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NS-OrdensburgForum Vogelsang eröffnet „Bestimmung: Herrenmensch“

Lesezeit 6 Minuten

Blick auf die ehemalige NS-Ordensburg Vogelsang.

Schleiden – Gabriele Harzheim geht voran auf der schmalen Wendeltreppe, nach 175 Stufen sind wir am Ziel, auf der Aussichtsplattform. 48 Meter hoch ragt der Vierkantturm – innen Beton, außen Naturstein – über das Gelände der ehemaligen NS-Ordensburg Vogelsang am Urftsee in der Eifel. Von hier oben sieht das fünf Meter hohe „Fackelträger“-Steinrelief – ein Beispiel dafür, was sich die Nazis und der berüchtigte Kölner Bildhauer Willy Meller unter germanischer Kunst vorstellten – beinahe zierlich aus.

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Blick auf den Hörsaal der Ordensburg, an dessen Stirnwand die monumentale Skulptur „Der deutsche Mensch“ stand.

Die ehemalige Inschrift („Ihr seid die Fackelträger der Nation“ und Schlimmeres) ist längst getilgt und hinter neutralen Steinplatten verschwunden, doch noch immer zieht die Monumentalplastik auch Menschen an, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Erst vor ein paar Tagen, so erzählt Gabriele Harzheim, hat eine Abordnung der rechtsextremen Spliterpartei „Der III. Weg“ hier heimlich Fotos gemacht, und diese später via Facebook veröffentlicht. „Es kommt immer wieder mal vor, dass wir auf Internetseiten auf so etwas stoßen“, sagt Harzheim, die im Bildungsteam der Akademie Vogelsang arbeitet. Man prüfe jetzt rechtliche Schritte, denn politische Kundgebungen jeder Couleur sind auf dem Gelände streng verboten. Im Jahr 2007, so erinnert sich Gabriele Harzheim, „mussten wir zwei rechte Gruppierungen, die Transparente entrollt hatten, sogar mit Hilfe der Polizei des Geländes verweisen.“

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Die riesige Anlage in der Eifel aus der Luft.

Mit rund 100 Hektar Fläche ist Vogelsang eine der größten baulichen Hinterlassenschaften der Nazi-Zeit. Doch es gab bislang kein Vogelsang-spezifisches Lehrmaterial für die Unbelehrbaren, keine Ausstellung zur NS-Vergangenheit, in der das Thema Ordensburgen eine nennenswerte Rolle gespielt hätte. Diese Lücke schließt die neue Dauerausstellung „Bestimmung: Herrenmensch“, die am kommenden Sonntag offiziell eröffnet wird. Die beiden anderen Ordensburgen werden noch immer militärisch genutzt, Krönissee von der polnischen Armee, Sonthofen von der Bundeswehr. Vogelsang selbst ist erst seit 2006 frei zugänglich, als die belgische Armee abzog. Vier Jahre zuvor war auf einer so genannten Konversions-Konferenz eine Grundsatzentscheidung gefallen; gegen einen kontrollierten Verfall des riesigen Areals, für eine Nachnutzung.

Klaus Ring, einer der federführenden Historiker des Projekts, erklärt die Konzeption der Schau, die auf zwei Stockwerken im ehemaligen Adlerhof untergebracht ist, dem Zentrum der Anlage. Zwar war Vogelsang unstrittig ein Stück nationalsozialistischer Überwältigungsarchitektur und eine Stätte gelebter Menschenverachtung, in der die angehenden Ordensjunker sportlich und weltanschaulich (unter anderem im Fach „Rassenlehre“) gedrillt wurden.

Viele Absolventen der Ordensburgen waren später an Kriegsverbrechen beteiligt. Darauf weist eine Tafel in der Ausstellung hin.

„Aber wir haben es“, sagt Ring, „mit vermeintlich normalen jungen Männern zu tun, aus der Mitte der damaligen Gesellschaft. Wir zoomen, so nahe wir das als Historiker können, an diese Männer heran.“ Geboren sind sie zumeist zwischen 1909 und 1913 und kommen überwiegend aus einem bäuerlichen oder kleinbürgerlichen Milieu. Viele von ihnen sind als Folge des I. Weltkriegs vaterlos aufgewachsen. Sie hoffen auf sozialen Aufstieg und Anerkennung, Opportunisten sind eher nicht dabei.

Öffnungszeiten, Preise, Literatur

Besucherzentrum und Gastronomie im Forum Vogelsang sind täglich 10 bis 17 Uhr geöffnet.

Anfahrt von Köln über die A1 bis Euskirchen-Wißkirchen, dann weiter auf der B266. Ab Gemünd ausgeschildert.

Führungen durch die Ausstellung „Bestimmung: Herrenmensch“ immer um 14 Uhr, sonn- und feiertags zusätzlich um 11 Uhr. Der Eintritt kostet 12 Euro (ermäßigt 6). Audioguides in deutsch, englisch, französisch und niederländisch. Außerdem in „leichter Sprache“. Es gibt ein kompaktes Begleitheft (80 Seiten, 6,95 Euro) und einen umfangreichen Katalog (394 Seiten, 29,90 Euro).

