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Umstrittenes Methadon-ProgrammFlamersheimer Ärztin hilft Süchtigen mit Ersatzdroge

Lesezeit 5 Minuten

Täglich wird an diesem Automaten von einer Praxismitarbeiterin, hier Ira Schröder, das Methadon für die Patienten „gezapft“.

  1. Seit 20 Jahren betreut die Flamersheimer Ärztin Dr. Ulrike Buchmann Suchtkranke in ihrer Praxis mit Methadon.
  2. Das Programm nicht unumstritten.

Kreis Euskirchen/Flamersheim – Unscheinbar steht der kleine Kasten in der Hausarztpraxis von Dr. Ulrike Buchmann. Eigentlich sieht er aus wie eine moderne Kaffeemaschine. Doch zapft man aus ihm eine spezielle Flüssigkeit: Methadon. Seit Ende der 1980er-Jahre ist das bitter schmeckende Opiat das Hoffnungselixier für viele Heroinabhängige, um ein geregeltes Leben zu führen, vielleicht sogar den Ausstieg aus der Sucht schaffen zu können. „Heroin ist ein Dämon, der den Leuten gierig im Nacken sitzt und sie bestimmt!“, weiß Dr. Buchmann.

Patientenzahl steigt an

20 Jahre hat die Flamersheimer Ärztin in der Pützgasse das bundesweit eingeführte Methadon-Programm (siehe „Umstrittene Ersatzdroge“) angeboten. Waren es früher mehrere Ärzte im Kreis Euskirchen, sei sie heute mit einem Zülpicher Arzt allein auf weiter Flur. Die Zahl der Methadon-Patienten sei hingegen gestiegen. Etwa 75 Menschen betreue sie aktuell allein in ihrer Praxis. Jeden Tag – auch sonntags und an Weihnachten – kommen die Methadon-Patienten um das Substitut einzunehmen. Es wird nicht gespritzt, sondern getrunken. Nur in Ausnahmefällen dürften die Rationen für mehrere Tage mit nach Hause genommen werden.Wer meint, Drogen seien in der Region kein großes Thema, irrt sich gewaltig, sagt die Ärztin: „Wir haben im Kreis Euskirchen einen hohen Anteil an Drogenabhängigen.“ Die Dunkelziffer sei riesig. Der Handel mit Drogen boome. „Das ist ein Riesenmarkt! Wir liegen hier genau auf der Rennstrecke zwischen Aachen, Köln und Bonn“, berichtet sie. Die Dörfer brauche man da nicht auszunehmen, ist Buchmann sicher. Im Gegenteil. Sie habe den Eindruck, auf den Dörfern funktioniere der Handel besonders gut. „Da rechnet nämlich keiner mit“, stellt sie fest.

Das Methadon-Programm ist nicht unumstritten. Doch Buchmann ist von den Vorteilen überzeugt. Der Ersatzstoff gebe zwar nicht den „Kick“, aber dafür blieben auch die Entzugserscheinungen aus.„Die Drogenabhängigen kommen mit dem Methadon endlich raus aus dieser Hatz, aus dieser täglichen Jagd nach Heroin für den nächsten Schuss“, begründet sie. Patienten könnten mit dem Methadon wieder ein geregelteres Leben führen – inklusive Arbeit und Tagesstruktur. Vielleicht aber auch ein längeres Leben. Denn die Zahl der Drogentoten durch den letzten „goldenen Schuss“ sowie das Infektionsrisiko durch unsaubere Spritzen könne mit Methadon gesenkt werden. „Das musst du mal ausprobieren. Das ist toll“, lauteten meist die verhängnisvoll (ver)lockenden Sätze.

