Ein eingeschworenes Team von Ehrenamtlern sorgt für heimelige Atmosphäre und ein leckeres und gesundes Essen.
„Hier ist jeder willkommen“ Die Suppenkirche in Euskirchen ist ein Erfolgsmodell
Viele Menschen, die kommen, haben feste Plätze. Zielstrebig gehen sie an einen der Tische, die im Gemeindesaal der evangelischen Kirchengemeinde hübsch eingedeckt auf die Gäste der Suppenkirche warten. „Stammtische“ nennen die Besucher diese Ordnung, die der Gemeinschaft im Saal etwas Vertrautes, fast Familiäres verleiht.
Wer das erste Mal hier ist, kann sich getrost dazusetzen: „Hier ist jeder willkommen“, sagt Diakon Jens Schramm. Heute steht Gutbürgerliches auf der Speisekarte: Gulasch, Rotkohl, Klöße, zum Nachtisch mit Sahne gefüllte Berliner. „Unsere tollen Küchenhelfer haben eigenhändig Kartoffelklöße geformt, ein Rind gejagt, geschlachtet und zu Gulasch verarbeitet“, scherzt Schramm, als er die Frauen und Männer im Saal begrüßt. Allgemeines Gelächter, dann freundlicher Applaus. Knapp 70 sind heute gekommen, manchmal sind es auch an die 100, die hier ein selbstgekochtes Essen genießen.
Neben dem guten Essen wird auch die Gesellschaft geschätzt
„Das hat immer echte Restaurantqualität“, schwärmt ein Gast mittleren Alters. Ein anderer ergänzt: „Das ist immer große Klasse, was man hier auf den Teller bekommt.“ Team 5 steht heute in der Küche und in den Startlöchern. Pro Team sind acht Ehrenamtler involviert, die bei Einkauf, Zubereitung, Essensausgabe, beim Tischeindecken und -abräumen helfen. Und die immer auch ein freundliches Wort für die Gäste im Saal finden. „Diese 1:1-Situation, das unmittelbare Erleben, wie die Arbeit, die hier geleistet wird, Wirkung zeigt, das macht dieses Ehrenamt so beliebt“, meint Schramm.
Elke Schubert (alle Namen der Gäste geändert) hat die Suppenkirche während der Flut kennengelernt. Das Haus der 42-Jährigen, die von einer schmalen Rente lebt, wurde stark beschädigt. Noch immer lebe sie in einem Rohbau. Und noch immer wirke das Trauma der Katastrophe in ihr nach. War es am Anfang die Not, keine eigene Küche mehr zu haben, sei es mittlerweile eher die Kombination aus „gutem Essen und Kontakte knüpfen“, die sie zur Suppenkirche kommen lässt.
„Ich habe hier echte Freunde gefunden“
„Ich habe hier vor acht Jahren den allerersten Teller entgegengenommen“, sagt Peter Baumert stolz. „Keinen einzigen Fehltag“ habe er seitdem gehabt, an jedem einzelnen Donnerstags seit der Öffnung der Suppenkirche sei er dabei gewesen. „Ich habe hier echte Freunde gefunden“, so der 55-Jährige. Vor sich auf dem Tisch hat er ein halbes Dutzend Dosen Instanttee aufgebaut – von Himbeere bis Cola ist alles dabei. „Das ist meine Pralinenschachtel, die bringe ich immer mit“, sagt er schmunzelnd. Und natürlich dürfen sich auch die anderen am Tisch davon bedienen.
Ihm gegenüber sitzt Thomas Thiel, der die Suppenkirche auch schon etliche Jahre besucht. Nicht wöchentlich, aber immer dann, wenn sich der Kühlschrank gegen Ende des Monats leert. „Ein warmes Essen kann ich mir nicht jeden Tag leisten. Schon gar nicht bei den Preisen“, sagt der 45-Jährige, der mit monatlich 350 Euro über die Runden kommen muss.
Bis vor kurzem habe er 25 Euro pro Woche für Lebensmittel ausgegeben, jetzt sei es erheblich mehr. Thiel ist Dialysepatient und muss viele Medikamente nehmen. „Als chronisch Kranker werde ich ja von der Zuzahlung befreit, aber ein Prozent muss ich übernehmen.“ Etwas mehr als 53 Euro seien das im letzten Jahr gewesen. Verdammt viel Geld für jemanden, dem zum Sparen nichts bleibt.
„Ich will nicht unverschämt sein“, betont Thiel. Jeder, der arbeiten gehe, habe es verdient, mehr im Geldbeutel zu haben als er. „Angesichts der Inflation fände ich es aber fair, zumindest vorübergehend mehr Unterstützung an arme Menschen auszuzahlen.“ Warum er nicht zur Tafel gehe, um mehr frische Lebensmittel zu erhalten, die er als Dialysepatient dringend bräuchte? „Ich geniere mich“, gibt Thiel zu.
