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Aus der Ukraine geflüchtetKreis Euskirchen fordert Georgierin auf, Land zu verlassen

Lesezeit 6 Minuten

Noch ungeklärt ist der Aufenthaltsstatus von Iza Mikava. Ihre Tochter Nestan Kuriat und Enkelin Emilia haben bereits ihre Aufenthaltserlaubnis in Deutschland erhalten.

Schleiden-Olef – Als die ersten Bomben auf Charkiw fallen, sucht auch Iza Mikava mit ihrer Tochter Nestan Kuriat und Enkelin Emilia Schutz unter der Erde. Nach mehreren Tagen im kalten, feuchten Keller flüchten sie aus ihrer Heimat, über Lviv und quer durch Polen. Gut eine Woche sind sie unterwegs – eine Strapaze für die gehbehinderte Iza Mikava. In Olef erhalten sie eine sichere Unterkunft und Hilfe, sie leben sich Tag für Tag ein bisschen mehr ein. Bis ihnen ein Brief des Kreises Euskirchen einen gewaltigen Schrecken versetzt: Iza Mikava soll keine Aufenthaltserlaubnis erhalten und Deutschland verlassen. Der Grund: Sie ist georgische Staatsbürgerin und verfügt nicht über einen gültigen Aufenthaltstitel in der Ukraine.

Dabei lebt sie seit rund 20 Jahren mit ihrer Familie in Charkiw. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation hatten sie sich aus der Kleinstadt Zalendschicha im Westen Georgiens in das Nachbarland aufgemacht und dort eine Käserei aufgebaut. Seit dem russischen Einmarsch in Georgien und dem Kaukasus-Krieg 2008 ist an eine Rückkehr nicht zu denken: Aufgrund der Ausreise hätten der Familie Verfolgung und Verhaftung gedroht.

In der Ukraine gab es nie Probleme um Aufenthalt

Nach ihrer Heirat mit ihrem ukrainischen Mann hat Nestan Kuriat 2015 auch die ukrainische Staatsbürgerschaft erhalten, die heute vierjährige Tochter Emilia ist ebenfalls Ukrainerin. Auch für Iza Mikava wäre die Einbürgerung möglich gewesen: Wenn sie für drei Monate zurück nach Georgien und dann wieder in die Ukraine gereist wäre. Doch just in dieser Zeit ist ihr Sohn an Krebs erkrankt und wenig später gestorben. „Als seine Mutter konnte ich ihn unter keinen Umständen in seiner letzten Zeit verlassen“, sagt Mikava.

In der Folge erkrankt sie selbst: Sie leidet an Bluthochdruck und Diabetes. Letzterer führt dazu, dass ihr 2019 der vordere Teil des linken Fußes amputiert werden muss. Durch kleinere Zahlungen hat es laut Tochter Nestan Kuriat nie Probleme mit den ukrainischen Behörden wegen des Aufenthalts ihrer Mutter gegeben.

Familie wohnte bis zum Krieg in Charkiw

Zu fünft hat die Familie bis zum Ausbruch des Krieges in ihrer Wohnung in Charkiw gelebt. Die Tochter hat sich um die inzwischen pflegebedürftige Mutter gekümmert. Die wiederum hat auf die kleine Emilia aufgepasst, während die jungen Leute arbeiteten. Nestan Kuriat und ihr Mann haben zudem die Behandlungskosten der Mutter gezahlt.

Ihre Männer haben die Frauen in der Ukraine zurücklassen müssen. Während Nestan Kuriats Mann an seiner Arbeitsstelle in Odessa derzeit relativ sicher ist, hält sich Iza Mikavas Mann in einem Dorf nahe Charkiw auf, das aktuell von den Russen besetzt ist. Wochenlang haben sie um ihn gebangt, als der Kontakt abgerissen war.

Inzwischen wissen sie, dass der Ort einmal in der Woche humanitäre Versorgung erhält: „Er lebt und muss nicht hungern.“ Durch Freunde in Charkiw haben sie erfahren, dass die Nachbarhäuser schwere Bombentreffer abbekommen haben und zerstört sind – das Gebäude, in dem sie gelebt haben, derzeit aber unversehrt zu sein scheint.

Ferienwohnung in Olef neues Zuhause

In der Olefer Ferienwohnung von Sabine und Ralf Hergarten leben sich die drei Generationen immer besser ein. Nestan Kuriat hat bereits Arbeit im Gästehaus K13 in Vogelsang gefunden, viermal pro Woche besucht sie in Schleiden einen Deutschkurs. Emilia kann voraussichtlich ab dem Sommer den Kindergarten besuchen.

Gemeinsam mit Olga Melzer, die eine wertvolle Hilfe beim Übersetzen ist, haben sie in zahlreichen Ausflügen die Umgebung erkundet. Nach Schleiden gehen und Einkäufe erledigen ist längst kein Problem mehr. Auch wenn sie nach Hause, nach Charkiw, zurückwollen, stellen sie sich auf einen längeren Aufenthalt in Deutschland ein – die Lage ist einfach zu unsicher: „Ich habe noch Angst, zurückzugehen“, so Nestan Kuriat.