Weg von der Jagd nach dem „Kick"

Das typische Einstiegsalter ins Drogenmilieu? Meist in jungen Jahren, so die Ärztin. Amphetamine seien die weit verbreitete Einstiegsdroge – auch bekannt als Speed. „Amphetamine sind bei den jungen Leuten heute die Partydroge zum Aufputschen. Wenn man dazugehören will, muss man mit.“Trotz Aufklärung experimentierten immer noch viele Jugendliche im Kreis Euskirchen mit Drogen aus reiner Neugierde – und unterschätzen dabei nicht selten das Risiko, süchtig zu werden, so Buchmann: „Wenn sie Pech haben, haben sie einen Dealer, der ihnen Heroin drunter mischt. Oder ihnen verspricht: ich hab noch was Besseres als das hier.“ Schnell folgten Koks, Heroin oder Crystal Meth. Die Abhängigkeit sei schnell, meist nach wenigen Tagen vorhanden. Aus dem gesamten Kreis Euskirchen und darüber hinaus kämen die Leute zu ihr nach Flamersheim. Das Methadon dürfe an Personen ab 18 Jahren ausgegeben werden.

Patienten bis ins hohe Alter

Die Jüngste im Kreis Euskirchen – die eine Sondergenehmigung benötigte – sei gerade erst 16 Jahre, die Ältesten bereits „60 plus“. „Das ist unser nächstes Problem, die Leute werden durch die Substitution älter und bleiben durch die enge ärztliche Betreuung gesünder“, so Buchmann: „Wir müssen damit rechnen, dass wir demnächst auch in den Altersheimen substituierende Patienten haben, die neben ihren Herzpillchen und Zuckerspritzen auch ihr Methadon erhalten.“Für manche dauere die Methadon-Therapie ein Leben lang. Aber es gebe auch Menschen, die es schaffen, sich heraus zu dosieren, freut sich die Ärztin. Eine lebenslange Garantie gebe es aber leider nicht. Sie weiß von Patienten, die nach zehn Jahren „clean-sein“ rückfällig geworden sind, weil etwa der Partner sie verlassen hat oder gestorben ist. Manche pflegten auch einen Beikonsum, bedauert die Ärztin: „Neben dem Methadon wird noch Heroin oder Kokain gespritzt oder geraucht, um dem Bedürfnis nach dem Kick gerecht zu werden. Zur Beruhigung wird auch Cannabis konsumiert.“ Nur zehn Prozent mache während der Abhängigkeit der Körper aus, 90 Prozent der Kopf.

Die zurückliegenden 20 Jahre seien nicht immer einfach gewesen. Oft habe sie auch gegen Windmühlen kämpfen oder sich rechtfertigen müssen, weil sie sich um „Drogenabhängige“ kümmerte. „Die will nicht jeder in seiner Praxis haben“, so Buchmann. Ihr liegt am Herzen, das die Öffentlichkeit besser verstehe, dass diese Sucht eine Krankheit ist und nicht eine Befindlichkeitsstörung oder ein schlechtes Benehmen, das man an den Tag legt. Sie hat sich eingesetzt. Ob beim ersten Besuch oder nach einem Rückfall – wenn sich jemand bei ihr meldete, wurde er nicht morgen oder übermorgen, sondern heute behandelt, versichert sie: „Weil die Kraft, die das kostet, zu sagen «hilf mir bitte»  enorm ist. Diesen Moment muss man greifen,  da kann man nicht sagen, heute habe ich keine Zeit für Sie, kommen Sie morgen wieder. Das schaffen die dann nicht mehr.“

Methadon - die umstrittene Ersatzdroge

Methadon wurde am 1. März 1988 in Nordrhein-Westfalen zum ersten Mal offiziell in Deutschland ausgegeben. Die Abgabe der Ersatzdroge war damals sehr umstritten. Es hieß, der Staat werde zum Dealer.Die Weltgesundheitsorganisation führt Methadon seit 2005 auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel. Methadon ist ein Opiat, das so ähnlich wie Heroin wirkt. Die Abhängigen sollen durch regelmäßige Einnahme von Methadon, dessen Menge langsam reduziert wird, von der Sucht loskommen. Eine psychosoziale Begleitung ist gesetzlich vorgeschrieben. Das Programm war ursprünglich auf drei Jahre angelegt. Heute ist weitgehend akzeptiert, dass manche Abhängige nur mit Dauersubstitution ein geregeltes und nicht-kriminelles Leben führen können. Kritiker entgegen allerdings, dass auch Methadon körperlich abhängig macht.