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MechernichGespendete Zöpfe werden zu Echthaar-Perücken verarbeitet

Lesezeit 5 Minuten

Sabine Breuer ist glücklich mit ihrer neuen Echthaarperücke. Sie profitiert von der Aktion „Haare spenden“. Ihr waren sechs Jahre zuvor die Haare von einem Tag auf den anderen ausgefallen.

Mechernich – Schnipp, schnapp, macht die Schere. Zimperlich braucht man da nicht vorgehen. Die Rapunzel-ähnliche Haarpracht wird mindestens um 25 Zentimeter gekürzt. Kein Problem! Die Mädchen und Frauen zucken nicht mal mit der Wimper. Sie strahlen sogar übers ganze Gesicht. Schließlich dient die Aktion im Friseursalon von Iris Schmitz einem guten Zweck. Die langen Haare werden gespendet. Schmitz und ihr Team arbeiten an diesem Tag ehrenamtlich.

Fein säuberlich nebeneinander aufgereiht liegen die abgeschnittenen Zöpfe in typisch europäischen Farben – von mittelblond bis braun – auf dem Tisch. Sie werden an eine Manufaktur verschickt, in der aus dem Echthaar Perücken geknüpft werden.

Die erhalten Erwachsene und Kinder, die an Alopezie oder an Krebs erkrankt sind und deren Haare wegen der Krankheit oder den Nebenwirkungen der Chemotherapie ausgefallen sind.

Eine Betroffene ist Sabine Breuer aus Kommern. 2011 hat sie die erste kahle, kreisrunde Stelle auf dem Kopf entdeckt. Sie ist von Arzt zu Arzt gelaufen – doch niemand hat helfen können. Ihre langen, blonden Haare fallen büschelweise aus – bis nichts übrig ist.

Ein „krasser“ Unterschied

Um nicht dauerhaft mit einem blanken Kopf herumlaufen zu müssen, greift sie jahrelang auf synthetische Perücken zurück. „Echthaar-Perücken sind deutlich teurer, die kann sich nicht jeder leisten“, erläutert Schmitz. Doch die unechten Vertreter haben auch Nachteile. Unter Umständen kratzen sie laut Schmitz oder verfilzen schneller. Breuer entwickelt gar eine Allergie und muss Cortison nehmen, um das ungeliebte Haupthaar überhaupt (er)tragen zu können.

An diesem Tag ist sie vor dem Besuch des Friseurs besonders aufgeregt. Sie soll ihre erste Echthaarperücke erhalten. Möglich wird das durch die Aktion „Haare spenden“, bei der jemand die Haare für sie gespendet hat.

Jetzt freut sie sich über das neue, angenehme Tragegefühl. „Das ist echt ein krasser Unterschied“, sagt sie begeistert. Der Vorteil liege auf der Hand – besser gesagt auf dem Kopf. Die Echthaarperücke werde wie ein Maßanzug an die Kopfform angepasst. „Man hat ein viel sichereres Gefühl. Es ist, wie bei einem Pulli, den man anzieht“, so Breuer. Für die Optik schneidet Schmitz noch die Spitzen passend.

Breuer ist glücklich: „Das erinnert mich daran, wie sich meine Haare früher angefühlt haben.“ Und auch ihr Freund ist begeistert von ihrem neuen, braunen Langhaar-„Outfit“. Lachend sagt er: „Ich habe sie zuerst gar nicht erkannt.“ Er hat allerdings auch einige Frauen um sich – die Aktion stößt auf große Resonanz im Salon.

15 Spenderinnen zählt Schmitz am frühen Nachmittag. Denise Volz, 32 Jahre, hat von der Aktion über die sozialen Netzwerke erfahren. Für die aus Gehn stammende Frau ist sofort klar: „Das mache ich.“

Die Aktion

Die Aktion „Haare spenden“ ist noch jung: 2015 wurde sie von Ehrenamtlern ins Leben gerufen. „Das Projekt fand Anklang und wuchs rasant“, so Lena Herrmann von der Organisation. Das Credo: Man will Haarspender (im Bild: Mailin Kirst aus Füssenich) und Haarempfänger aus ganz Deutschland zusammenbringen.

Betroffene können sich die Farbe der Perücke auswählen. Eine Mitarbeiterin schicke rund 20 Haarproben in unterschiedlichen Farben zur Auswahl zu. (kir)

www.haare-spenden.de

Drei bis vier Zöpfe sind für eine Perücke nötig. „Das sind etwa 150 bis 200 Gramm Haare“, so Harald Hitzler von „Haare spenden“. Volz spendet satte 40 Zentimeter. Die 14-Jährige Mailin Kirst aus Füssenich und die 16-Jährige Jana Leonhardt aus Mechernich tun es ihr gleich. „Das haben wir gerne getan und würden es sofort wieder tun“, versichern sie. Ihr neues Styling fühle sich viel leichter an.

Um eine Echthaarperücke optimal anzupassen, ist ein Abdruck des Kopfes nötig. Den lässt sich die 56-Jährige Antje aus Rheinbach machen. Sie teilt das Schicksal mit Breuer. Nach einem Schock gingen ihr innerhalb von 48 Stunden alle Haare am Körper aus und wuchsen nie wieder richtig nach.

Gespannt schaut sie in den Spiegel, während Folie und Abdruckband Zentimeter für Zentimeter auf den Kopf geklebt werden.

„Für eine Frau ist es nicht schön, keine Haare zu haben. Ich finde einen Mann mit Glatze aber erotisch“, stellt sie fest.

Die Herstellung einer geknüpften Echthaarperücke ist aufwendig und damit sehr teuer. Für eine Perücke in mittlerem blond und mittellang muss man gut 3000 Euro auf den Tisch legen. Das Problem: „Die Kasse übernimmt meistens nur einen bestimmten Betrag“, sagt Schmitz – im Schnitt rund 380 Euro.

Echte Haare sind langlebig

Mit den gespendeten Haaren werden die Perücken erschwinglicher, da die Empfänger für die Haare kein Geld aufbringen müssen. Knappe 1000 Euro seien noch zu stemmen. Die Mechernicher Stiftung beteilige sich mit 500 Euro an der Aktion, so Iris Schmitz weiter.

Wie für Gold gebe es sogar für Haare einen Markt, sagt Hitzler: „Echte Haare, die europäischen Ursprungs sind, sind fast unbezahlbar.“ Deutlich billiger erhalte man Haare aus Indien. Da dort aber schwarze Haare überwiegen, müssten sie für europäische Kunden heller blondiert werden – und darunter leide die Qualität. Echtes Haar halte definitiv länger als synthetisches – selbst ohne Verbindung zum Kopf. Hitzer: „Sie bestehen aus Horn. Selbst wenn man stirbt, überlebt das echte Haar noch 1000 Jahre und mehr.“