Flut-KatastropheWie zwei Freunde mit dem „Helfer-Shuttle“ beim Wiederaufbau helfen
Herr Ulrich, wie haben Sie den 14. Juli erlebt?
Das war ein reger Arbeitstag, am Abend haben wir in unseren Räumen in Bad Neuenahr-Ahrweiler ein neues Geschäftsmodell vorgestellt, ein Konzept für ein Coworking-Space (Gemeinschaftsbüro, die Red.). Gegen 21 Uhr war die Veranstaltung zu Ende, ich habe die Tür abgeschlossen und bekam mit, dass die benachbarte Klinik evakuiert werden sollte und die ersten Feuerwehr-Durchsagen kamen: „Bringen Sie Ihre Autos in Sicherheit“. Ich habe dann noch die halbe Nacht einem Freund geholfen, sein Haus mit Sandsäcken und Folien abzudichten – im Nachhinein war das natürlich völlig sinnlos. Aber zu dem Zeitpunkt ahnte keiner, was wirklich kommt.
Das war Ihnen dann am nächsten Morgen bewusst.
In der Nacht war mir schon klar, dass es ganz schlimm sein musste. Wir wohnen oben am Hang, die Ahr ist eigentlich sehr weit weg, aber ich hörte den Fluss plötzlich ganz nah.
Was war mit Ihrem Büro in der Stadt?
Wir haben mehrere Standorte, ein Büro in Ahrweiler ist komplett abgesoffen. Aber das ist kein Vergleich zu dem, was andere verloren haben.
Wie entstand dann die Idee, ein Helfer-Shuttle zu organisieren?
Nachdem ich zwei Tage geholfen hatte, bei Familie und Freunden Schlamm weg zu schippen, habe ich mir überlegt, mich auf das zu konzentrieren, was ich kann: Organisieren, also aus zwei Händen, die helfen, 2000 machen. Ich hatte gesehen, wie viel Hilfe gebraucht wird, und dass gleichzeitig die Straßen zu verstopfen drohten, weil sich so viele Freiwillige auf den Weg machten. Die Lösung war: Parkplätze außerhalb organisieren und von dort aus Shuttle-Busse in die Gebiete schicken, in denen die Helfer gebraucht werden. Das haben mein Freund Thomas Pütz und ich dann in 24 Stunden auf die Beine gestellt. Am Sonntag nach der Flutnacht haben wir die ersten 300 Helfer in die zerstörten Orte gebracht.
Woher kamen so schnell die Busse, wie haben Sie das alles organisiert?
Das fing klein an, über Facebook haben wir die Idee verbreitet, und sofort haben sich Leute gemeldet, die Fahrzeuge zur Verfügung gestellt haben. Und der Aufruf, dass wir von hier aus Freiwillige in das Katastrophengebiet bringen, hat sich rasend schnell verbreitet. Anfangs waren hier im Gewerbegebiet Grafschaft ein paar Parkbuchten belegt, jetzt haben wir quasi jede freie Wiese für gut 1800 Autos okkupiert. Nach knapp einer Woche kamen schon mehr als tausend Menschen am Tag, die mitmachen wollten. Auch viele Firmen, die Lebensmittel, Duschen, WCs, Bürocontainer, Zelte spenden – das ist inzwischen ein richtiges Camp. Es war eine Riesen-Herausforderung, neben dem Shuttle-Betrieb dieses ganze System aufzubauen.
Sie wollten aus zwei Händen 2000 machen – wie viele sind es denn jetzt nach fast einem Monat geworden?
Mehr als 50 000.
Und alle haben irgendwo mit angepackt – woher kommen so viele freiwillige Helfer?
Aus allen Schichten der Bevölkerung, aus allen Altersgruppen, allen Berufe. Auch aus allen Regionen. Aus Mexiko, Dänemark, USA – es sind immer wieder Freiwillige dabei, die gerade auf Deutschland-Tour sind, von unserer Aktion gehört haben und sofort anreisten. Oder die extra einen weiten Weg gefahren sind. Vor ein paar Tagen stand ein Baggerfahrer hier, der aus Norwegen kam. Manche haben ihren Sommerurlaub geopfert, waren eine Woche hier, sind nach Hause gefahren – und nach zwei Tagen zurückgekommen, weil sie wussten, wie viel noch zu tun ist. Es fällt auch auf, dass sehr viele junge Menschen dabei sind, die sich hier richtig reinhängen.
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Was bewegt gerade die jungen Menschen?
Ich denke, dass sich diese Generation einen Sinn wünscht, für das, was sie tut. Und die Sache, für die sich die Jugendlichen hier einsetzen, hat nun mal eine maximale Sinn-Dimension.
Was gibt Ihnen die Kraft?
Ich bin im Ahrtal geboren und aufgewachsen, ich liebe meine Heimat. Deshalb war sofort klar, dass ich alles tue, um mich für unser Tal einzusetzen. Aber auch zu sehen, wie sich viele Menschen hier einsetzen, obwohl sie nie zuvor im Ahrtal waren, gibt mir jeden Tag Kraft.
Es müssen unglaublich belastende Eindrücke von den Einsätzen vor allem in den ersten Tagen gewesen sein. Wie können Sie die Helferinnen und Helfer auffangen?
Das versuchen wir so gut wie möglich. Wenn die Gruppen abends ins Camp zurückkommen, gibt es für alle eine warme Mahlzeit. Die Gemeinschaft danach, der Austausch über den Tag, das ist sehr wichtig. Den Satz „So krass habe ich mir das nicht vorgestellt“ habe ich, auch von gestandenen Männer, immer wieder gehört. Wir haben Seelsorger hier, die auch gebraucht werden.
Wie schaffen Sie es, in den zerstörten Orten, an den richtigen Stellen zu sein?
Am Anfang konnten wir eigentlich zu jedem Haus in jedem Ort fahren – es wurde einfach überall Hilfe gebraucht. Inzwischen ist es so, dass wir gezielt zu den Menschen fahren, die sich auf unserer Website melden und genau sagen, an welcher Adresse wie viele Helfer benötigt werden. Viele bringen auch Werkzeuge mit, die jetzt mehr und mehr gebraucht werden, um Putz von den Wänden zu schlagen oder Estrich raus zu stemmen. Wir arbeiten mittlerweile mit einer richtigen Disposition, drucken die Aufträge aus und teilen die Gruppen ein.
Und Ihr eigenes Unternehmen?
Ich habe zum Glück sehr gute Mitarbeiter, die sehen, dass der Betrieb weiterläuft. Und ich versuche, das parallel zu managen.
Wie geht es weiter mit dem Helfer-Shuttle?
Im Moment schauen wir von Woche zu Woche. Es ist immer noch so, dass sehr viel Hilfe gebraucht wird, ganze Straßenzüge sind noch nicht freigeräumt, es gibt weiterhin viele Häuser, aus denen der Schlamm getragen werden muss. Aber natürlich geht die Zahl der Freiwilligen zurück, das heißt, irgendwann müssen wir überlegen, ob das in dieser Struktur noch weiterzuführen ist.
Haben die letzten Wochen Ihrem Leben eine andere Richtung gegeben?
Ja, diese Welle der Hilfsbereitschaft macht sicher etwas mit mir. Es ist eine Achterbahn der Gefühle, die ich in dieser Intensität nicht kannte. Dieser Zusammenhalt, dieses gemeinsame Anpacken gibt einem auch ein Stück weit den Glauben an unsere Gesellschaft zurück, den man immer mal wieder in Frage gestellt hatte, wenn großer Egoismus zu spüren war. (red)