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DistopiaNeues Live-Spiel in Vogelsang nach dem Vorbild von „Escape Rooms“

Lesezeit 4 Minuten

Nach Hinweisen suchen die Fluchthaus-Testerinnen Nina Göpel (r.) und Michaela Haller in dem, was ein Grenzposten auf der uralten Schreibmaschine getippt hat.

Schleiden-Vogelsang – Distopia ist spartanisch, es ist auch an diesem Sommertag recht kühl, es fällt nur mäßig viel Licht in den Raum mit der weiß getünchten Wand und den rötlichen, groben Bodenfliesen. An der Wand hängt eine Karte von Distopia, jenem fiktiven Land, in das die Besucher gleich eintauchen. Die Umrisse erinnern leicht an die Syriens.

Distopia ist binnen fünf Tagen in dem ein wenig abseits auf dem Vogelsang-Gelände gelegenen und einst von der belgischen Militärhundestaffel genutzten Haus entstanden. Es gibt weder Strom noch Wasser, den wild wuchernden Gräsern und Sträuchern haben die Teilnehmer des Peace-Camps Einhalt geboten.

Distopia ist zwar der Fantasie der jungen Leute um ihre Betreuer Simon Jägersküpper und Rolf Zimmermann vom Kreis-DRK sowie Nina Ferenschild vom DRK-Landesverband entsprungen. Das beliebte Live-Spiel „Escape Room“ haben sie sich zum Vorbild genommen und es im Sinne des Menschenrechts-Gedankens, der vom DRK in Vogelsang so intensiv vermittelt wird, mit Leben gefüllt.

Distopia ist kein friedlicher Ort. Es herrscht Krieg. Durch die verschlossene Tür dringen unheilvolle Geräusche. Durch diese Tür treten Nina Göpel und Michaela Haller vom DRK-Landesverband. Sie sind aus Düsseldorf gekommen, um das Werk der Peace-Camp-Teilnehmer zu testen. Sie werden als erste aus Distopia flüchten.

Beklemmend realistisch

Ein Wohnzimmer, liebevoll eingerichtet mit Tisch und Stühlen, Büchern, Bildern und einem alten Radio ist Ausgangspunkt der Flucht. Dieser so gewohnte Ort muss verlassen werden. Es ist der Beginn einer langen Reise. Was für so viele Menschen bitterer Ernst ist, wird nun in Vogelsang in spielerischer Form und mit beklemmend realistischen Elementen umgesetzt.

Ahmad und Hussein haben die Flucht aus Syrien am eigenen Leib erfahren. Zwölf Tage hat Ahmad im vergangenen Jahr benötigt, um aus der Küstenstadt Latakia nach Deutschland zu kommen. Beide nehmen nun am Camp teil. Ihre Erfahrungen und Informationen helfen, das Fluchthaus aufzubauen. War es schwer, für das Projekt die Flucht noch einmal zu durchleben? „Es ist okay“, sagt Ahmad. Und auch, dass in Vogelsang die Flucht im Zeitraffer – in 45 Minuten – erfahrbar gemacht werden soll. Göpel und Haller durchsuchen derweil das Wohnzimmer. Was ist brauchbar für die Flucht? Wo sind Hinweise? Die Schlüssel aus dem kleinen Kästchen nehmen sie sicherheitshalber alle mit – ohne zu wissen, ob sie ihnen nutzen. Der Weg führt sie nach draußen, durchs „Kriegsgebiet“ – Tarnnetze, Steinhaufen und Stacheldraht simulieren es.

Wo einst die Hunde der belgischen Militärs ihre Boxen hatten, haben die jungen Leute ganze Arbeit geleistet. Checkpoints sind entstanden, Grenzposten, ein Flüchtlingslager. Mal sind Grenzer zu „bestechen“, immer wieder sind Schlösser zu öffnen – und die Schlüssel dafür zu finden. Ist in dem Getippe auf der alten Schreibmaschine ein Hinweis versteckt? Sind die Aktenordner im Regal hilfreich? Auch wenn der Weg sehr komprimiert ist, benötigen die beiden die angesetzten 45 Minuten fast komplett.

Testerinnen sind begeistert

Groß ist der Jubel, als sie das „Flüchtlingscamp“ verlassen können und ins Freie treten. Doch die Ernüchterung folgt auf dem Fuß: Alles ist eingezäunt. Auf dem Weg ums Haus und zum Ziel im ebenfalls fiktiven Libertasia simulieren Grenzsteine mit Kilometerangaben die Länge einer tatsächlichen Flucht.

Die beiden Testerinnen sind begeistert vom neuen Angebot der Rotkreuz-Akademie Vogelsang ip. Für 75 Euro können Gruppen es buchen – jedoch nur in Verbindung mit einem Besuch und der inhaltlichen Aufarbeitung im Rotkreuz-Museum. Die Botschaft ist den DRKlern viel zu wichtig. „Es ist nicht nur ein Spiel. Keiner flüchtet nur so zum Spaß“, betont Rolf Zimmermann.

Das Fluchthaus bezeichnet er als das letzte noch fehlende Puzzleteil des Roten Kreuzes in Vogelsang. Bis Ende des Jahres ist das Haus dem DRK überlassen, danach wird entschieden, wie es weitergeht. Ideen haben Jägersküpper, Zimmermann und Co. jedenfalls reichlich. Platz auch – das Gebäude ist erst zu einem Drittel genutzt und bietet genug Raum für ein zweites Szenario.

www.rkmvip.de