Christa (Name geändert) leidet an schweren Depressionen. Nach 30 Jahren Berufstätigkeit landete sie beinahe auf der Straße.
„Gesichter der Armut“Wie Depressionen das Leben einer Euskirchenerin aus der Bahn warfen
Die Wände ihrer kleinen, freundlichen Wohnung hängen voll mit alten Familienbildern, Postkarten und kleinen Merkzetteln. „Jeder Morgen ist ein neuer Anfang unseres Lebens“, steht darauf. Oder: „Es kommt, wie es kommt. Und es wird, wie es sein soll.“
Von der Erzieherin mit Leib und Seele in die Depression
Christa Schoff, die eigentlich anders heißt, sitzt am Küchentisch und krault einen ihrer drei Kater. Anton schnurrt, während Schoff ihre Gedanken ordnet, um zu erklären, wie genau alles anfing. „Alles“ – damit gemeint ist ihre schwere Depression, ihr jahrelanger Kampf gegen die Herausforderungen des Alltags, die immer größer zu werden schienen, und schließlich der Punkt, an dem ihr Leben in beträchtliche Schieflage geriet. „Aber: Was mir passiert ist, das kann jedem passieren“, betont die 53-Jährige. Psychische Erkrankung, das sei etwas, was unabhängig von Alter oder sozialer Herkunft über einen kommt.
Die Depression ereilte sie schleichend. Christa Schoff, ausgebildete Erzieherin und überwiegend tätig in Brennpunkt-Kitas, habe sich oft müde und antriebslos gefühlt und das Gefühl gehabt, „nichts mehr auf die Reihe zu kriegen“. Ab und an fehlte sie für ein paar Tage. Sie habe sich immer schnell wieder berappelt und sei zurück an die Arbeit, die ihr viel bedeutet habe.
30 Jahre sei sie mit Leib und Seele Erzieherin gewesen. Schon als Kind habe sie nichts anderes im Sinn gehabt, wenn man sie nach ihrem Berufswunsch gefragt habe. Im Flur hängt ein Foto, darauf eine Gruppe lachender Kinder. Mit schwarzem Filzstift steht darunter: „Wir werden dich vermissen, du bleibst immer in unseren Herzen.“ Ein Abschiedsgeschenk, erklärt Christa Schoff.
„Ich habe es nicht mehr geschafft, meine Rechnungen zu bezahlen“
Irgendwann habe sie nicht mehr gekonnt. Anderthalb Jahre sei sie krankgeschrieben gewesen nach dem Zusammenbruch. Lange Klinikaufenthalte, etliche Therapien, Psychopharmaka. Finanziell sei es schnell eng geworden. „Ich habe es nicht mehr geschafft, meine Rechnungen zu bezahlen, aus Antriebsmangel. Man kann sich das nicht vorstellen, wie sehr einen eine Depression ausbremst, selbst das Ausfüllen eines Überweisungsträgers ist dann plötzlich ein Riesending.“
Ihre letzte Kraft verwendet Christa Schoff damals darauf, die Fassade zu wahren. Nach außen hin tut sie so, als sei alles in bester Ordnung. „Sei wie du bist, es kommt sowieso raus“, steht auf einer der Postkarten an der Küchenwand, und es liest sich wie eine Mahnung. Damals habe sie bereits wegen ausstehender Mietzahlungen die Kündigung für ihre Wohnung erhalten. Es fehlte nicht viel, und sie wäre auf der Straße gelandet. „Kleckerweise habe ich dann meinen Eltern erzählt, wie es wirklich aussieht in meinem Leben, und sie haben mir sehr geholfen, tun es noch.“
Der Rauswurf aus der Wohnung wird abgewendet, doch Christa Schoff braucht professionelle Hilfe. „Ich wusste von der Caritas und ihren Angeboten, ich hatte ja beruflich lange genug mit den Sozialverbänden zu tun. Aber ich habe mich geschämt. ,Ich doch nicht!’, habe ich gedacht.“
Hilfe durch das Sozialpsychiatrische Zentrum, Therapie und Medikamente
Schließlich überwiegt die Verzweiflung – Christa Schoff wendet sich an das Sozialpsychiatrische Zentrum (SPZ) der Caritas und beantragt dort eine gesetzliche Betreuung für den Teilbereich Finanzen. Christa Schoff: „Ich habe das damals auch für meine Katzen gemacht, auch sie sollten ihr Zuhause nicht verlieren.“
In der Selbstbeschreibung heißt es: „Das SPZ leistet ambulante Hilfen für psychisch erkrankte Menschen, mit dem Ziel, den Betroffenen ein zufriedenstellendes Leben in ihrer eigenen Umgebung zu ermöglichen“. Und genau das möchte auch Christa Schoff, die von sich selbst sagt, jede Menge Gottvertrauen und einen starken Steinbock-Willen zu haben.
