Schlacht im Eifeler „Totenwald“Einer der grausamsten Kämpfe des Zweiten Weltkriegs
- Am Allerseelentag vor 75 Jahren begann in der Nordeifel einer der grausamsten Kämpfe des Zweiten Weltkriegs.
- Die Schlacht im Eifeler „Totenwald“ war die bis dahin schwerste Niederlage des US-Militärs und ist bis heute ein amerikanisches Trauma.
- Inmitten der grausamsten Kämpfe im Hürtgenwald wurde ein deutscher Arzt zum Helden.
Als ich vor einigen Jahren auf der Suche nach einem Stoff für einen Roman über den Zweiten Weltkrieg war, brachte mich ausgerechnet die in den 60er-Jahren spielende amerikanische Fernsehserie „Mad Men“ auf die Spur. Der Held ist Kreativdirektor einer New Yorker Werbeagentur, befindet sich in der Midlife-Crisis und fährt mit dem Auto nach Kalifornien, um dort aus seiner Depression herauszufinden. Irgendwo in einer unbedeutenden Kleinstadt im Mittleren Westen macht er halt und gerät in ein Veteranentreffen. Es folgt Smalltalk mit seinen Tischnachbarn, doch dann – alle haben getrunken - fordern diese einen unter ihnen auf, dem fremden Gast auf Durchreise seine schauerlichste Kriegsgeschichte zu berichten: „Erzähl’ ihm vom Hürtgenwald!“
Bei diesem Stichwort zuckt Don Draper und was dann folgt, ist tatsächlich grausam: Drei hoffnungslos im Wald versprengte GIs, die ein paar Deutsche überwältigen, diese ihre eigenen Gräber im gefrorenen Waldboden schaufeln lassen, und sie schließlich abknallen – um das deutsche Kommissbrot essen zu können.
Ich hatte noch nie von diesem grauenerregenden „Hürtgenwald“ gehört, stellte dann aber bald fest, dass diese Szene keineswegs zufällig gewählt war, sondern die Hürtgenwaldschlachten in der amerikanischen Erinnerung eine prominente Rolle einnehmen. Denn im Herbst/Winter 1944 ereignete sich hier die bis dahin größte Niederlage der US-Militärgeschichte.
Death-Factory. Todesfabrik – so nannten sie den Huertgen-Forest, den Schmerzenswald, der bis zum heutigen Tag für amerikanische Ohren das Grauen des Krieges in seinem Namen trägt, ein etwa vierzig Kilometer breiter Abschnitt der Front in der Nordeifel, südlich von Aachen.
Ausgerechnet auf diesem katastrophalen Kriegsschauplatz, während der zweiten von vier Schlachten, der sogenannten „Allerseelenschlacht“, die am 2. November 1944 begann und bis zum 10. November dauerte, ereignete sich aber auch das sogenannte „Wunder vom Hürtgenwald“, die humanitäre Großheldentat eines deutschen Militärarztes, für die er – als einer von im ganzen nur zwei Angehörigen der Wehrmacht – fünfzig Jahre nach Kriegsende von der US-Armee geehrt wurde.
Als ich diese beiden extremen Seiten zusammen sah – einerseits die grausame Schlacht an Allerseelen 1944, andererseits das „Wunder vom Hürtgenwald“, da wusste ich, dass ich meinen Stoff gefunden hatte.
Zunächst einmal suchte ich nach Informationen über diesen Arzt. Sein Name war Günter Stüttgen (1919-2003), geboren in Düsseldorf und seit den späten 60er-Jahren Chef der Dermatologie am West-Berliner Rudolf-Virchow-Klinikum. Stüttgen wurde nach dem Krieg einer der weltweit führenden Hautärzte, vor allem auf dem Gebiet der Pharmakologie. So war er der Erste, der die Bedeutung von Kortison erkannt hatte. Umso erstaunlicher, dass ein halbes Jahrhundert vergangen war, bis amerikanische Militärhistoriker in ihm den „German Doctor“ aus dem Hürtgenwald identifizieren konnten, der nach übereinstimmenden Augenzeugenberichten hunderten verletzten Amerikanern das Leben gerettet hatte.
