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Wenn die Flut zum Trauma wird„Gerade Männer müssen lernen, Hilfe anzunehmen“

Lesezeit 7 Minuten

Traumatisch kann das Erlebte nicht nur für die Menschen sein, die durch die Flutkatastrophe etwa ihre Häuser verloren haben, sondern auch für die vielen Helfer.

Kreis Euskirchen – Seit 2003 ist Dr. Dirk Arenz (59) aus Kreuzweingarten Chefarzt der Abteilung für klinische Psychiatrie und Psychotherapie des Marien-Hospitals Euskirchen. In der dortigen Trauma-Ambulanz werden Opfer in Akutsituationen für einen kurzen Zeitraum (erst-)betreut, darunter auch welche aus der Flutkatastrophe. Sarah Herpertz sprach mit ihm über die Folgen der Katastrophe für die Psyche.

Viele haben durch das verheerende Hochwasser ihr Zuhause verloren, ihre Erinnerungsstücke, ihre Haustiere oder sogar Angehörige. Wie können Betroffene so eine Ausnahmesituation verkraften?

Dr. Arenz: Für jemanden, der in den Fluten einen Angehörigen verloren hat, ist das ein Erlebnis, das derjenige sicher sein Lebtag nicht vergessen können wird. Das kann man auch nicht schönreden. Da kann man versuchen, therapeutisch etwas aufzufangen und demjenigen die Möglichkeit geben, mit der Trauer und dem Schmerz nicht ganz alleine zu sein. Aber mehr kann man da erst einmal groß nicht leisten. Dieses Trauma der Flutkatastrophe hat aber graduelle Abstufungen. Bei manchen war es ein bisschen Schlamm im Keller, andere haben einen Menschen verloren. Aber auch Menschen, die zu Hause selbst nicht vom Hochwasser überrascht wurden, können alleine durch die Bilder und Geschichten, die sie gesehen und gehört haben, sozusagen zweiten Grades ein Trauma entwickeln.

Wie kann man diesen Menschen jetzt helfen?

Es ist normal, dass bei solchen traumatischen Erlebnissen Symptome auftreten. Dazu muss der Mensch nicht psychisch krank sein. Das sind Symptome wie eine Antriebsstörung, Verzweiflung, Depression, Ängste und Panikattacken, Schlafstörungen, Alpträume, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen oder Ungeduld. Die Betroffenen fühlen sich manchmal auch emotional betäubt oder stehen neben sich. Das ist bis zu einigen Wochen ganz normal. Diese Symptome bessern sich aber in der Regel langsam. Wenn über Wochen bestehende Symptome stark präsent sind und sich auch nach Monaten nicht bessern, dann sollte man sich professionelle Hilfe suchen bei einem Psychotherapeuten. In der Regel kann man die Therapeuten direkt kontaktieren. Es kann aber sein, dass es eine Warteliste gibt und es ein paar Wochen bis zum ersten Termin dauert.

Wie sieht eine Trauma-Erstbehandlung aus?

Was eine große Rolle spielt, ist, dem Menschen erstmal vernünftig zuzuhören und nicht gleich mit irgendwelchen guten Ratschlägen zu kommen. Man muss die Betroffenen sehr ernst nehmen und versuchen, deren Leid empathisch anzunehmen und sich in sie hineinzuversetzen. Das hilft den Betroffenen schon ungemein. Manche wissen ja gar nicht, was mit ihnen passiert, wenn sie nachts eine Panikattacke erleben. Solche Attacken sind aber normale physiologische Reaktionen von Körper und Seele auf das Erlebte und kein Ausdruck einer psychischen Erkrankung. Wichtig ist auch, den Betroffenen zu sagen, dass es Zeit braucht, die traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten. Die Dinge werden sich wieder beruhigen. Ob sie sich wieder völlig normalisieren, kommt auf das Trauma an. Mit der Zeit kann man wieder eine Lebensperspektive gewinnen. Manche Menschen müssen erstmal auch lernen, Hilfe anzunehmen. Gerade Männer haben das häufiger. Die fressen das in sich rein, wollen Stärke und keine Schwäche zeigen. Da stehen sich manche selbst im Weg. Auf der anderen Seite hat der Mensch erstaunliche Selbstheilungskräfte. In der Regel wird der Mensch mit traumatischen Erlebnissen fertig. Das ist zum Teil ganz erstaunlich, aber Realität. Aber das braucht Zeit.

Dr. Dirk Arenz

Welche Selbstheilungskräfte sind das?

Die genauen physiologischen Reaktionen sind meines Erachtens noch gar nicht so erforscht. Was man weiß, ist, dass es in einer Schockphase zu einem Adrenalinausstoß kommt, bei dem auch Neurotransmitter eine Rolle spielen. Das ebbt irgendwann wieder ab und die Dinge normalisieren sich ein bisschen. Wir kennen Normalisierungskonzepte von anderen traumatischen Erlebnissen wie schweren Eisenbahnunglücken, Erdbeben, Tsunamis. Also schwer zu ertragenen Situationen, nach denen sich wieder ein Alltag einstellt. Der Mensch muss einfach in der Realität leben und da passt er sich an. Der Mensch ist das Tier mit der besten Anpassungsfähigkeit.

