Das Steinmetzhandwerk kämpft mit rückläufigen Lehrlingszahlen. Ein Euskirchener Naturstein-Betrieb bildet gleich zwei junge Leute aus.
Azubis auf KreuzfahrtUm Lehrlinge zu halten, geht Euskirchener Steinmetz ungewöhnliche Wege
Dass der Steinmetz-Beruf in Deutschland aussterbe, das will Rüdiger Esser „eigentlich gar nicht sagen“. Das Wort „eigentlich“ betont der gelernte Steinmetz aus Euskirchen auffällig. Seine Sätze beginnt er oft mit der vorangestellten Einschränkung:
Eigentlich, so sagt er zum Beispiel, habe er als Jugendlicher selbst gar keine Lust auf den Beruf gehabt. Lieber hätte er damals etwas mit Autos und Motoren gemacht. Aber sein Vater führte einen Steinmetz-Betrieb in Weilerswist-Hausweiler und hatte andere Pläne für seinen Sohn.
Der berufliche Werdegang als Steinmetz in Euskirchen war vorgezeichnet
„Ich war schon immer besonders groß und stark“, sagt Rüdiger Esser – ein Vorteil in diesem Beruf. Deswegen nahm sein Vater ihn nach der Schule häufig mit auf den Friedhof oder in die Werkstatt. „Eigentlich war mein beruflicher Werdegang schon vorgezeichnet“, denkt Esser laut.
„Bereut habe ich das aber nie“, sagt er heute. Und dass es ihn „nach vorne“ gebracht habe. Im Laufe seiner Ausbildung hat er den großen Ehrgeiz entwickelt, jede Sache, die er macht, nicht weniger als bestmöglich zu machen. Wer diesen Eifer für sich entdeckt, hat laut Esser Freude im Beruf, ob Handwerker, oder Leistungssportler.
Nach seiner Ausbildung und vielen Jahren des üblichen „Knatsches“ zwischen einem Vater und einem Sohn, die täglich zusammen schwere Arbeit verrichten, machte Esser sich 1997 selbstständig. Die personelle Aufstellung zu Beginn: eine Lebensgefährtin, ein einziger Mitarbeiter. „Und der ist immer noch da“, sagt Esser stolz. Die Lebensgefährtin ist es nicht mehr.
Viele der 5121 Steinmetz-Firmen in Deutschland sind Ein-Mann-Betriebe
Heute arbeiten 13 Personen in seinem Betrieb. Das ist allerdings nicht die Regel: Laut Jahresbericht des Bundes Deutscher Steinmetze in Deutschland gibt es 5121 Steinmetzbetriebe in Deutschland. Viele davon sind Ein-Mann-Betriebe. „Wer ernten will, muss sähen“, sagt Esser dazu. Deswegen hat er seit 1998 sieben Azubis ausgebildet. Zwei weitere befinden sich gerade in der Probezeit.
Wie Geschwister sitzen Pascal Elschenbroich und Benjamin Achnitz (beide 17 Jahre alt) auf einer Bank im Pausenraum. Pascal Elschenbroich hat seine schwarze Nike-Kappe tief ins Gesicht gezogen, Benjamin Achnitz beißt in ein Fleischkäsebrötchen mit dicker Scheibe. Im September haben sie ihre Ausbildung zum „Naturwerksteinmechaniker“ bei Rüdiger Esser begonnen. Doch so richtig geplant war das von beiden nicht.
Per Zufall begannen zwei Jugendliche gleichzeitig die Ausbildung
„Eigentlich wollte ich eine Ausbildung zum Schlosser machen“, sagt Pascal Elschenbroich. „Eigentlich wollte ich eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker machen“, sagt Benjamin Achnik. Achnik fand aber keinen Ausbildungsplatz als Kfz-Mechaniker. Elschenbroich hatte zwar schon eine Stelle als Schlosser-Azubi in Aussicht, doch die platzte in letzter Sekunde.
