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Nach der Flut 2021Hochwasserschutz: Die Urft kann sich nun in Nettersheim ausbreiten

Lesezeit 4 Minuten
Sechs Personen stehen an einem Fluss auf einer Schotterfläche.

Stellten das Projekt vor: Ulrike Kreuer, Alexander Mauel, Norbert Crump, Stefan Stoff, Marita Müller-Ahrens und Wolfgang Düx

Zwei Fliegen mit einer Klappe: Maßnahme in Nettersheim nutzt der Natur und dem Hochwasserschutz. Jetzt wurde das Projekt vorgestellt.

Eigentlich sieht der „Bach“, wie jedwedes Fließgewässer in der Eifel gern despektierlich bezeichnet wird, in diesen Tagen so aus, als könne er kein Wässerchen trüben und als bestehe keinerlei Möglichkeit, dass er sein angestammtes Bett jemals verlassen werde.

Unauffällig plätschert die Urft durch Nettersheim, durch die Trockenheit der vergangenen Wochen arg geschrumpft. Nichts erinnert an die Wassermassen, die vor dreieinhalb Jahren hier vorbeischossen und Tod und Verderben über das Tal brachten.

Nettersheim: Freiraum für das Wasser und die Natur

Doch in den Köpfen der Menschen sind die Zeiten nicht vergessen. Wer gesehen hat, wie die Urft sich ihren Weg durch den Ortskern bahnte, wird ihre Zerstörungskraft nicht unterschätzen. Umso wichtiger ist es, so schnell es geht, Maßnahmen zu treffen, um die Ausmaße möglicher Überschwemmungsszenarien einzudämmen.

Aber der Kontext der Bauarbeiten, die derzeit auf Pfaffenbenden am Naturzentrum stattfinden, geht noch weiter. Denn im Gegensatz zu dem Trend, Fließgewässer immer mehr in ein festes Korsett zu zwängen, steht die Absicht, hier der Urft mehr Raum zu geben und eine natürliche Entwicklung in Gang zu setzen.

Rund 300 Kubikmeter Erdreich wurden ausgehoben und die tiefergelegte Fläche mit grobem Schotter bedeckt. Auf der so entstandenen Fläche sollen sich der „Bach“ und die Natur frei entfalten können. „Hier ist der Spielplatz der Natur, dort drüben ist der Spielplatz der Kinder“, fasst es Bürgermeister Norbert Crump griffig in Worte.

Wiederaufbau nach der Flut: Maßnahme kostet Kommune nichts

Das macht schon Sinn, denn dort, wo jetzt ein Schotterbett zur Überflutung bereitsteht, haben bislang Kinder gespielt. Hier konnten die jugendlichen Teilnehmer der Bildungsveranstaltung „Leben im Bach“ in das Wasser einsteigen, Proben nehmen und erforschen, was in dem kleinen Fluss zu entdecken ist.

Damit ist es jetzt vorbei, denn der Bereich wird in Zukunft eingezäunt und für Menschen nicht mehr zugänglich sein. „Hier soll nur noch von außen beobachtet werden können“, kündigte Crump an.

Diese Baumaßnahme, die im Zuge des Wiederaufbaus nach der Flut über den Wiederaufbaufonds zu 100 Prozent finanziert wird, steht so in einem größeren Kontext. Denn der Umbau sei ein Wunsch gewesen, der bei einer Bürgerversammlung im Rahmen des Hochwasserschutzes für den Nettersheimer Dorfkerns zur Sprache gekommen sei, führte Crump aus.

Hier ist der Spielplatz der Natur, dort drüben ist der Spielplatz der Kinder.
Norbert Crump, Bürgermeister

„Diese Idee passt zu dem Ansatz, den Naturschutz zu fördern und gleichzeitig den Bildungsansatz zu berücksichtigen“, sagte er. Die Menschen würden sich hier komplett zurücknehmen und der Natur ihren Raum geben.

Denn in dem Überschwemmungsbereich soll sich die Natur ungestört entwickeln können. Das Schotterbett, noch unansehnlich, soll bei Überschwemmungen mit Sedimenten gefüllt und damit zu einem wertvollen Lebensraum für Spinnen, Asseln oder Käfer werden – Nahrung für die Wasservögel, die an der Urft unterwegs sind.

„Die Steine sind dabei förderlich“, sagte Wolfgang Düx, Leiter des Bildungswerks Nettersheim. Genau an dieser Stelle sei ein Entlastungsarm der Urft gewesen, der in der Regel zweimal pro Jahr überschwemmt wurde.

Freude bei Naturschützern: Die ersten Bachvögel sind schon da

„Schon gestern konnten wir die Gebirgsstelze und die Wasseramsel, zwei typische Bachvögel sehen, die die Steine als Ansitz für ihre Nahrungssuche nutzten“, erklärte er. In dem Bereich sollten dynamische Prozesse in Gang kommen, etwa die Sukzession der Naturentwicklung, die normalerweise vom Menschen unterbunden werde.

So würden sich zuerst Pioniergesellschaften bilden. Doch was ist dann zu erwarten? „Wir lassen uns überraschen“, so Biologe Düx. Die Kinder würden derweil ein Stück weiter in Richtung Römerplatz die Möglichkeit haben, in die Urft zu steigen, um Wasserproben zu entnehmen und das Leben im Bach zu erforschen.

Neuer Regenwasserkanal soll Kirmesplatz und Naturzentrum schützen

Fachlich begleitet wird die Maßnahme von Ulrike Kreuer und Marita Müller-Ahrens, die für die Gemeinde tätig sind. Die Absenkung und Neugestaltung der Fläche wird rund 150.000 Euro kosten, doch die Arbeiten sind noch umfassender.

Denn nicht nur die Wege über Pfaffenbenden werden neu angelegt, sondern es entsteht auch ein neuer Regenwasserkanal, der den Niederschlag in Zukunft bis zum Kirmesplatz und damit am Naturzentrum und am Ortskern vorbeileiten wird.

„Das wird den Druck auf den Römerplatz vermindern“, so Crump zu dieser Maßnahme. Sie stehe aber auch im Zusammenhang mit der Absenkung des Kirmesplatzes und der Fläche „Röderpesch“ am Genfbach, die ökologisch umgestaltet werden sollen. „Die Maxime ist, dass es in unser Programm ,Ökosystem Nettersheim' passt“, so Crump.