Museum für BadekulturBarbier für Amputationen zuständig

Die Ausstellung „Ärzte, Barbiere und Bader“ ist reich bebildert, hier eine drastische Darstellung einer Beinamputation.
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Zülpich – Mag ja sein, dass im Mittelalter nicht alles so finster war, wie gemeinhin überliefert wird. Dieser Hinweis von Museumsdirektorin Dr. Iris Hofmann-Kastner relativierte sich allerdings bei näherer Betrachtung der neuen Ausstellung, die von Samstag an bis zum 2. Februar im Museum der Badekultur zu sehen ist.
„Die Menschen mussten damals tapfer sein“, meinte Dr. Martin Widmann, Kurator der Ausstellung, der als Anästhesist an der Uni Tübingen arbeitet. Er erläuterte der Presse am Donnerstag das Thema „Ärzte, Bader und Barbiere – Medizinische Versorgung zwischen Mittelalter und Moderne“. Anschließend war klar, warum die Leute im Mittelalter tapfer sein mussten. Man kann nachgerade von Glück reden, heutzutage von einem Auto angefahren zu werden. Unfälle mit Knochenbrüchen und anderen schweren Blessuren waren anno dazumal ungleich unlustiger als im Zeitalter moderner Anästhesie und Chirurgie.
Widmann: „Die schmerzstillende Wirkung von Opiaten war zwar bekannt, vor Beginn des 19. Jahrhunderts wusste man aber nichts über die Dosierung.“ Um den Patienten nicht bereits durch die Betäubung ins Jenseits zu befördern, wurde vorsichtshalber auf schmerzstillende Mittel ganz verzichtet. Der Operateur war nicht etwa ein akademisch ausgebildeter Mediziner. Die studierten Ärzte waren ausschließlich für die Heilung mit Kräutern und Medikamenten zuständig, „Aus unbekanntem Grund“, so Widmann, „ging die Medizin 800 Jahre lang getrennte Wege.“ Chirurgische Eingriffe überließen die Akademiker Wundärzten, die Handwerkern gleichgestellt waren. Sie waren fast allesamt Barbiere, die festgestellt hatten, dass allein mit Haareschneiden kein auskömmlicher Lebensunterhalt zu bestreiten war. Ohne einen blassen Schimmer von Anatomie zu haben, waren sie für Aderlässe, Amputationen und das Ausreißen von Zähnen zuständig.
Selbst Bauchoperationen führten sie durch. Obwohl das laut Widmann für den Patienten ohne – damals unbekannte – Antibiotika fast einem Todesurteil gleichkam. Aber was will man machen, wenn einem Trunkenbold nach einer Messerstecherei der Darm aus der Bauchdecke herausquillt? Widmann: „Die schritten damals zur Tat, während heutzutage ein Notarzt auf ein Unfallopfer trifft, das von Menschen umzingelt ist, die aus Furcht, etwas falsch zu machen, gar nichts unternehmen.“
Prophylaktisch ein Pfarrer
Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts sah das anders aus. Bevor der Wundarzt zum Operationsbesteck griff, wurde allerdings prophylaktisch ein Pfarrer hinzugerufen, der dem Patienten die letzte Ölung gab. Wer überlebte, durfte sich als Glückspilz fühlen. Das galt auch für die Wundärzte selbst. Sie hatten auch die Aufgabe, Pestbeulen aufzuschneiden. Die meisten Operateure wurden in jungen Jahren von der hochgradig ansteckenden Krankheit dahingerafft.
Das Schicksal eines Wundarztes, der Katharina der Großen einen Zahn ziehen sollte, ist indes unbekannt. Aber man ahnt, dass der chirurgische Eingriff für den Mann kein gutes Ende nahm. Der Zahnreißer hatte den Kopf der Zarin zwischen seinen Knien fixiert, griff zur Zange und musste der vor Schmerzen schreienden Katharina der Großen anschließend eine ernüchternde Auskunft geben: Mit dem Zahn habe er leider ein Stück Kiefer mit herausgehebelt, das Beißwerkzeug sei überdies abgebrochen und nicht komplett entfernt. Daher müsse der chirurgische Eingriff wiederholt werden.
Mit den Worten „Ihr seid ja wohl des Teufels“ soll die Zarin diese neuerliche Prozedur ohne Betäubung kategorisch abgelehnt haben. Mit Leuten, die des Teufels sind, ging man im zaristischen Russland nicht eben zimperlich um. Es dürfte die letzte Zahn-OP des Wundarztes gewesen sein.