Eine Flasche Wodka am TagInnenansichten aus dem Leben eines Alkoholikers

Eine Entgiftung in der Klinik holt den Alkohol aus dem Körper, aber nicht nicht aus dem Kopf.
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Euskirchen-Euenheim – Um fünf Uhr läutet die Schulglocke. Daniel Schmitz (Name geändert) packt seine Tasche zusammen, wirft sie über die Schulter. Er eilt über die Gänge, nickt Kollegen und Schülern zu, unverbindlich, die Augen auf den Boden gerichtet. Wenige Minuten später steht Schmitz im Supermarkt. Er legt ein Sixpack auf das Kassenband, Reissdorf Kölsch, jeden Abend. In der Bahn macht Schmitz die erste Flasche auf. Bis zu seiner Haustür wird er drei Flaschen getrunken haben. Manche Leute in der Bahn schauen ihn angewidert an, der Geruch von Alkohol stört sie auf ihrem Heimweg. Die meisten interessiert es nicht, andere trinken ja auch, vor allem junge Leute. Sie genießen ihr Feierabendbier, so wie ich, denkt sich Schmitz. Zu Hause macht er das Sixpack leer, Flaschen auf die Spüle, schlafen. Es ist das Jahr 2008, tagsüber ist Daniel Schmitz Referendar an einer Schule und abends Trinker. Alleine in seiner Wohnung.
Heute, sieben Jahre später. Ein großes Gebäude in Euenheim, u-förmig, in der Mitte ein Innenhof mit Buddha-Statuen und Tischen und Pflanzen. Alles sehr schön, verklinkerte Häuser, grüne Fensterrahmen und ein Briefkasten aus Metall. 17 Menschen leben hier im Betreuten Wohnen der Caritas, alle waren mal süchtig und können es wieder werden: nach Spiel, Drogen, Medikamenten oder Alkohol. Daniel Schmitz sitzt im Büro von Marion Schäfer, Mitarbeiterin der Caritas. Sie kommt mehrere Mal in der Woche vorbei, unterhält sich mit den Bewohnern. Schmitz ist inzwischen 45, er spricht deutlich, geordnet und schnell. Er ist sehr intelligent, unverkennbar. Er erzählt seine Geschichte, klar und ohne Erinnerungslücken. Seit zwei Jahren und neun Monaten lebt er jetzt im Betreuten Wohnen der Caritas. Seit zwei Jahren und sechs Monaten ist er trocken.
Irgendwann ist es nicht bei einem Sixpack geblieben, und nicht nur nach der Schule. Schmitz lässt sich immer häufiger krankschreiben. Er hat dann mehr Zeit, kann schon morgens anfangen zu trinken. Schmitz ist Spiegeltrinker, er hält immer einen bestimmten Pegel. Doch sein Körper gewöhnt sich an den Alkohol, braucht mehr und mehr. Irgendwann trinkt Schmitz eine Flasche Wodka am Tag. Er fängt nachmittags an, trinkt bis in die Nacht. Am nächsten Morgen geht er häufig nicht in die Schule, lässt sich wieder krankschreiben, weil es ihm peinlich ist, dass er den Unterricht nicht vorbereitet hat. Manchmal geht er aber auch, lässt seine Schüler Filme gucken oder Gruppenarbeit machen. Er riecht seine eigene Fahne. Doch nie spricht ihn jemand an. Nur der Direktor fragt ihn einmal nach seinen zahlreichen Krankschreibungen, sagt: „Ein Glas Rotwein am Abend ist gut für den Körper.“ Heute glaubt Schmitz, dass das eine Anspielung auf seine Sucht war. Damals merkt er es nicht.
Lesen Sie im nächsten Abschnitt, wie Daniel Schmitz als Student und Lehrer mit dem Alkohol umgegangen ist.
Referendariat geschafft - Mit einer Flasche Wodka am Tag
Daniel Schmitz wird in Weilerswist geboren, geht dort zur Grundschule und aufs Gymnasium. Er wächst bereits mit Alkohol auf. Übermäßiger Alkoholkonsum ist in der Familie gang und gäbe. In seiner Jugend trinkt Schmitz nicht übermäßig, einmal im Quartal vielleicht. „Aber ich habe immer diese Gier gespürt“ sagt er. Schmitz studiert Philosophie und Sozialwissenschaften. Eigentlich wollte er ja nur Bilder malen und ausstellen, nicht Lehrer sein. Doch alle empfehlen es ihm, wegen der finanziellen Sicherheit. „Manchmal habe ich vor der Schule getrunken, weil ich dachte, dann geht der Tag schneller rum und macht mehr Spaß“, sagt Schmitz.
Ende 2006 stirbt seine Mutter. Nach der Beerdigung lebt er eine Zeit lang im Haus seiner Eltern. Dem Bruder fällt auf, dass Schmitz trinkt. Wenn sie zusammen seien, solle er bitte möglichst nüchtern sein, sagt er ihm. Eine Therapie empfiehlt er ihm nicht. 2010 schließt Schmitz sein Referendariat erfolgreich ab, mit einer Flasche Wodka am Tag. Er malt nicht mehr. Schmitz arbeitet an einer Schule, hat Schüler im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren. Er bekommt Ärger. Es ist aufgefallen, dass seine Schüler aus der Zwölften kaum etwas aus dem Lehrplan können. Jeden Morgen fährt Schmitz mit dem Auto zur Schule, meistens mit Restalkohol im Blut.
