Nach der FlutBewältigung der Katastrophe in Gemünd interessiert auch international
Schleiden-Gemünd – Jedes Haus hat seine Geschichte – bei alten Gebäuden kommt da einiges zusammen. Etwa im Haus von Mariana Yihune. Es stammt aus dem 16. Jahrhundert, war ursprünglich mal gräflich, später Gefängnis, auch mal Bauernhof. Seit Jahren wird es als Wohnhaus genutzt. Die Flut hat auch diesem Gebäude, das neben dem einstigen Café Poth liegt, ein schmerzliches Kapitel ins Stammbuch geschrieben. Das Erdgeschoss ist zerstört, die beiden Familien, die hier gelebt haben, haben längst eine neue Bleibe. Eine Gruppe von Awo International schaut sich interessiert um, hört aufmerksam zu, wenn Yihune ihre Geschichte erzählt.
Der Wiederaufbau des denkmalgeschützten Gemäuers stellt die 80-jährige Besitzerin vor eine große Herausforderung. Noch sieht es im Erdgeschoss aus, als sei die Flut erst wenige Wochen her: Der Boden ist herausgerissen, der Putz bis zur Wasserlinie auf gut zwei Metern abgeschlagen. Versichert war Yihune nicht, die Wiederaufbauhilfe ist aber bewilligt.
Wiederaufbau mit vielen Schwierigkeiten
Doch ob sie das Projekt stemmen kann? Die Entschädigung für den Ausfall der Mieteinnahmen ist längst ausgelaufen, der Kredit fürs Haus muss aber bedient werden. Die Denkmalschutzbehörde muss in die Planungen einbezogen werden. Von den ohnehin viel beschäftigten Handwerkern ist längst nicht jeder für die speziellen Aufträge geeignet.
Ein Verkauf wäre für Yihune, die in Hürth lebt und sich für ihre Zeit in Gemünd in der zweiten Etage des Hauses eine kleine, spartanische Unterkunft eingerichtet hat, sicherlich die einfachste Lösung. Ein Interessent ist schon bei ihr vorstellig geworden.
Verkauf des Hauses in Gemünd ist keine Option
Doch in ihrer liebenswerten Art hat sie ihm zu verstehen gegeben: „Nein, danke.“ Aufgeben ist für eine Frau, deren Lebensgeschichte annähernd so bewegt ist wie die ihres Hauses, keine Option. Von ihrem Heimatland Rumänien ist sie über Äthiopien und nach einer neuerlichen Zwischenstation in Rumänien nach Deutschland gekommen, wo sie Anfang der 1970er-Jahre mit ihren beiden noch kleinen Söhnen politisches Asyl beantragt und viele Jahre als Krankenschwester gearbeitet hat.
Dass das Leben nicht nur Samt und Flausch ist, weiß Mariana Yihune zur Genüge. Deswegen will sie das auch schaffen mit dem Wiederaufbau. Aus Saarbrücken hat sie tolle Helfer beim Entkernen gehabt, nun steht ihr ein Architekt zur Seite, der sich mit solch alten Gemäuern auskennt. Ihre Motivation kleidet sie wie selbstverständlich in ganz einfache Worte: „Ich liebe dieses Haus.“
Die Liebe zur Heimat treibt die Betroffenen an
Die Liebe zum Haus und/oder zur Heimat ist das, was Tausende antreibt, die Region wiederaufzubauen. Nun, 14 Monate später, sind die Arbeiten in ganz unterschiedlichen Stadien. Die verschiedensten Gründe haben dazu geführt, dass die einen schon zurück in ihrem Heim sind, bei anderen die Arbeiten noch nicht begonnen haben.
Die Stadien des Wiederaufbaus in Gemünd nimmt das Team von Awo International in Augenschein. Die Mitglieder kommen aus Guatemala, Uganda, Nepal und von den Philippinen. In ihren Heimatregionen gehört der Umgang mit Naturkatastrophen viel stärker zum Alltag, als das bei uns der Fall ist. „Doch als sie vom Ausmaß der staatlichen Hilfen hier erfahren haben, sind ihnen Augen und Ohren übergegangen“, sagt Felix Neuhaus, Leiter der Abteilung humanitäre Hilfe bei Awo International.
Internationale Katastrophenhelfer informieren sich
In einem einwöchigen Workshop in Berlin haben er und seine Kollegen sich mit den Themen Katastrophenvorsorge und Notfallhilfe beschäftigt, bevor sie in die Eifel aufgebrochen sind.