„Und dann hat Alex ausgeholfen“, sagt Pascal Elschenbroich. Alexandra Wirtz-Schulz sitzt im Büro des Betriebes und ist mit Pascal Elschenbroichs Mutter befreundet. „Sie hat bei Herrn Esser ein gutes Wort für mich eingelegt“, sagt er. „Und für mich“, sagt Benjamin Achnik. Denn mit seiner Mutter ist sie auch befreundet. „Alex hat viele Freunde“, sagt Elschenbroich und lacht.
„Zwei Azubis gleichzeitig auszubilden, ist in der Branche ungewöhnlich – gerade jetzt“, sagt Esser. Ungewöhnlich, weil die Branche klein und die Konkurrenz groß sei. Und weil das Steinmetzhandwerk grundsätzlich mit rückläufigen Lehrlingszahlen kämpfe. „Man findet heute nicht mehr so leicht Jugendliche, die Lust darauf haben, acht Stunden pro Tag bloß mit Hammer und Meißel zu arbeiten.“
Viele Steinmetz-Betriebe haben inzwischen ein zweites Standbein
Deswegen denkt Esser den Beruf zukunftsfähig. Bildet keine klassischen Steinmetze mehr aus, sondern Naturwerksteinmechaniker. Der Unterschied: Die Azubis lernen nicht nur die bloße Handarbeit am Stein, sondern haben ein größeres Aufgabenspektrum: wie etwa die Arbeit an der CNC-Maschine. „Die funktioniert praktisch wie ein Thermomix“, sagt Esser. „Wir geben am Computer ein, was sie produzieren soll, und sie produziert.“
Das habe zum einen den Vorteil, dass ein Großteil anstrengender körperlicher Arbeit durch die Maschinen ersetzt werde. Deswegen müssen Achnik und Elschenbroich heute nicht mehr notwendigerweise so groß und stark sein, wie Esser selbst es als Jugendlicher war. Zum anderen erweitere die Arbeit am Computer das Spektrum. Esser beginnt aufzuzählen: „Wir machen Grabmale und Küchenplatten und Treppen und Natursteinfassaden und Fensterbänke und...“
Er unterbricht seine Auflistung: „Nur klassisch vom Grabmal können nämlich die wenigsten Betriebe noch leben.“ Viele Betriebe hätten inzwischen weitere Standbeine. Denn die Grabplatten seien kleiner geworden – und günstiger.
Ein schicker Grabstein ist ein Luxusartikel geworden
Ein schicker Grabstein sei keine Notwendigkeit mehr, sondern ein Luxusartikel. „Zwischen 9000 und 13.000 Euro hat man früher für eine klassische Sargbestattung in Euskirchen bezahlt, heute bekommt man alles für etwa 3000 Euro.“ Weil die Branche sich so stark verändere, sei es eben nötig umzudenken.
„Ich wusste gar nicht, was ein Naturwerksteinmechaniker alles machen kann“, sagt Pascal Elschenbroich. Dass die Betriebe es schwer haben, Nachwuchs zu finden, wusste er aber schon.
Er vermutet, dass es auch daran liege, dass neben vielen anderen auch dieser Beruf auf den Schulhöfen keine große Lobby habe. „Wenn man unter Freunden über Zukunft und Ausbildung gesprochen hat, dann hat man über Schlosser, Maurer und Heizungsbauer gesprochen.“ Nie über Steinmetze. Oder über Naturwerksteinmechaniker.
Bereits nach ein paar Monaten spricht ein Azubi „naturwerksteinmechanisch“
Dabei ist er begeistert von der Vielfältigkeit seiner Arbeit. Er sagt, er könne schon bohren, sandstrahlen, flexen und den Kantenautomat bedienen. Auf die CNC freue er sich schon. Dann hält er inne und lacht: „Wir sprechen schon naturwerksteinmechanisch“, sagt er. Wenn er etwas zu Hause so erkläre, stutze seine Freundin immer. Deswegen habe er sich angewöhnt, ganz kleine Modellstücke zum Zeigen zu fertigen.