Rotkohl, Klöße und Gulasch sorgen für Zufriedenheit
Als die Essensausgabe beginnt, geht es im Gemeindesaal zu wie an jedem Buffet: Wer zuerst kommt, wird zuerst bedient. Eine lange Schlange bildet sich. Rotkohl, Klöße und Gulasch gehen dampfend über die Theke. Dann senkt sich zufriedenes Schweigen über den Raum, für einen Moment hört man nur noch Teller und Bestecke klappern.
Auch dem 48-jährigen Micha Fuchs schmeckt es sichtlich. „Ich wohne alleine und koche nicht gerne“, erzählt er. In der Suppenkirche genieße er das frisch zubereitete Essen deshalb umso mehr. Auch Fuchs lebt von Sozialleistungen: „Ich komme klar, aber sparen kann ich nichts.“ Mal ein paar neue Schuhe oder eine warme Winterjacke? Fuchs schüttelt den Kopf. „Wenn ich so was brauche, gehe ich in den Kleiderladen und hole mir was Gebrauchtes für kleines Geld.“ Extra warme Kleidung habe er nicht. „Ich bin ehrlich gesagt froh, dass der Winter nicht so kalt ist“, sagt er und zeigt auf die einfachen Turnschuhe an seinen Füßen.
Ob es gerecht zugehe in der Gesellschaft, könne er nicht bewerten. „Ungerecht finde ich, dass ich seit acht Jahren die gleiche Brille trage, mit der ich echt nicht mehr gut sehen kann.“ Obwohl er weder rauche noch trinke, könne er sich den Betrag, den er zuzahlen müsste, schlichtweg nicht leisten.
Es ist 13.30 Uhr und allmählich leert sich der Gemeindesaal. „Bis nächste Woche dann“, hört man. Und: „Danke für das leckere Essen!“ Die Gäste haben ihre Teller selber abgeräumt, die Crew der Suppenkirche macht den Rest. Für die Ehrenamtler geht ein weiterer Tag in der Suppenkirche dem Ende entgegen. Doch bevor alle nach Hause gehen, setzt sich Team 5 selber an einen Tisch und lässt es sich schmecken. Warum sie ausgerechnet dieses Ehrenamt übernommen haben? Sigrid Jamrosy bringt es für alle auf den Punkt: „Weil es Spaß macht und von den Menschen, die hierherkommen, so viel zurückkommt.“
Über 200.000 Euro an Spenden
Jeden Donnerstag – auch an Feiertagen und sogar an Weiberfastnacht – wird im evangelischen Gemeindesaal die Suppenkirche angeboten: ein kostenloses Mittagessen, Getränke, Gemeinschaft und gute Gespräche. Geöffnet ist ab 11 Uhr, Essensausgabe ist ab 12 Uhr. Heute vor acht Jahren fand die erste Suppenkirche statt. Seither wurden rund 30 500 Essen ausgegeben. Zwischen 50 und 100 Gäste werden wöchentlich bewirtet. Die Kosten werden über Spenden gedeckt: Über 200 000 Euro sind in acht Jahren an Spenden zusammengekommen. Dass das Konzept ein erfolgreiches ist, zeigt auch die Treue der Ehrenamtler: Fast alle seien noch an Bord, die bei Gründung dabei waren. Wenige seien aus Altersgründen ausgeschieden, so Diakon Jens Schramm. (hn)
Unsere Serie
Einen traurigen Höchststand erreichte 2021 laut dem Paritätischen Armutsbericht die Bedürftigkeit in Deutschland. 13,8 Millionen Menschen gelten hierzulande als arm, 600.000 mehr als vor der Pandemie. „Die Befunde sind erschütternd. Noch nie wurde auf Basis des amtlichen Mikrozensus ein höherer Wert gemessen, noch nie hat sich die Armut in jüngerer Zeit so rasant ausgebreitet wie während der Corona-Pandemie“, sagt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.
In der neuen Serie widmen wir uns den unterschiedlichen Gesichtern und Auswirkungen von Armut, wie sie auch im Kreis Euskirchen zu finden sind. Wir sprechen mit Sozialverbänden, Vereinen und Initiativen, vor allem aber mit Betroffenen selber. Denn sie sind die wahren Experten und können fernab von Statistiken, Gesetzestexten und politischen Statements über die Herausforderungen berichten, die die Armut tagtäglich mit sich bringt. Sie haben Anregungen? Schreiben Sie uns gerne.