Mittlerweile bezieht die 53-Jährige, die ihre Depression mit Therapie und Medikation im Griff hält, Erwerbsunfähigkeitsrente. „Knapp 1000 Euro stehen mir zur Verfügung“, sagt sie. Große Sprünge seien davon nicht zu machen, besondere Freizeitaktivitäten auch nicht oder „einfach mal so einen Kaffee trinken gehen“.
Früher habe sie sich alle Nase lang Bücher gekauft. „Das kann ich nicht mehr, dafür gehe ich an keinem Bücherschrank vorbei, ohne darin nach Lesestoff zu suchen.“ Die Eltern schenkten der lesebegeisterten Tochter zu Weihnachten eine Jahresmitgliedschaft in der Stadtbibliothek Euskirchen, die sie nach Kräften nutzt.
Die Inflation trifft Empfänger von Sozialhilfe besonders hart
Die Inflation habe Christa Schoffs Leben deutlich erschwert. Grundnahrungsmittel oder frische Waren – das sei sehr teuer geworden. Obst und Gemüse kaufe sie deshalb am liebsten in einem türkischen Supermarkt, der nicht mehr ganz so ansehnliche Ware in Tüten zusammenpackt und für ein paar Euro anbietet. „Ich weiß mir eben zu helfen“, sagt die 53-Jährige. Auch für das Katzenfutter müsse sie seit geraumer Zeit deutlich mehr zahlen: „Aber ich verzichte lieber selber auf Essen, als die Katzen nicht ordentlich zu versorgen.“
Letztes Jahr habe sie ihre EC-Karte an ihre Betreuerin abgegeben. „So behalte ich besser den Überblick über meine Ausgaben“, erklärt Schoff. Anfangs ließ sie sich zweimal wöchentlich 50-Euro-Auszahlungsscheine geben, die sie in der Caritas-Hauptgeschäftsstelle gegen Bargeld einlösen konnte. „Mittlerweile ziehe ich mir einmal die Woche 100 Euro am Automaten und gebe die Karte danach wieder ab. Allmählich komme ich wieder auf einen grünen Zweig“, so Schoff.
Ein Luxusweibchen sei sie nie gewesen, deshalb müsse sie auch jetzt nicht modisch auf dem neusten Stand sein. Aber wenn sie Schuhe oder eine Jacke bräuchte, werde es schwierig. „Eine neue Brille kann ich mir auch nicht leisten. Ich nutze Lesebrillen aus dem Ein-Euro-Shop.“
Armut gibt es überall – auch in Euskirchen
Ob sie sich vorstellen könne, jemals wieder arbeiten zu gehen? Christa Schoff überlegt. „Eine volle Stelle, wie ich sie immer hatte, werde ich sicher nicht mehr packen“, so die 53-Jährige und fügt an: „Glauben Sie mir, ich wäre gerne einfach nur wieder stinknormal.“
Umso mehr würde sie sich wünschen, dass Menschen wie sie, „die wegen einer chronischen Erkrankung in die Erwerbsunfähigkeits- oder Frührente geraten, nicht den Ruf hätten, faul zu sein oder keine Lust mehr aufs Arbeitsleben zu haben“. Und ja, schwarze Schafe, die gebe es natürlich überall. Aber die Menschen, die Schoff mittlerweile in ähnlicher Situation kennengelernt habe, seien „alle über Erkrankung oder persönliche Schicksalsschläge hineingerutscht in ihr schwieriges Leben“.
Vor allem die Hilfe ihrer Familie und von Freunden habe sie wieder in die Spur gebracht. Und die professionellen Angebote der Caritas mit dem Café Workshop, einer Begegnungsstätte, in der sich Betroffene in geschütztem Rahmen austauschen und Zeit verbringen können. Schoff: „Ich habe dort auch Freundschaften geschlossen.“
Was Armut im Alltag bedeute, habe sie in ihrem Berufsleben oftmals mitbekommen. „Es selber zu erleben, ist trotzdem etwas ganz anderes“, sagt Christa Schoff. „Armut – das ist nicht weit weg oder nur in den Großstädten. Das ist hier in Euskirchen, vor unserer Haustür.“