Mit seinen Azubis ist Rüdiger Esser zufrieden. Das zeigt er ihnen auch. Mit Blick auf den Fachkräftemangel sagt er: „Ich glaube, es ist wichtig, dass wir Ausbilder den jungen Leuten mehr anbieten.“ Schließlich seien es diese Menschen, die den Betrieb ausmachten und „nach vorne“ brächten.
Eine faire Bezahlung motiviert junge Menschen, einen Beruf zu ergreifen
Was junge Menschen laut Esser wirklich motiviert, einen Beruf zu ergreifen, das sei eine gute und faire Bezahlung. „Deswegen kriegen meine Praktikanten – auch wenn sie nur ein bisschen mit angepackt haben – immer 200 Euro.“ Seine Quote gibt Esser recht: 85 Prozent der jungen Leute, die für ein Praktikum in den Betrieb kamen, blieben für die Ausbildung.
Den jungen Menschen etwas anbieten, bedeutet für Esser aber nicht nur fair zu bezahlen. Es bedeutet auch, dass gut gefüllte Getränkekästen in der Werkstatt stehen und dass der Betrieb demnächst acht Tage schließt: „Wir alle gehen nämlich auf Mittelmeer-Kreuzfahrt“, sagt Pascal Elschenbroich und kann trotz der tief ins Gesicht gezogenen Kappe und der betont lässigen Miene nicht verbergen, wie sehr er sich freut. 16.000 Euro koste das, sagt Esser. Das sei es aber wert.
Dass Esser bereit ist, seinen Auszubildenden einen großen Vertrauensvorschuss zu schenken, geht nicht immer gut aus. Erst vor kurzem habe er den Vorgänger von Elschenbroich und Achnitz fristlos entlassen. Der Jugendliche habe zunächst ein Praktikum, dann eine Ausbildung bei Esser gemacht. „Eigentlich sah das alles sehr gut aus“, sagt Esser. Fleißig sei er gewesen und lernwillig. „Wollte was aus seinem Leben machen.“
Erst vor kurzem hat Esser einen seiner Azubis entlassen
Irgendwann vertraute sich der Azubi Rüdiger Esser an. Erzählte, dass es ihm bei seiner Mutter nicht gut gehe. Dass die Heizung nicht funktioniere und es kein warmes Wasser gebe. Deswegen setzte sich Esser ins Auto, holte den jungen Mann zu Hause ab, und stellte ihm für die Dauer seiner Ausbildung ein Monteurzimmer zur Verfügung. Gar nichts Aufwendiges, sagt der Steinmetz. Bloß ein frisch bezogenes Bett und ein Fernseher an der Wand. „Als wir gemeinsam das Zimmer betraten, fing der Junge furchtbar an zu weinen“, erinnert sich der Ausbilder.
Seine Dankbarkeit habe er dann durch besonderen Fleiß ausgedrückt. Doch das währte nicht lange. Bald zeigte sich, dass der Azubi ein starkes Drogenproblem hatte. Zu Hause wie auf der Arbeit. Das Monteurzimmer habe er total verwüstet. „Ich bin immer noch daran, es wieder herzurichten“, sagt der Ausbilder. Trotzdem würde er auch den Menschen, die sich schon während der Schulzeit nicht von ihrer besten Seite gezeigt hätten, wieder eine Chance geben. „Oft sind schlechte Schüler gute Handwerker.“
Im Arbeitsleben habe sich generell etwas geändert, sagt Esser. Das zeige sich am Gemüt der Jugendlichen. „Sie geben viel mehr Acht auf sich, als wir das früher getan haben.“ Wenn er seine Azubis bei der Arbeit sieht, dann tragen sie immer Masken und Gehörschutz, um ihre Gesundheit nicht zu belasten. „Das haben wir früher nie getan.“ Stattdessen habe man früher geraucht. Esser lacht.
Die jungen Menschen hätten angefangen, auf sich zu achten. Sie wollten nicht nur arbeiten und fair entlohnt werden, sondern auch nach der Arbeit – sei es abends, oder im Alter – noch etwas von ihrem Leben haben. „Eigentlich ist das doch eine gute Entwicklung“, sagt er und korrigiert sich sofort: „Es ist eine gute Entwicklung.“