Der Alte Schlachthof in Euskirchen wird zu einem energieautarken Wohnquartier umgewandelt. Ein tibetischer Meditationsmeister führte nun Rituale durch, um die Geschichte des Ortes loszusprechen.
Wohnquartier geplantBuddhistisches Ritual soll blutige Vergangenheit auf Schlachthof in Euskirchen lossprechen
Wie kann es gelingen, einen Ort, an dem über 100 Jahre Abertausende von Tieren geschlachtet wurden, umzuwandeln in ein hochmodernes, lebenswertes Wohnquartier, ohne dass die Geschichte des Ortes Einfluss auf die Atmosphäre und Lebensqualität nimmt? Dieser Frage stellten sich die Verantwortlichen der Euskirchener Baugesellschaft (Eugebau) schon unmittelbar, nachdem sie 2017 den alten Schlachthof gekauft hatten – sind sie doch der Ansicht, dass die Energie der Ängste und Leidenserfahrungen der Schlachttiere dem unter Denkmalschutz stehenden Backsteingebäude regelrecht anhaften.
Meditationsmeister aus Nepal im ehemaligen Schlachthof
Die am Dienstag durchgeführten buddhistischen Rituale im ehemaligen Schlachthof sind nur ein Teil der Antwort darauf, wie man mit diesem Erbe umgehen kann: Zu Gast war der tibetische Meditationsmeister Tulku Rigdzin Pema Rinpoche, ein in der buddhistischen Welt hoch angesehener Lehrmeister. Gerade von einem Tempelbau in Mexiko zurückkehrend, machte er kurz Station in Euskirchen, ehe er sich wieder auf den Heimweg nach Nepal begab.
Einen ganzen Schlachthof loszusprechen und damit die Transformation voranzutreiben, das war auch für den buddhistischen Lehrmeister etwas Neues.
Die Verbindung zu ihm hergestellt hatten der Künstler Rolf A. Kluenter, der seitens der Eugebau mit eingebunden ist in die Transformation des Gebäudes, und der Tibetologe Andreas Kretschmar. Beide sind selber Buddhisten. Im Vorfeld hatte Eugebau-Geschäftsführer Oliver Knuth an Rinpoche die Frage gerichtet, ob denn das den Tieren zugefügte Leid nach der buddhistischen Tradition wieder auszugleichen sei, was dieser positiv beantwortete: Im Sinne der buddhistischen Karma-Lehre sei jeder von uns eng mit allen Lebewesen verbunden. „Ich werde versuchen, mich mit Liebe und Mitgefühl an all diese getöteten Lebewesen zu richten und aus dieser Geisteshaltung zwei Rituale durchführen.“
Und so saß am Dienstagvormittag und -nachmittag jeweils eine kleine Anzahl von Gästen, darunter Bürgermeister Sacha Reichelt und MdL Klaus Voussem, in der ehemaligen Schlachthalle und beobachtete gespannt deren Durchführung. Tulku Rigdzin Pema Rinpoche saß auf einem Podest, das vielleicht nur zufällig über der Gasse aufgebaut wurde, durch die einst die angelieferten Schlachttiere getrieben worden waren. Räucherstäbchen erfüllten die Luft des kalten Raumes, an dessen Decke noch die Transportketten mit den Tierhaken zu sehen sind.
Andreas Kretschmar stimmte das Publikum am Morgen darauf ein, einem Ritual in unverständlicher Sprache aus einer für die meisten unverständlichen Kultur beizuwohnen. Er empfahl den Versuch, sich mental einzuklinken. „Das weithin tönende Gelächter der Dakini-Himmelsfeen“ ist der Titel des ersten, jahrhundertealten Rituals.
Laut Kretschmar richtet es sich an leidende Lebewesen, an Leidverursacher und negative Energien im Allgemeinen. Es soll ermöglichen, „Leid an der Wurzel durchzuschneiden“. Rinpoche trug die traditionsreichen rituellen Texte in monotonem Gesang vor, untermalt von den Tönen einer kleinen Tempelglocke und der Damaru, einer tibetischen Handtrommel.
Das Ziel ist es, mit Liebe und Rücksicht durch das Leben zu gehen
Das am Nachmittag durchgeführte Ritual „Der glorreiche Schatz der Langlebigkeit und des Verdienstes“ soll positive Kräfte mobilisieren sowie Glück bringende Energien, Wohlstand und Reichtum fördern. Letzteren solle man nach buddhistischer Lehre altruistisch einsetzen und anderen damit helfen, erklärte Kretschmar. Im Anschluss gab es Gelegenheit, dem weitgereisten Gast Fragen zu stellen, die Andreas Kretschmar übersetzte.
Rinpoche erläuterte dabei, dass die höchste Aufgabe darin liege, allen Lebewesen mit Liebe und Mitgefühl zu begegnen. Ein Leben zu führen, bedeute aber auch immer, auf Kosten anderer zu leben. Man brauche nur über eine Wiese laufen, schon würden unter den eigenen Füßen Insekten sterben. Es gehe darum, den Schaden möglichst gering zu halten und mit Liebe, Anteilnahme und Rücksicht durch das Leben zu gehen. Die Tradition des alten Schlachthofes soll, so Eugebau-Geschäftsführer Oliver Knuth, auch künftig weitertransformiert werden – mit Hilfe der Kunst, aber auch mit neuen Wegen – wie eben den beiden buddhistischen Ritualen.
Energieautark
2017 erwarb die Eugebau den Euskirchener Schlachthof und legte ihn still. Seither ist der Transformationsprozess des Gebäudes in vollem Gange. Ziel ist, dort das erste physisch energieautarke und CO2-neutrale Wohnquartier in NRW zu bauen. Energieträger wird mittels Photovoltaik produzierter Wasserstoff.
Zum Schlachthof gehört ein Grundstücksareal von 9500 Quadratmetern. Dort entstehen fünf Mehrfamilienhäuser mit etwa 70 Wohnungen. Der alte, denkmalgeschützte Schlachthof selber wird zum Standort des Kraftwerks, aber auch zum Ausstellungsgebäude für die Wasserstoff- und Gleichstromtechnik, sowie für Themen, die die Geschichte und Transformation des Schlachthofes reflektieren. Themen aus Architektur, Kunst, Technologie und Wissenschaft sollen hier eine Plattform finden.
Noch im Januar soll mit dem Rückbau auf das denkmalgeschützte Schlachthofgrundgebäude von 1903 begonnen werden. (hn)