Die zweite neue Dauerausstellung „Wildnis(t)räume“ widmet sich der Flora und Fauna im Nationalpark Nordeifel. Eintritt 8 Euro (ermäßigt 4), Familienkarte 18 Euro. „In den „Wildnis(t)räumen“ haben Kinder bis sechsfreien Eintritt, der Besuch der NS-Dokumentation wird für Kinder unter zwölf nicht empfohlen.“ (thk)

„Dass sie überzeugte Nationalsozialisten waren, stand außer Frage“, sagt Ring. Bei den mehrstufigen Auswahlverfahren kam es nicht nur auf körperliche Fitness an, sondern auch auf Linientreue, oder, in der Sprache der damaligen Zeit, „Charakterfestigkeit“.

Mit den Ordensburgen – Baubeginn in Vogelsang ist im Jahre 1934 – reagiert die NSDAP auf den offensichtlichen Führungskräftemangel nach der Machtübernahme ein Jahr zuvor. Nach Vorstellung des NS-Chefideologen Robert Ley sollen dort „ganze Kerle“ zu künftigen Parteiführern ausgebildet werden. Die Ordensjunker, wie sich selbst nennen, werden als neue Elite der Partei präsentiert, und viele fühlen sich wohl auch so.

Eine Handvoll von ihnen – mit Uniformen und Hakenkreuzbinden, aber in lässiger Pose – ist auf einem großformatigen Foto eingangs der Ausstellung zu sehen, unten aus dem Bild rollt ein Textfeld, das sich auf dem Boden fortsetzt, Auszüge aus dem letzten Flugblatt der „Weißen Rose“.

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Die Pläne für die pompöse „Halle des Wissens“ wurden nie realisier – der Kriegsbeginn im September 1939 bedeutete das Ende der Bauarbeiten in Vogelsang.

Auf den Ordensburgen würden „gottlose, schamlose und gewissenlose Mordbuben und Ausbeuter herangezogen“, heißt es in dem Text der Geschwister Scholl. Der Beweis für diese Behauptung wird später in der Ausstellung erbracht. Neben Kapiteln zur Baugeschichte und dem Alltag in der Ordensburg, die man sich als eine Mischung aus Hotel und Kaserne (und reine Männergesellschaft) vorstellen muss, widmet sich die Ausstellung auch der kultischen Dimension des NS-Regimes. Vogelsang mache „wie kein zweiter Ort die ersatzreligiöse Funktion des Nationalsozialismus deutlich“, erklärt Stefan Wunsch, der wissenschaftliche Leiter des Projekts. Auf der Ordensburg finden regelmäßig NS-Zeremonien wie „Namensweihe“ (statt Taufe) und „Eheweihe“ (statt kirchlicher Trauung) statt, das zeigen bis dato unveröffentlichte Fotos aus dem privaten Fundus ehemaliger Ordensjunker.

Kriegsbeginn als Zäsur in der Ausstellung

Eine gewollte Zäsur in der Ausstellung ist der Kriegsbeginn im September 1939, der auch den Baubetrieb auf Vogelsang zum Erliegen bringt. Von der pompösen „Halle des Wissens“, die später einmal alle anderen Bauten überragen soll, stehen zu diesem Zeitpunkt nur die Grundmauern. Etwa 2200 Männer haben bei Kriegsbeginn die Ausbildung in den drei Ordensburgen durchlaufen. Fast alle werden zunächst zur Wehrmacht eingezogen, 1945 wird nur noch ein knappes Viertel von ihnen am Leben sein.

Gabriele Harzheim zeigt eine historische Aufnahme des „Fackelträger“-Reliefs – bis heute ein bei Rechten beliebtes Fotomotiv.

Doch 400 von ihnen übernehmen zuvor als Gebietskommissare oder Verwalter in den eroberten Gebieten politische Aufgaben, „praktiziertes Herrenmenschentum“ nennt Klaus Ring das. So sind die Männer nahtlos integriert in die deutsche Terrorherrschaft im Osten und beteiligt an zahllosen Kriegsverbrechen.

In diesem Kapitel kommen auch Opfer von willkürlichen Erschießungen und Deportationen im besetzten Polen, in der Ukraine und im Baltikum zu Wort. Vier Fallbeispiele erzählen von Ordensjunkern, die deswegen nach 1945 vor Gericht gestellt wurden. Auch zwei exemplarische Karrieren in der Bundesrepublik werden beleuchtet: Während Waldemar Schütz als rechtsextremer Verleger reüssiert, geht Herbert Stender erst in die FDP und später in die CDU und sitzt im Landtag in Niedersachsen. Er ist damit wohl eine Ausnahme, wie die Ausstellung nahe legt. „Die Wirkungskraft von Ideologie, politischem Kult und Kameradschaftserlebnis wird darin ersichtlich, dass bei vielen ehemaligen Lehrgangsteilnehmern die Zustimmung zur Diktatur deren Untergang im Jahr 1945 überdauerte“, heißt es im Begleitkatalog. Die Ehemaligen pflegen fortan eine „verklärende Erinnerungskultur“. Anlässlich des Tags der offenen Tür, den die belgischen Streitkräfte einmal im Jahr veranstalten, pilgern die im „Alte-Burger-Kreis“ zusammengeschlossenen alten Kameraden nach Vogelsang.

Mindestens einmal tarnen sie sich dabei als „Ortsgruppe Jünkerath“ des Eifelvereins. 1997 endet dieser Spuk, weil die Veteranen entweder tot sind oder zu hinfällig für eine nostalgische Kaffeefahrt. Derzeit lebe noch ein Ehemaliger in einem Pflegeheim in Bonn, sagt Ring. Doch aus Sicht der Forschung sei das Wegsterben dieser Zeitzeugen zu verschmerzen. „Die waren nicht sehr kontaktfreudig – jedenfalls nicht Historikern gegenüber.“