Wenn er sich krankschreiben lässt, erzählt er seinem Hausarzt von Kopfschmerzen und Grippe. Irgendwann vertraut er sich ihm an, Schmitz weiß ja, dass das Trinken nicht gut ist. Aber er kann einfach nicht aufhören. Der Hausarzt schreibt ihn krank, wegen Alkoholismus. Zum ersten Mal hört Schmitz, dass das, was er hat, eine Krankheit ist. Er unterzieht sich einer Entgiftung, sieben Tage Zülpich Marienborn. Entgiftung hört sich gut an. Und so leicht. Aber der Entzug der Droge macht den Körper fertig, ist eine Tortur. Schmitz bekommt Dystra Neurin, am Anfang 16 Stück, das lindert die Schmerzen. Die Entgiftung holt den Alkohol aus dem Körper, nicht aus dem Kopf. Schmitz fühlt sich wohl während der Entgiftung mit den anderen, aber als er aus der Klinik kommt, ist er wieder allein in seiner Wohnung. Manchmal vergehen zwei Wochen, bis er wieder trinkt. Manchmal zwei Tage. Zwölfmal wird Schmitz rückfällig, zwölfmal muss er wieder zur Entgiftung.
Lesen Sie im nächsten Abschnitt, wie Daniel Schmitz seinen Suizidversuch beschreibt.
Die Wohnung, das Alleinsein und der Alkohol, das hängt alles zusammen
Ein Suizidversuch, Daniel Schmitz erzählt davon ganz nebenbei. „Mein Suizidversuch, mein einziger“, sagt er. Eine Nacht im Oktober 2011. Schmitz versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Mehrere Stunden lang. Um fünf Uhr ruft er den Notarzt. Er wird mit dem Krankenwagen abgeholt und am Handgelenk operiert. Schmitz muss nicht in der Klinik bleiben, wird nicht als selbstmordgefährdet eingestuft, immerhin hat er ja angerufen, nachdem er seine Pulsadern nicht aufschneiden konnte. Doch er entscheidet sich dafür, in der Klinik zu bleiben. Wie er sowieso alles ganz genau reflektiert. Nur etwas zu ändern ist so schwer. Er macht eine Langzeitkur, zehn Wochen in Neuwied. Er fühlt sich gut. Am ersten Tag nach seiner Rückkehr sitzt er wieder alleine in seiner Wohnung und wird rückfällig.
Die Wohnung, das Alleinsein und der Alkohol, das hängt alles zusammen. Im Oktober 2012 zieht Schmitz ins Betreute Wohnen nach Euenheim. Ein Angestellter der Klinik hat es ihm empfohlen. Schmitz muss noch einmal zurück in seine Wohnung, Sachen sortieren, das Zimmer in Euenheim ist nicht groß genug für seinen Kram. Er ist wieder alleine in seiner Wohnung, geht zum Supermarkt, kauft Alkohol, trinkt. Es ist sein letzter Rückfall.
Von Nietzsche angezogen
In Euenheim lebt Schmitz zusammen mit drei anderen Männern in einer Wohngemeinschaft, alle trockene Alkoholiker, vier Zimmer auf zwei Etagen und ein Gemeinschaftszimmer mit Fernseher, auf dem am Tag meist Eurosport läuft und abends ein Krimi. Meistens sitzen die Männer nur nebeneinander, manchmal kommt ein Gespräch auf. „Mir tut das gut, alleine wohnen ist nichts für mich“, sagt Schmitz. Betreutes Wohnen, der Begriff kann missverstanden werden. Die Bewohner müssen sich selbst um alles kümmern. Jeder hält sein Zimmer sauber, für Toilette und Küche gibt es Putzpläne. Die Männer kaufen für sich selber ein. Schmitz fährt mit dem Fahrrad oder geht zu Fuß. Vor der Tür stehen vier Fahrräder in einem Ständer. Seinen Führerschein hat er verloren, Trunkenheit am Steuer natürlich. Und er hat ihn nicht wieder gemacht.
Schmitz versucht, sich eine Tagesstruktur zu schaffen: Zwischen acht und neun Uhr steht er auf, dann Frühstück, Duschen und Anziehen, Mittagessen, nachmittags arbeitet er. Er malt wieder, Stimmungsbilder mit Landschaften, eingängig. Einmal in die Woche geht er zur Selbsthilfegruppe, zu den anonymen Alkoholikern. Meistens sitzen zehn Menschen da und erzählen sich, was in der Woche gut war, und was nicht so gut.
Daniel Schmitz kennt sich selber extrem gut. Er weiß, dass es riskant ist, wenn er nicht rausgeht, wenn er sich isoliert. Die Caritas bietet eine Walking-Gruppe an: einmal in der Woche von Euenheim nach Wißkirchen über die Felder und wieder zurück. Wenn Schmitz nicht mithalten kann, weiß er, dass er in der vergangenen Zeit zu wenig spazieren gegangen ist. Im Moment ist das wieder so, obwohl das Wetter gut ist. Doch Daniel liest lieber, philosophische Bücher, vor allem Nietzsche. Nietzsche, Außenseiter, psychisch krank. Schmitz fühlt sich davon angezogen. Er verehrt auch solche Maler, die isoliert von der Gesellschaft lebten. Es ist eine Gratwanderung, Schmitz sieht das Risiko, wieder auf die falsche Seite zu kippen. Er wird bald in den Vorruhestand versetzt, arbeiten wird er als Lehrer wohl nicht mehr. Vielleicht wird er irgendwann in den nächsten Jahren mal aus dem Betreuten Wohnen in Euenheim ausziehen. Alleine wohnen möchte er dann nicht mehr. Zu riskant.