RomanZülpicherin erzählt, wie sich ihre Eltern über eine Brieffreundschaft verliebten
Zülpich-Niederelvenich – Die Geschichte von Erich Moltke und Christel Donath begann mit einer Kontaktanzeige im Jahr 1950 in der Zeitschrift Constanze. „Wir Kinder wussten, dass unsere Eltern sich über eine Brieffreundschaft kennengelernt haben. Und auch, dass meine Mutter über die Grenze gekommen ist, um meinen Vater zu treffen“, erzählt Tochter Barabara Tegethoff: „Als Kind fand ich das immer etwas wunderlich. Wie kann man einen Menschen nur über Briefe kennenlernen und dann heiraten?“
Nachgefragt habe sie als Kind kaum. Die Geschichte ihrer Eltern ist eine Liebesgeschichte, wie sie – nun buchstäblich – im Buche steht. Eine Liebesgeschichte über die Grenzen der DDR hinweg. In insgesamt 230 Briefen und Postkarten lernten sich die beiden jungen Menschen kennen, bis sie im Winter des gleichen Jahres heirateten. Nur einmal trafen sich die damals 26-Jährige und der 28-Jährige, bevor sie sich ehelichten. Nun hat Tegethoff die Geschichte des Ehepaars Moltke in einem Buch zusammengefasst.
Niederelvenicher digitalisiert Briefe ihrer Eltern
In monatelanger Kleinstarbeit digitalisierte die Mathematikerin jedes einzelne Schreiben der Korrespondenz ihrer Eltern, verfolgte, wie die beiden sich innerhalb weniger Schriftwechsel verliebten und dann die Hürden überwanden, die sie auch räumlich trennten.
„Als ich das anfangs den Leuten erzählt habe, habe ich oft gehört: ’Das hältst du nie durch.’ Aber die Geschichte hat mich dann so gepackt, ich konnte gar nicht mehr aufhören zu lesen“, sagt die Herausgeberin. Dass sie nicht Autorin genannt werde, sei ihr wichtig: „Ich habe die Geschichte ja nicht geschrieben, das waren meine Eltern.“
„Er fragte mich: ’Stimmt es, dass Opa im Gefängnis war?’
Erst der Tod ihres Vaters und schließlich die Nachfragen der Enkelkinder hätten der 68-Jährigen den entscheidenden Anstoß gegeben. „Als mein Vater starb, mussten wir das Haus ausräumen. Da habe ich die alten Briefe gefunden. Sie haben sie alle aufbewahrt“, erinnert sich Tegethoff. Doch vorerst erhielten die Schriftstücke wenig Beachtung. „Die sind dann erstmal wieder in den Schrank gewandert.“ Denn: Viele der Schreiben sind in Sütterlin verfasst. Die Schrift konnte Tegethoff nicht lesen.
Erst die Nachfrage ihres Enkels habe sie schließlich dazu bewegt, die Briefe wieder auszupacken. „Er fragte mich: ’Stimmt es, dass Opa im Gefängnis war?’ Und ich habe ja gesagt, in Kriegsgefangenschaft in Sibirien. Aber die ganzen grausamen Details habe ich natürlich weg gelassen.“
Das Stichwort sei der Krieg gewesen, erläutert sie: „Ich wusste, dass in der Annonce, auf die mein Vater sich damals gemeldet hat, von einem ’Federkrieg’ die Rede war – also einer anregenden Brieffreundschaft. Und da wollte ich dann wissen, was genau in den Briefen gestanden hat.“ Als ersten Schritt habe sie die Briefe sortiert und sich Sütterlin beigebracht – mithilfe von Vorlagen aus dem Internet.
Kurz nachdem ihr Vater aus dem Gefangenschaft befreit worden sei, habe er den ersten Briefkontakt mit Christa Donath gesucht, die er nach kurzem Austausch als „mein Christelchen“ bezeichnete.