Stüttgen selbst hatte später niemals davon erzählt, denn er habe ja nur seine Pflicht getan. 1944, sagte er in seiner Dankesrede in Harrisburg, sei ihm durchaus bewusst gewesen, dass die amerikanischen Soldaten gekommen seien, um dem Naziterror ein Ende zu bereiten. In diesem Sinne fühle er sich nur als ein Repräsentant der deutschen Truppenärzte während des Kriegs, „die an meiner Stelle ganz genau so gehandelt hätten.“ So ungewöhnlich die Bescheidenheit dieses herausragenden Wissenschaftlers und stets dem Menschen zugewandten Arztes, so bemerkenswert war, was der damals 25-jährige Sanitätshauptmann tatsächlich vollbracht hatte: nichts weniger als „das Wunder vom Hürtgenwald“.
Heinz Münster, Chef der vierzehnten Kompanie, die zum Infanterieregiment 1056 gehörte, beschrieb die Situation wie folgt: „Im Tal des Flüsschens Kall, nahe der sogenannten Mestrenger Mühle, entbrannte ein Dschungelkampf, bei dem ein normaler Frontverlauf schwerlich zu erkennen war. Freund und Feind lagen sich auf engstem Raum gegenüber und kämpften verbissen Mann gegen Mann. Die Verluste auf beiden Seiten waren erheblich. Die Versorgung von Verwundeten war in dem schwer zugänglichen Gelände für beide Seiten nahezu unmöglich geworden. Hilferufe aus diesem Kampfgebiet ließen Schlimmes erahnen.“ Und weiter: „In dieser Situation entschloss sich Dr. Stüttgen, durch unmittelbare Verhandlungen mit dem Gegner dreimal eine Feuerpause zu vereinbaren, damit beide Seiten Verwundete versorgen und ihre Gefallenen bergen konnten.“
Inmitten einer der härtesten Schlachten der Militärgeschichte gelang es diesem Sanitätshauptmann einen Raum der Humanität zu eröffnen, drei Tage lang Leben zu retten. Es war der einzige Lichtblick in einem militärischen Desaster, das später viele amerikanische Historiker als Vorläufer des Vietnamkrieges verstanden sehen wollten – denn im Hürtgenwald kämpften die US-Truppen zum ersten Mal in einem Wald. Auch wenn es kein tropischer Regenwald, sondern ein hundert Jahre alter deutscher Plantagenwald war, der ein bizarr schroffes, schneebedecktes Gebirge überzog, die Nordeifel.
An der Siegfriedlinie
Dabei hatte die militärische Lage noch Anfang September so gut ausgesehen, dass nicht wenige Amerikaner darauf hofften, die Achsenmächte bis Weihnachten besiegt zu haben. Im Pazifik war die japanische Marine zerstört, Admiral Nimitz und General MacArthur bereiteten die Landung auf den Philippinen vor. Die Rote Armee wälzte sich, unter horrenden eigenen Verlusten, unaufhörlich nach Westen. Die Landung in der Normandie am 6. Juni hatte wie erwartet einen hohen Blutzoll gekostet, aber schon Mitte August war Paris kampflos befreit worden, vorneweg mit einem als Kriegskorrespondenten akkreditierten Ernest Hemingway, der das Hotel Ritz und dessen Bar zu seinem persönlichen Hauptquartier machte. Mitte September, drei Monate früher als geplant, stand man an der Grenze des Altreichs, der Siegfriedlinie. Doch hier litten die alliierten Truppen unter Nachschubproblemen – schließlich musste jeder Liter Treibstoff und jede Dose Corned Beef mit Lastwagen von den Häfen der Normandie an die Front transportiert werden. Montgomerys „Operation Marketgarden“ sollte hier Abhilfe schaffen und die Versorgung über die holländische Küste ermöglichen, scheiterte aber.
Spannungen wegen des weiteren Vorgehens gab es deshalb nicht nur zwischen Briten und Amerikanern, sondern auch zwischen den amerikanischen Generälen selbst, die sich eine Art von Wettrennen um eingenommenes Gebiet und ausgeschaltete deutsche Soldaten lieferten – hier wurde das „Body Counting“ erstmals zum Sport der Generalität.
