der Lauer, um die späten Kneipengänger aufzugreifen, wenn sie selbige verlassen. „Ihr könnt rauskommen, aber hier nicht weg“, habe sie zu der Truppe gesagt, die dann in den Gästezimmern den Rest der Nacht verbracht hat.

Viele Geschichten auf Lager

So viele Geschichten hat die Wirtin über de Männ auf Lager, dass sie damit locker Bücher füllen könnte. Über die, die keiner Saalkeilerei aus dem Weg gegangen sind. Über die, die einen Großteil des Lohntüten-Inhalts gleich in der Kneipe gelassen haben: „Die Frauen waren dann nicht begeistert. Aber großen Stress habe ich mit ihnen nicht gehabt.“ Oder die Lkw-Fahrer, die zu den Zeiten, als es die Autobahn noch nicht gegeben hat, morgens ein paar Bier und Schnaps getrunken und mit ihr um zehn Pfennige Kicker gespielt haben: „Kickern kann ich richtig gut – aber andere Hobbys hab’ ich nicht.“ Auch heute steht der Kicker-Tisch in der Kneipe, wenn etwa Europa- oder Weltmeisterschaft ist.

Jede Zeit, so Mießeler mit Blick auf die vergangenen Jahrzehnte, habe ihre Eigenarten: Heute wird geschockt und nicht mehr gekartet. Vom Gespritzten haben die jungen Leute heute wohl nicht unbedingt probiert. Und die Zeiten, als die Luft derart rauchgeschwängert war, dass die Wirtin sich die brennenden Augen mit Wasser aus dem Spülbecken hat ausspülen müssen, sind auch längst Geschichte. Die Gästezimmer, einst durch die Ausstattung mit fließendem Wasser top-modern, werden heute nur noch ab und an an Pilgergruppen vermietet – sind die Gruppen größer, nächtigt der Rest eben auf Luftmatratzen im Saal.

Kein Grund in Rente zu gehen

Auch die opulenten Büffets, eine Leidenschaft vor allem ihres 2000 verstorbenen Mannes Heinz, werden heute eher selten zubereitet und erst recht nicht mehr weit über Eiserfey hinaus geliefert. Ob sie des Kneipenbetriebs mal müde wird, die Tür einfach zu lassen und sich vielleicht „nur“ auf die Veranstaltungen beschränken will? Die Wirtin lacht: „Die Kneipe ist doch mein Leben.“ Vor etwa zehn Jahren hat Gisela Mießeler das mal ausprobiert mit dem Aufhören. Geklappt hat’s ungefähr zwei Wochen.

Dann hat sich der Gedanke eingeschlichen, dass de Männ ja montags und dienstags nix haben, wo sie ein Bier trinken können. Und der Freitag sei dann auch recht schnell wieder dazugekommen. Ja, die Knie und die Hüfte zwicken ab und an mal. Aber ein Grund, in Rente zu gehen, ist das nicht. Sie hat schließlich einen Hocker hinter der Theke, wenn das Stehen mal zu viel wird. Und der hat gerade einen neuen Bezug bekommen.