Annonce in Frauenzeitschrift
Doch wie kam es dazu, dass ein Kriegsheimkehrer die Annoncen in einer Frauenzeitschrift las? „Das wird bereits aus dem ersten Brief ersichtlich: Mein Vater hat beim Arzt im Wartezimmer gesessen und weil ihm langweilig war, durch eine der Frauenzeitschriften geblättert. Das war in dem Fall die Constanze. Und dort hat er diese Kontaktanzeige gefunden“, erzählt Tegethoff.
Der Text der Annonce lautete: „Mutiger Gegner für anregenden Federkrieg von lebensbejahender Endzwanzigerin gesucht. Chiffre 567“. Das weiß Tegethoff mittlerweile. Denn um den Wortlaut der Anzeige herauszufinden, bemühte sie sich um eine Original-Ausgabe der Constanze von 1950.
Dafür habe sie zahlreiche Online-Foren durchforstet und sei schließlich auf Händler gestoßen, bei denen man Original-Ausgaben von alten Zeitschriften für Geburtstage bestellen kann. Dort habe sie nach langem Suchen die richtige Ausgabe gefunden mit der Chiffre 567 – heute liegt das Heft bei den Briefen ihrer Eltern.
Als sich ihr Vater auf die Anzeige meldete, landete er jedoch nicht direkt bei Donath. „Eigentlich hat meine Mutter die Annonce gar nicht selbst aufgegeben, sondern eine Freundin von ihr. Und die hat so viele Einsendungen erhalten, dass sie die Rückmeldungen unter ihren Freundinnen verteilt hat“, erklärt Tegethoff.
Zuerst hätten sich die zukünftigen Eheleute über Alltägliches unterhalten. Doch schnell seien Neckereien, Kosenamen und fortlaufende Erzählungen aus dem Alltag der beiden entstanden.
„Die Briefe waren teils sieben, acht Seiten lang“
„Die Briefe waren teils sieben, acht Seiten lang. Das war selbst für die damalige Zeit viel. Meine Eltern unterhalten sich in den Briefen auch darüber, dass sich ihre Freunde und Bekannten über sie deswegen lustig machen“, berichtet Tegethoff: „Das Faszinierende war für mich, den beiden dabei zuzusehen, wie sie sich ineinander verlieben. Das kann man schlecht nacherzählen, aber wenn man es liest, versteht man es.“
Was für sie einen weiteren Reiz ausgemacht habe: „Ich habe nicht nur meine Eltern von einer ganz neuen Seite kennengelernt, sondern auch die damalige Zeit. Das sind Dinge, die in Nebensätzen fallen. Zum Beispiel hat meine Mutter meinen Vater oft gebeten, Lebensmittel aus dem Westen zu schicken. Oder sie meinte ’Entschuldige, dass ich erst jetzt antworte. Gestern hatten wir wieder keinen Strom’.“
„Ich habe nicht nur meine Eltern von einer ganz neuen Seite kennengelernt“
Die Tatsache, dass Donath in Leipzig lebte, brachte für die Verliebten weitere Probleme mit sich. Schnell wurde den beiden klar, dass sie sich treffen wollten. Doch Donath konnte die DDR nicht legal verlassen und Moltke befand sich in seiner Maurer-Ausbildung.
„Zu dem Zeitpunkt, als sie sich zum ersten Mal treffen wollten, war gerade Sommer. Das ist die Zeit, in der man als Maurer besonders viel zu tun hatte, deshalb gab es meist nur im Winter Urlaub. Als Lehrling hat man erst recht keinen Urlaub bekommen“, erklärt Tegethoff.
Also entschied sich ihre Mutter, schwarz über die Grenze zu reisen. „Wie genau sie das gemacht hat, kann man in den Briefen natürlich nicht lesen“, erinnert Tegethoff. Denn: Die Stasi las mit. Das sei bereits zu Beginn des Briefverkehrs deutlich geworden.
„Da waren stichprobenartig Briefe geöffnet worden, bevor sie weitergeschickt wurden. Darüber schrieben meine Eltern auch“, so die Tochter. Nur einmal habe ihre Mutter geschrieben, dass sie vorsichtig bei den Korrespondenzen sein müssten. „Da hieß es nur: ’Ich will ja keine gesiebte Luft atmen’.“ Das bedeute so viel wie: Man wolle nicht ins Gefängnis.