Die erste deutsche Großstadt, die man schließlich attackierte, war Aachen. Südlich der alten Kaiserstadt bekam die etwa zweihundertfünfzigtausend Mann starke erste US-Armee von General Hodges die Aufgabe, die Kontrolle über das Flusssystem der Rur zu erlangen, einen in den belgischen Ardennen entspringenden Fluss, der durch die deutschen Städte Monschau und Düren fließt. In der Ebene dahinter lag der Rhein, das letzte natürliche Hindernis, dessen Überwindung den Weg ins Ruhrgebiet freimachen würde – das industrielle Zentrum Deutschlands, das die Amerikaner um jeden Preis vor der Roten Armee erreichen wollten. Dazu mussten sie das gut achtzig Quadratkilometer große Waldgebiet, das sie nach dem Dorf Hürtgen „Huertgen-Forest“ nannten, erobern. Die Nordeifel aber war den Generälen, allen voran Dwight D. Eisenhower und Omar Bradley, kaum bekannt. So übersahen sie und die Generalstäbler um sie herum auch, dass die Rur und ihre Nebenflüsse durch Staudämme reguliert waren. Durch Sprengung der Talsperren hätten die Deutschen die Rheinebene fluten und den Invasoren erhebliche Probleme bereiten können.
Buchtipp und Lesungen
„Propaganda“, Steffen Kopetzkys Roman zur Schlacht im Hürtgenwald, ist Ende August erschienen (Rowohlt, 496 Seiten, 25 Euro)Lesungen30.10.2019 Bergheim Stadtbibliothek3.2.2020 Nettersheim Holzkompetenzzentrum Rheinland4.2.2020 Köln BuchhandlungGoltsteinstraße 785.2. 2020 Würselen BuchhandlungSchillings / Kulturzentrum
Während der Vormarsch der Amerikaner rund um Aachen nur mühsam weiterkam, arbeiteten die Deutschen Tag und Nacht an der Verstärkung der Verteidigungslinie im Hürtgenwald: „Der Spaten darf nicht kalt werden!“, lautete die Devise.Die Radiostationen der Amerikaner spielten den neuesten fröhlichen Schlager, „We’re Gonna Hang Our Washing on The Siegfried Line“, als schließlich am Freitag, dem 6. Oktober, einem sonnigen Herbstmorgen, der Angriff auf das Tal der Weißen Wehe und damit die erste von insgesamt vier Abwehrschlachten im Hürtgenwald begann. Ohne Ortskenntnis, mit fehlerhaften Karten und unerfahrenen jungen Soldaten, die noch niemals zuvor in einem Wald gekämpft hatten, nahm damit das größte Desaster in der Geschichte der US-Armee seinen Lauf. Die hier von überall her zusammengezogenen, kampferprobten Soldaten der Wehrmacht stemmten sich eisern gegen die GIs und würden ihnen in insgesamt vier Abwehrschlachten bis zum Februar 1945 Widerstand leisten.
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Die Allerseelenschlacht war die zweite dieser Schlachten und besonders die Kämpfe um die Eroberung der hoch auf einem Bergrücken gelegenen Dörfer Schmidt und Kommerscheidt waren von besonderer Tragik und Brutalität. Auf dem äußerst schmalen Pfad der durch den Wald, über das Flüsschen Kall und den Berg hinauf führte, havarierten durch Fahrfehler, Minen und Artelleriebeschuss mehrere Panzer und blockierten für die schließlich in Schmidt angekommenen Truppen den Nachschub. Die Amerikaner hatten sich also gleichsam selbst abgeschnitten.
Ein Planspiel wird Realität
Diesen bei besserer Vorbereitung eigentlich vorauszusehenden Umstand bezahlte dann die „P.B.I.“, The Poor Bloody Infantry, „die arme blutige Infanterie“, denn die deutschen Generäle hatten genau diese Situation vorausgesehen, entsprechende logistische Planungen getroffen und metzelten die in die Falle geratenen Einheiten ab.
Es gehört zu den schrecklichen Koinzidenzen dieser Schlacht, dass der Hürtgenwald im November 1944 auch deshalb so kompromisslos verteidigt wurde, weil der Raum Düren, der vom Hürtgenwald quasi beschirmt wird, das Aufmarschgebiet für die Ardennenoffensive darstellte. Der Hürtgenwald musste deshalb unbedingt gehalten werden, und deshalb befahl der Feldmarschall Model ein Kriegsspiel auf Schloss Schlenderhan in Quadrath-Ichendorf, damals wie heute eines der weltweit erfolgreichsten Gestüter für Rennpferde.
