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Einsatz in AfrikaEuskirchenerin startet 2023 Augenheilkunde-Projekt in kenianischen Krankenhäusern

Lesezeit 6 Minuten
Orthoptistin Rebecca Decker sitzt vor einer Frau und hält ein Stäbchen zwischen ihre beiden Gesichter. Mit der anderen Hand hält sie eine Abdeckung vor ein Auge der Frau.

Schielt die Patientin? Mit dem Cover-Test kann Orthoptistin Rebecca Decker beobachten, wie sich die Augen bewegen, wenn sie abwechselnd eines zuhält, während die Patientin einen Gegenstand fixiert.

Orthoptistin Rebecca Decker brennt für ihren Beruf. Vor einem Jahr startete die Euskirchenerin ein Projekt für Augenheilkunde in Kenia.

Rebecca Decker hat einen ungewöhnlichen Beruf. Sie ist Orthoptistin. In Deutschland gebe es davon nur etwa 2000, berichtet die 31-Jährige. Orthoptik ist ein spezieller Bereich der Augenheilkunde. „Wir sind spezialisiert auf Schielen, Augenbewegungsstörungen, Schwachsichtigkeit“, erklärt Decker.

Dabei gehe es kaum um organische Schäden an den Augen, sondern viel mehr um die Gehirnleistung. Der Großteil ihrer Patienten seien Kinder. „Die absolute Mehrheit hat gesunde Augen“, sagt die Euskirchenerin. Aber die Sehentwicklung sei beeinträchtigt.

Orthoptistin Rebecca Decker: „Sehen muss gelernt werden“

„Man muss sich vorstellen, man wird als Baby fast blind geboren. Sehen muss gelernt werden“, erläutert sie. Bis zum zwölften Lebensjahr entwickle sich das Sehvermögen. Danach sei Schluss. „Das, was man mit zwölf sieht, ist das, was man ein Leben lang sieht.“ Im Umkehrschluss bedeute das aber – Sehvermögen, das bis dahin nicht existiere, komme auch später nicht.

Wenn ein Kind auf dem einen Auge wegen einer Fehlsichtigkeit oder Schielens schlechter sehen könne als auf dem anderen, schalte das Gehirn das schlechte Auge automatisch ab. Das Sehvermögen entwickle sich dann nur auf dem scharf-sehenden Auge weiter. Unbehandelt würde das Sehvermögen auf dem schlechteren Auge für immer so schlecht bleiben. Eine Brille im Erwachsenenalter bringe dann auch nichts mehr, so Decker. „Dann können die Kinder im schlimmsten Falle sehbehindert werden“, so Decker.

Die Therapie dagegen ist denkbar simpel: Das „gute“ Auge wird abgeklebt oder verdunkelt. Dann sei das Gehirn des Patienten auf das schlechtere Auge angewiesen, die Sehentwicklung bleibe nicht stehen, das Auge werde trainiert. Zudem könne eine Brille schon viel bewirken. Durch eine Brille werde das Bild des schwächeren Auges wieder scharf und die Sehentwicklung schreite wieder für beide Augen voran.

„Es ist eigentliche eine so einfache Sache“, sagt Decker: „Seitdem wir die Therapie machen, ist die Anzahl der sehbehinderten Menschen in Deutschland stark gesunken.“ Aber man müsse im Kindesalter therapieren. Schon mit sieben Jahren seien 80 Prozent der Sehentwicklung abgeschlossen. Deshalb setze die Orthoptik schon früher an.

Erste Tests, die das räumliche Sehen überprüfen, werden laut Decker schon vom Kinderarzt bei den U-Untersuchungen im Säuglingsalter vorgenommen. Mit etwa drei Jahren schickten die Kinderärzte ihre Patienten dann gezielt zu Orthoptisten.

Neben dem räumlichen Sehen, werde dort geschaut, ob das Kind schielt und falls ja, wie stark ausgeprägt das Schielen ist, die Augenbeweglichkeit werde getestet und es werde überprüft, ob die Augen des Patienten einen Gegenstand fixieren und ihm folgen können. „Manchmal kann so eine Untersuchung eine bis anderthalb Stunden dauern“, so Decker.

Zu wenig Nachwuchs im Ausbildungsberuf der Orthoptik

Orthoptik ist in Deutschland ein Ausbildungsberuf. Decker hat ihre Ausbildung an der Uniklinik in Köln gemacht. Drei Jahre hat das gedauert. Das brauche es auch, sagt sie. Leider gebe es viel zu wenig Nachwuchs. Dazu komme noch ein anderes Problem: In fünf Jahren gehe ein Großteil der praktizierenden Orthoptistinnen (der Beruf werde vor allem von Frauen ausgeübt) in Deutschland in Rente.