Das erste Treffen
Über die Reise ihrer Mutter in den Westen könne Tegethoff also nur Mutmaßungen anstellen: „Ich denke, sie wird mit Schleppern über die Grenze gekommen sein.“
Nach Gelsenkirchen sei es damals gegangen, dort besaß Donath Verwandte. Zwei Wochen verbrachte sie laut Tegethoff in Westdeutschland und besuchte Moltke in seiner Heimatstadt Recklinghausen. Mit dem ersten Treffen endet auch der erste Teil des Buchs. „Das Buch ist in drei Abschnitte eingeteilt. Der erste Abschnitt endet mit dem Urlaub meiner Mutter im Westen“, erklärt die Herausgeberin.
Nach dem ersten Aufeinandertreffen folgt der zweite Teil des Buchs. Schnell wird klar, dass Donath und Moltke sich wiedersehen wollten. Schon bald schmiedeten die beiden die ersten Hochzeitspläne, bis Moltke schließlich Weihnachten 1950 nach Leipzig reiste, um sich dort mit seinem „Christelchen“ zu verloben.
Bis in den April 1951 setzten die Verlobten ihren Schriftverkehr fort, bevor die Hochzeit in Leipzig stattfand. Erneut stießen die beiden auf die Hürden zwischen Ost und West, als es daran ging, die Heirat in der DDR zu planen. „Sie haben alles per Brief geklärt und organisiert. Ich erinnere mich noch an eine Stelle, da hat meine Mutter meinen Vater gefragt, ob er etwas Butter mitbringen möge, damit sie einen Hochzeitskuchen backen könne“, erzählt Tegethoff.
Nicht nur vor physischen Mauern fanden sich die zukünftigen Eheleute wieder. „Es gab auch einen Konflikt zwischen evangelisch und katholisch. Die Familie meines Vaters war katholisch, vor allem seine Mutter, meine Großmutter, war erst gegen die Hochzeit“, so Tegethoff: „Erst wollte sie gar nicht mitkommen. Sie hat gesagt: ’Ich gehe nicht auf eine evangelische Hochzeit!’“ Letztendlich habe die Verwandtschaft sie aber doch überzeugen können.
Durch Briefe hat Barbara Tegethoff Scherze ihrer Eltern in anderem Licht gesehen
Nachdem Christel Donath zur Moltke wurde, endete ihre Zeit in der DDR und damit auch Tegethoffs Roman. Bis zu ihrem Tod sei das Ehepaar zusammen geblieben. Erst jetzt, nachdem Tegethoff ihre Eltern in 230 Briefen neu kennengelernt hat, sieht sie viele der Neckereien und Scherze ihrer Eltern in einem anderen Licht.
„Die beiden hatten immer besonders große Freude an Schwalben, vor allem meine Mutter. Immer, wenn sie Schwalben gesehen hat, hat sie meinen Vater darauf aufmerksam gemacht und sie haben sich wissend angelächelt. Durch die Briefe weiß ich, dass das in einem Lied begründet ist, das meine Mutter zu der Zeit sehr mochte, als sie sich kennengelernt haben.“ Das Lied habe ebenfalls von Schwalben gehandelt.
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Auch zeigt Tegethoff ein kleines, handbemaltes Porzellanschälchen. „Meine Mutter hatte viele Hobbys, unter anderem hat sie eben gerne Porzellanmalerei betrieben“, erklärt sie. Wer die Briefe der Mutter nicht gelesen hat, der wird bei der folgenden Gleichung wohl stutzen: „Wir 2 = 1:567“ steht auf der Innenseite des Schälchens. Doch mit dem Wissen aus Tegethoffs Buch wird klar: „Das bedeutet eben ’Wir zwei sind eins durch 567, also die Chiffre der Anzeige“, erklärt die Herausgeberin.
Interessierte können das Buch für 19,99 Euro als E-Book oder für 35 Euro Euro als gebundenes Buch unter der ISBN 9783347682610 im Online-Buchhandel oder bei Buchhandlungen vor Ort bestellen. Erschienen ist das Werk bei Tredition.