Hilfsangebote bei Traumata und seelischer Belastung

Wie mit seelischen Folgen der Flutkatastrophe umzugehen ist, darüber informieren Dr. Dirk Arenz und das Gesundheitsamt des Kreises in Infoveranstaltungen. Eine wird am Donnerstag, 19. August, 19.30 Uhr, im Sitzungssaal des Euskirchener Kreishauses, Jülicher Ring 32, angeboten.

Eine Übersicht über alle lokalen Hilfsangebote in den Kommunen und durch die verschiedenen Anbieter gibt es auf der Hochwasserseite des Kreises unter „Medizinische Versorgung“.

Nachsorgetreffen für traumatisierte Menschen bietet auch die Stiftung Katastrophen Nachhilfe an. Die Treffen sind sowohl für Opfer als auch für Helfer gedacht. In Gemünd findet das erste Treffen am Donnerstag, 19. August, 12 bis 16 Uhr, im Poensgen-Haus, Kölner Straße 57-61, statt. In Euskirchen ist das erste Treffen am Freitag, 20. August, 13 bis 16 Uhr, im Sitzungssaal des Gesundheitsamtes. Am Samstag, 21. August, 12 bis 16 Uhr, bietet die Stiftung ein Treffen in der Fachhochschule für Rechtspflege in Bad Münstereifel an. Voraussichtlich im Pauluskeller im Rathaus Schleiden ist ein Treffen am Sonntag, 22. August, 12 bis 16 Uhr. Anmeldung und weitere Informationen gibt es per E-Mail. (maf)

Man hat das Gefühl, als würde man in so einer Not erst einmal in eine Art „Überlebensmodus“ fallen, in dem man einfach funktioniert. Welche Erklärung gibt es dafür?

Genauso wie der Körper den Blutkreislauf bei einem starken Blutverlust zentralisieren kann und somit die wichtigsten Organe durchblutet werden, so ähnlich kann man sich das auch bei der Seele vorstellen. Die Seele fällt in eine Art reflektorischen Modus, in dem reflektorische Handlungsprogramme abgespult werden, die gar nicht mehr bewusst gesteuert sind. Wenn man die Menschen fragt, was sie denn zuerst gemacht haben, als das Wasser kam, dann erzählen sie, dass sie zuerst in den Keller gelaufen sind, um ihren Besitz zu retten. Viele haben auch versucht, ihre Autos wegzufahren. Dieser Reflex, Besitztümer zu retten, spielt leider eine ganz große Rolle. Erst später normalisiert sich dieser Modus. Dann stellt sich die Frage: „Was brauche ich wirklich?“

Wenn man dieser Katastrophe irgendetwas Positives abgewinnen kann, dann, dass sich bei vielen Menschen jetzt die Frage stellt, was sie wirklich im Leben brauchen. Das sind vor dem Besitz vor allem die sozialen Beziehungen.

Tausende Helfer sind nach der Flut auch in den Kreis Euskirchen gekommen, um größtenteils Fremde zu unterstützen. Wieso halten die Menschen in der Not so zusammen?

Dass äußere Bedrohung inneren Zusammenhalt stärkt, sehen wir überall. Das wird ja auch zum Teil politisch ausgenutzt, indem äußere Bedrohungen konstruiert werden, um in der Bevölkerung Zusammenhalt herzustellen. Das ist etwas, das die meisten Flutopfer als sehr sehr positiv erlebt haben. Ob es die Dorfgemeinschaft ist, die plötzlich funktioniert, oder die jahrzehntelangen Nachbarschaftsstreitigkeiten, die vergessen werden. Diese Solidarität ist auch bei der Traumabewältigung wichtig. Bei Erlebnissen wie zum Beispiel häuslicher Gewalt ist es ganz schlimm, dass die Opfer alleine dastehen. Sie erstarren während des Angriffs und können nicht flüchten oder angreifen. Das war bei der Flutkatastrophe in aller Regel anders. Die Opfer waren nicht alleine. Einige Betroffene haben mir aber auch erzählt, dass sie diese Hilfe als aversiv erlebt haben. Ich konnte am Anfang nicht verstehen, wieso Helfer auch beschimpft worden sein sollen. Aber wenn die Nerven völlig blank liegen, kann es für Menschen auch schwierig sein, wenn ihnen ein Fremder sagt, dass sie ihr Zuhause nicht mehr betreten dürfen oder Fremde einem die Bude ausräumen, während man hilflos daneben steht.

Welcher Aspekt der Flut belastet die Betroffenen am meisten?

Der Kontrollverlust ist ein ganz prägendes Moment. Und der Verlust an alten Sicherheiten, mit dem man in diesem Ausmaß nie gerechnet hätte. Einige Gespräche haben mich aber auch tief beeindruckt. Zu mir kamen eher ältere Männer mit ihren unterschiedlichen Schicksalen, die sich jetzt Gedanken darüber machen, was wirklich zählt.