Awo International
Systeme der Vereinten Nationen
Effizient und schnell Hilfe leisten ist das Ziel von Awo International. Bei Katastrophen im Ausland werden häufig Systeme der Vereinten Nationen aktiviert, erklärt Felix Neuhaus, Leiter der Abteilung humanitäre Hilfe. Darüber wird unter anderem binnen weniger Wochen eruiert, wer wo wie stark betroffen ist und wer wie wo helfen kann.
Wiederaufbauhilfe
Staaten können die erforderlichen Hilfen oftmals nicht leisten. Doch auch die Summe der internationalen Hilfe könne die Schäden nur zu Bruchteilen wettmachen. Je nach Region ist nach Neuhaus’ Einschätzung nur eine Abdeckung von etwa zehn Prozent zu erreichen. Der Ansatz geht laut Neuhaus über die Akuthilfe hinaus und reicht weit in den Bereich Wiederaufbau. Kleinunternehmen können etwa mit Saatgut oder Geräten unterstützt werden. Derartiges ist laut Neuhaus in Deutschland aufgrund der Gesetzeslage nicht gestattet.
Forderung für Deutschland
Für Deutschland wünscht Neuhaus sich, dass der Katastrophenschutz Bundessache ist. Und vor allem, dass es einheitliche gesetzliche Regelungen gibt, was wie gefördert werden darf – nach der Flut sei da vieles zu lange unklar gewesen. (rha)
Surendra Gautam aus Nepal ist erfahrener Katastrophenhelfer: Erdbeben, Erdrutsche und Fluten kommen in seinem Land häufig vor. Die Menschen zu evakuieren sei dann das erste Ziel – das schon eine Herausforderung ist, wenn der nächste größere Ort vier Tagesmärsche entfernt liegt. Für sichere Unterkunft und Verpflegung zu sorgen, seien die weiteren Schritte. Und er sagt klipp und klar: „Wir sind dann auf internationale Hilfe wie die von der Awo angewiesen.“
Erinnerungen an die Schrecken der Flutnacht
Trotz aller Erfahrung mit Naturgewalten: Gautam und seine Kollegen hängen an Käthe Thurs Lippen, als sie von den Schrecken der Flutnacht berichtet: Wie sie und die anderen im Betreuten Wohnen an der Dreiborner Straße Etage um Etage nach oben evakuiert worden sind. Von ihrer zerstörten Wohnung. Von der Odyssee von Köln über Aachen, Euskirchen und Schmidtheim zurück nach Gemünd – „jede Woche woanders“ –, bevor sie für drei Monate im Katharinenhof untergekommen ist.
Wie sie ins Betreute Wohnen zurückgekehrt ist. Und was für sie nicht infrage kommt: „Ich will nicht wieder in eine Wohnung am Bach. Und ich gehe nicht ins Altersheim.“ Das sagt die 94-Jährige ganz entschieden – das Team aus aller Welt applaudiert.
Start der Hilfe im Hotel Katharinenhof
Der Gang zum Katharinenhof ist für Elisabeth Frauenkron, für die Awo im Hilfszentrum Schleidener Tal (HIZ) aktiv, mit einer kräftigen Portion Wehmut verbunden. Das Hotel ist im Flutsommer Drehkreuz für die Helfer in Gemünd und Obdach für Flutopfer gleichermaßen gewesen. Andrea Cooper und Jan Warrink haben dort unermüdlich koordiniert und geholfen. Dort hat auch Elisabeth Frauenkrons Fluthilfe- und Awo-Engagement begonnen, nachdem sie zuvor beim von der Flut betroffenen Türglas-Hersteller DPI beschäftigt war, der nicht wieder aufgebaut wird.
„In einem Hotelzimmerchen habe ich angefangen, mein Kollege hatte am Anfang nur Tisch und Stuhl.“ Dort, wo es im Sommer 2021 so voller Leben war, ist es nun still, kahl und kalt. Die Stadt hat das Gebäude gekauft, Ende des Jahres soll es abgerissen und der Bereich integraler Bestandteil der Entwicklung Gemünds werden.
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Frauenkron und die Helfer von Awo und anderen Organisationen arbeiten nun im HIZ an der Kölner Straße. Bis Ende 2023 ist der Fortbestand der Einrichtung, die sich mehr und mehr zu einem offenen Haus entwickelt, gesichert. Frauenkron ist überzeugt, dass die Arbeit auch darüber hinaus fortgeführt wird.