Decker will deshalb Werbung für ihren Beruf machen. Der Job sei nicht so bekannt, dabei habe man damit gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. „Man ist nie arbeitslos.“ Ein Oberarzt habe immer gesagt: „Das ist der perfekte Beruf für Leute, die Medizin machen möchten, ohne das lange Studium“, erzählt sie.

Als Orthoptistin arbeite man entweder in einer Augenarztpraxis oder in Augenkliniken. Neben Kindern behandle man auch Menschen, die einen Schlaganfall oder Hirntumor hatten. Letztere machten sich oft als erstes an den Augen bemerkbar. Die Patienten sähen auf einmal doppelt. „Wenn plötzlich jemand anfängt zu schielen, bitte zum Arzt gehen“, appelliert Decker.

Die vergangenen fünf Jahre hat die junge Frau in München an der Uniklinik gearbeitet und gleichzeitig an der dortigen Schule für Orthoptik unterrichtet. Im Dezember 2021 reiste sie mit einer Kollegin nach Nairobi, Kenia. Die dortige Uniklinik habe eine Kooperation mit der Uniklinik in München und einen Crashkurs für Orthoptik angefragt. „Unseren Beruf gibt es dort gar nicht.“

Im ganzen Land gebe es nur zwei Ärzte, die darauf spezialisiert seien. Und die hatten um den Crashkurs für Assistenzärzte gebeten. „Das war total die schöne Erfahrung. Die Leute waren total interessiert und auch dankbar“, erinnert sie sich und weiter: „Aber, man muss sagen, in einer Woche ist es ziemlich limitiert, was man so machen kann.“ Noch in Kenia überlegten sie und ihre Kollegin sich: „Da wollen wir mehr machen.“

Wegen mangelndem Fachpersonal: Berufsschule für Orthoptik in Kenia

Schnell war die Idee geboren, in Kenia eine Berufsschule für Orthoptik zu gründen. In Deutschland sprachen sie mit vielen Menschen darüber. Über den Professor, der auch die Kooperation zwischen den Unikliniken in Nairobi und München auf die Beine gestellt hatte, erhielten sie den Kontakt zur Christoffel-Blindenmission (CBM).

Diese hat erst in diesem Jahr das Vision Impact Projekt in Kenia gestartet, um die augenmedizinisches Versorgung in dem Land zu verbessern. Nur etwa ein Fünftel der Bevölkerung dort hat laut der Organisation Zugang zu solcher. Die Idee von Decker und ihrer Kollegin stieß also auf offene Ohren.

Allerdings: „Einfach eine Schule und einen ganzen Berufszweig zu etablieren, braucht ganz viel politische Arbeit“, sagt Decker. Und die wiederum brauche Zeit. „Aber man muss auch irgendwo anfangen“, so die Euskirchenerin weiter. Deshalb reist sie ab Januar für fünf Monate mit ihrer Kollegin in drei regionale Krankenhäuser in Kenia und gibt dort Fortbildungen, finanziert von der CBM.

„Es ist eine reine Trainingssache. Wissen weitergeben, damit sie das selbst machen können und das Wissen weitergeben“, betont Decker. Ihr ist es wichtig, dass das Projekt nachhaltig wirkt. Deshalb könnte sie sich auch vorstellen, länger als nur die fünf Monate zu bleiben. Den Traum von einer Berufsschule dort, habe sie noch nicht aufgegeben.

Ziel: Fünf Monate lang Mediziner in Kenia fortbilden

Job und Wohnung in München seien in jedem Fall gekündigt. Sie gehe jetzt mal ganz offen in das neue Jahr, in ihrem Job sei es bei ein bisschen Flexibilität immer möglich eine Anstellung zu finden. Sogar ihr Freund könne sie teilweise begleiten, da er von überall aus arbeiten könne.

Die erste Station für Decker ist das Sabatia Eye Hospital in Kisumu im Westen des Landes, nahe der Grenze zu Uganda. Dort wird sie zwei Monate bleiben, danach folgt eine Station im Tenwek Mission Hospital und abschließend das Kikuyu Hospital in einem Vorort von der Hauptstadt Nairobi.

In den fünf Monaten werde sie nicht nur Ärzte, sondern auch Pflegekräfte und anderes medizinisches Personal fortbilden. Unterrichtssprache: Englisch. In Kenia gebe es viele Landessprachen, ein Großteil spreche noch Kiswahili, doch auch mit Englisch komme man gut zurecht, weiß Decker. Am 16. Januar ist ihr erster Arbeitstag. Visum und Arbeitserlaubnis hat sie schon. Aufgeregt? „Total“, sagt sie und grinst: „Das wird definitiv ein Abenteuer, aber das gefällt mir.“