Betreutes Wohnen in EuskirchenAuf dem Weg in die Eigenständigkeit

Anja Sistig im Gespräch mit einem der jugendlichen Bewohner
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Euskirchen – Seit gut fünf Monaten lebt Mario (Name geändert) nun in seinen eigenen vier Wänden. „Hier habe ich endlich Platz für mich. Und ich habe zu essen.“ Zwei existenzielle Dinge, die es für den 18-Jährigen zu Hause nicht gab. „Mit meiner Mutter war es ziemlich schwierig, zuletzt ging es mir sehr schlecht und ich habe mich freiwillig in eine Klinik einweisen lassen.“ Dort erfuhr er über einen Sozialarbeiter von der Möglichkeit des Betreuten Wohnens. „Das klang für mich richtig gut, also bin ich hierher gekommen.“
Hierher heißt zur Arbeiterwohlfahrt Rhein-Erft & Euskirchen, die seit 25 Jahren im Rahmen ihrer flexiblen Erziehungshilfe auch das Betreute Wohnen für Jugendliche anbietet. Fünf Wohnungen gibt es in Euskirchen, in denen Jugendliche zwischen 16 und 21 darauf vorbereitet werden, ein eigenständiges Leben zu führen. Manche bleiben nur einige Monate, andere auch Jahre, je nachdem, in welcher Lebenssituation sie sich gerade befinden. Mario beispielsweise will in Ruhe sein Abitur machen, nachdem er zuletzt kaum noch zur Schule gegangen ist. „Danach werde ich studieren, aber ich weiß noch nicht genau was.“
Anett ist schon länger im Betreuten Wohnen der Awo. Als sie vor anderthalb Jahren bei ihrer Pflegefamilie auszog, war ihr Selbstwertgefühl ziemlich am Boden. Sie war überzeugt, ihr Leben niemals meistern zu können. „Es war ein hartes Stück Arbeit, sie aufzubauen. Anett hat sich lange Zeit selber bewiesen, dass sie mit ihrem Negativbild recht hat“, erzählt Anja Sistig, Sozialpädagogin bei der Awo. Mittlerweile hat die 20-Jährige wieder Boden unter den Füßen. „Im September beginne ich meine Ausbildung“, sagt sie stolz und zweifelt nicht mehr daran, die auch zu Ende bringen zu können.
20 Jugendliche gleichzeitig können von der Awo auf diese Weise betreut werden, fünf davon in einer Wohngruppe für intensiv Betreutes Wohnen, wo Tag und Nacht ein Ansprechpartner da ist. Die anderen werden vier bis sechs Stunden in der Woche betreut. Die einen müssen den Umgang mit Geld lernen oder bei Behördengängen begleitet werden, andere benötigen Unterstützung beim Einkaufen, wieder andere brauchen Anleitung bei der Haushaltsführung oder Hilfe bei der Organisation von schulischen Aufgaben. „Alle halbe Jahre gibt es ein Hilfeplangespräch mit dem Jugendlichen, dem Jugendamt und uns, bei dem Rahmen- und Feinziele festgelegt werden“, erläutert Horst Werner.
Der Sozialarbeiter gehörte übrigens zu den Gründern des Betreuten Wohnens im Kreis: „Wir haben damals bei der Beratung arbeitsloser Jugendlicher immer wieder festgestellt, dass viele krasse familiäre Probleme hatten. Daraus leiteten wir ab, dass sie in einer Ausbildung wohl eher Erfolg hätten, wenn sie aus der Familie gehen würden.“ Der damalige Jugendamtsleiter Rudi Dick war angetan von der Idee, und so wurde 1989 die erste Wohnung angemietet.
Beginn einer Erfolgsgeschichte
Das war der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Rund 400 junge Frauen und Männer sind seither betreut und bestenfalls in die Selbstständigkeit entlassen worden. „Gefühlt zwei Drittel können es gut annehmen, wenn man ihnen diese feste Struktur bietet“, so Horst Werner. Für viele sei es schlichtweg eine Chance, nachzureifen, erklärt Mathilde Bayer-Birkenheuer. „Viele sind einfach nicht altersgemäß entwickelt.“ Die Sozialarbeiterin hat noch Kontakt zu ihrer ersten Bewohnerin, die ihr 1992 zugeordnet wurde: „Dank dir bin ich gut durch meine Jugend gekommen“, sagt die Frau, mittlerweile selber Mutter von drei Kindern.
Die Jugendlichen, die einziehen, müssen sich an klare Regeln halten. „Sie müssen gewisse Ideen und Pläne mitbringen, müssen bereit sein, sich selbst zu reflektieren. Und sie müssen unbedingt beziehungsfähig sein“, erklärt Mathilde Bayer-Birkenheuer. Die Betreuung nämlich sei sehr persönlich und funktioniere nur auf einer vertrauensvollen Beziehungsebene. Anja Sistig: „Man greift ein in das Leben dieser jungen Menschen und in ihr Lebenskonstrukt – da braucht es schon so etwas wie eine persönliche Bindung.“ Kollegin Bayer-Birkenheuer fügt an: „Gerade dadurch erleben wir bei dieser Arbeit viele schöne Dinge, viele Erfolge. Manchmal nimmt man eben auch etwas mit nach Hause.“
Marios Umzug von Zuhause in die eigene kleine Wohnung war seinerzeit schnell erledigt. 20 Minuten hat es gebraucht, die wenigen Habseligkeiten des Jungen ins Auto zu packen. Mittlerweile hat er sich seine eigenen vier Wände sehr gemütlich eingerichtet. Anja Sistig freut sich über seine positive Entwicklung: „Er war so extrem angespannt am Anfang, aber in den paar Monaten, die er jetzt hier ist, hat Mario unglaublich viel sortiert.“ Die Struktur, die er nun hat, tut ihm gut und er blüht auf. „Meine größte Angst ist jetzt, das alles wieder zu verlieren“, gibt der 18-Jährige unumwunden zu. Angesichts der guten Entwicklung, die er durchläuft, muss er sich darüber ganz gewiss keine Sorgen machen.