Gerade als das Planungsspiel fertig aufgebaut war, kam die Nachricht, dass der amerikanische Angriff, den man vorab hatte analysieren wollen, begonnen hatte. Das war das Glück der Deutschen und das Pech der Amerikaner, denn wenn man so will, war dieses Kriegsspiel, an dem alle Kommandeure teilnahmen, die über Telefon und Funk mit ihren Einheiten verbunden waren, die erste komplexe Echtzeitsimulation. Durch diesen gigantischen Überblick konnte die Wehrmachtsführung ihre Truppen auf eine Weise führen, wie es noch niemals zuvor in der Militärgeschichte möglich gewesen war. Ein gigantischer Zufall, an dem dann auch eine Eliteeinheit wie die 116. Panzerdivision, die „Windhund-Division“ beteiligt war. Sie sollte eigentlich für die Ardennenoffensive geschont werden, trug dann aber in der Allerseelenschlacht erheblich zur Entscheidung gegen die Amerikaner bei.
Vier US-Divisionen wurden im Hürtgenwald nacheinander aufgerieben, unter anderem auch die vierte US-Division, bei der der Schriftsteller Jerome D. Salinger („Der Fänger im Roggen“) diente. Salinger wurde im Hürtgenwald für den Rest seines Lebens traumatisiert, aber auch Ernest Hemingway, der immer noch auf der Suche nach dem Stoff für den großen Roman über den Zweiten Weltkrieg war, und davon träumte ein amerikanisches „Krieg und Frieden“ zu schreiben, sah mit Grauen, was das von den Generälen unerbittlich weiter vorangetriebene Gemetzel in der winterlichen Nordeifel für Amerika war: die Bluttaufe der kommenden Supermacht, die um jeden Preis mit der Sowjetunion mithalten würde, auch wenn es darum ging, gnadenlos die Leben ihrer Soldaten zu opfern.
Zerstörte Wälder
„Amerika muss aufpassen“, schrieb er 1946 im Vorwort zur Anthologie „Der Schatz der Freien Welt“, „vom mächtigsten Land der Welt nicht bald zum meistgehassten Land der Welt zu werden.“
Durch die monatelang währenden Kämpfe wurde die Nordeifel völlig zerstört. Die Dörfer zerschossen, die Felder und Wiesen verwüstet. Am schrecklichsten aber hatte es die Wälder getroffen – zerfetzt, zersplittert, verbrannt und zerbombt. Was noch übrig war, brannte im Sommer 1948 wochenlang, denn die im Boden befindlichen Kampfmittel hatten sich entzündet und bereiteten den gerade in ihre Heimat zurückgekehrten Bewohnern das nächste Inferno. Einer, dem das Grauen auch nach dem Krieg keine Ruhe ließ, war Julius Erasmus (1895 – 1971). Erasmus hatte bei der Schlacht um Aachen seine gesamte Familie und seinen Besitz verloren und sich nach dem Krieg in eine Hütte im Hürtgenwald zurückgezogen.
„Im Sommer 1945 kam ich zurück“, so erzählte der vormalige Textilfabrikant später. „Der Krieg hatte mir alles genommen. Und da fand ich sie, die Toten, in den Chausseegräben, am Waldrand, unter zerschossenen Bäumen. Ich konnte sie einfach nicht da liegen sehen, unbestattet und vergessen. Es ließ mir keine Ruhe“. 1569 deutsche Gefallene hat Erasmus – oft unter Einsatz seines Lebens – im Hürtgenwald geborgen. Er wurde der „Totengräber von Vossenack“ und auf dem dortigen Ehrenfriedhof erinnert ein Kreuz an ihn. Erasmus war einer von den zweihundertfünfzigtausend Amerikanern und Deutschen, denen der Hürtgenwald zum Schicksal wurde – als Kriegsgefangene, Verwundete oder Gefallene. Bis heute, 75 Friedensjahre später, kann man ihre Spuren in den Wäldern der Nordeifel entdecken.