Während sie und Emilia einen Aufenthaltstitel für drei Jahre in Deutschland haben, sorgt der Bescheid des Kreises, dass Iza Mikava nach Georgien ausreisen soll, für große Sorgen. „Wir sind entsetzt und traurig. Das kam völlig unerwartet“, sagt Nestan Kuriat: „Mama hat zwei Tage nur geweint und ist jetzt sehr nervös, wie es weitergeht.“

Sorge um Abschiebung

Kein Einzelfall

1508 Geflüchtete aus der Ukraine sind aktuell nach Angaben von Kreis-Sprecher Wolfgang Andres im Kreis Euskirchen angekommen. 1081 von ihnen, das entspricht 71,7 Prozent, sind privat untergebracht.

Mehrere Fälle wie den von Iza Mikava sind dem Kreis laut Andres bekannt. Entscheidend sei nach der Rechtslage für Nicht-Ukrainer, ob sie unbefristete Aufenthaltstitel aus der Ukraine vorweisen können. (rha)

Kommentar: Recht und Gerechtigkeit

Dass der Kreis im Rahmen geltenden Rechts korrekt handelt, ist unbestritten. Doch nicht alles, was Recht ist, ist auch richtig. Die vor dem Krieg in ihrer Heimat Geflüchteten mit einem im besten Verwaltungs- und Juristendeutsch formulierten Schreiben in Angst zu versetzen, dass sie abgeschoben werden könnten, ist nicht richtig. Wenn am Kreishaus die ukrainische Flagge gehisst wird und zig Hilfen zur Verfügung gestellt werden, sollte es doch möglich sein, Menschen klar zu machen, dass ihr Verfahren nicht ganz so reibungslos verläuft, sie sich aber keine Sorgen machen sollten. Selbst wenn Bescheide aussehen müssen, wie sie aussehen, kann ein Gespräch ungemein helfen.

Mit dieser „Klärung des Status“, wie es Ralf Hergarten beschreibt, erhält Iza Mikava keine staatliche Leistungen – und medizinische Versorgung nur im Notfall: „Wenn sie mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht wird.“ Dennoch: Ein Flugticket nach Georgien hat Iza Mikava nicht gebucht, wie es ihr vom Kreis nahe gelegt worden ist. Sie hat schlicht kein Geld dafür. Sie hat in Georgien zwar ein paar Bekannte, wo sie vielleicht für ein paar Tage unterkommen könnte – sonst aber nichts. An ihre Pflege wäre nicht zu denken. Und an weitere Tickets für Tochter und Enkelin mangels Finanzmitteln erst recht nicht.

Stattdessen hat sie mit Hergartens Hilfe Widerspruch gegen den Bescheid eingelegt, ihre Situation dargestellt und auf die Notwendigkeit der Pflege durch ihre Tochter verwiesen – wenn auch wegen der Langwierigkeit der Übersetzungen und der Beschaffung eines ärztlichen Attestes nicht ganz fristgerecht.

Zwangsabschiebung angedroht

Die Konsequenzen einer nicht fristgerechten Ausreise legt der Kreis in seinem Schreiben dar: „Wenn Ihr Antrag wie beabsichtigt abgelehnt wird und Sie nicht freiwillig aus dem Bundesgebiet ausreisen, ist Ihre zwangsweise Abschiebung nach Georgien beabsichtigt.“ Dass der Staat dann für ihr Flugticket aufkommen müsste, ist Iza Mikava keinerlei Trost.

Auf Nachfrage der Redaktion äußert sich der Kreis deutlich moderater. „Frau Mikava muss keine Angst vor einer akut drohenden Abschiebung haben“, so Sprecher Wolfgang Andres. Iza Mikava habe noch die Möglichkeit, Unterlagen nachzureichen, die eindeutig belegen, dass sie in der Ukraine gelebt hat, „damit die Ausländerbehörde eine für sie positive Entscheidung treffen kann“. Und selbst wenn ein Ablehnungsbescheid komme, heiße das nicht, dass sie Deutschland verlassen müsse. Dann sei etwa eine Duldung zu prüfen.

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Nestan Kuriat möchte ausdrücklich ihre Dankbarkeit für ihre Aufnahme, für die Gastfreundschaft und all die Hilfen – besonders von Sabine und Ralf Hergarten sowie Olga Melzer – zum Ausdruck bringen. Und ihre Hoffnung in Richtung Kreis: „Ich habe die Hoffnung, dass ihre Argumente gehört werden und Mama hier bleiben darf.“

Ähnlich äußert sich auch Ralf Hergarten: „Bei allem Verständnis für verwaltungsmäßig Vorgeschriebenes: Man muss auch die menschliche Seite sehen. Daher appelliere ich an die Menschlichkeit.“