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KükenDürfen wir den Wert eines Tierlebens danach bemessen, wie nutzbringend es ist?

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Küken

Männliche Küken

  1. Wohin mit den männlichen Nutztieren, die angeblich niemandem nützen? NRW wollte das Kükenschreddern 2013 erstmals verbieten. Ohne Erfolg.
  2. An diesem Donnerstag entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über die Zukunft der männlichen Küken. Was würde ein Verbot ändern?
  3. Zwei Alternativen stehen zur Diskussion. Doch nur eine ist auch eine wirkliche Verbesserung.
  4. Und welches Schicksal erleiden andere männliche Nutztiere – wie Bullenkälber oder Eberferkel?

Köln – Das Küken ist im Ei herangewachsen, hat sich aus der Schale gekämpft, ist gesund – doch ökonomisch gesehen völlig wertlos. Als männliches Tier einer Linie von hoch spezialisierten Eierlegern ist es unbrauchbar. Es ist eines von jährlich rund 45 Millionen unerwünschten Küken in Deutschland, die noch am Schlupftag getötet werden. So ergeht es fast allen Brüdern von Legehennen – auch dann, wenn die Eier als „Bio“ verkauft werden.

Ob die Küken weiterhin nach dem Schlupf vergast oder geschreddert werden dürfen, darüber entscheidet am Donnerstag das Bundesverwaltungsgericht. Die Landesregierung NRW hatte die Praxis des Kükentötens schon 2013 verbieten wollen. Elf Brütereien haben daraufhin geklagt. In einem ersten Verfahren wurde ihnen recht gegeben. Nun soll in einem Revisionsverfahren entschieden werden, wie es weitergeht. Es geht um folgende Frage: Dürfen wir den Wert eines Tierlebens danach bemessen, wie nutzbringend es ist? „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“, steht in Paragraf 1 des Tierschutzgesetzes. Ist es ein vernünftiger Grund, ein Tier zu töten, wenn es wirtschaftlich nicht nutzbringend ist?

Das Problem liegt im System. In der Landwirtschaft gibt es im Prinzip zwei Arten von Hühnern: Die Legehybriden und die Masthybriden. Diese Hybriden sind Kreuzungen aus zwei spezialisierten Hühnerrassen. Die Legehybriden setzen kaum Fleisch an. Sie stecken ihre Energie in die Produktion vieler Eier. Weil sie so mager sind, sind die männlichen Tiere für die Landwirtschaft unbrauchbar. Masthybriden sind sehr viel größer. Sie setzen vor allem Brustfleisch an. Bei ihnen können beide Geschlechter gemästet und verkauft werden. Die Küken beider Zuchtlinien stammen aus wenigen Großbrütereien. Die meisten Eier- oder Fleischbetriebe kaufen die Hühner von dort.

Falls es künftig verboten ist, die männlichen Küken zu vergasen, gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste ist die In-Ovo-Selektion. Hiermit könnten Brütereien das Geschlecht bereits früh im Ei bestimmen und Eier mit männlichen Embryonen vernichten. Für die Brütereien und Legebetriebe wäre das im Fall eines Verbots die einfachste Lösung, auch wenn entsprechende Geräte erst angeschafft werden müssten.

Umstieg auf Bruderhähne

Die zweite Möglichkeit wäre der Umstieg auf Zweinutzungsrassen, die sowohl viele Eier legen als auch Fleisch liefern können. Bisher halten nur wenige Betriebe diese Rassen, denn im Vergleich mit den hochspezialisierten Hybriden sind sie unwirtschaftlich. Einer dieser Betriebe ist der Biohof Haus Bollheim in Zülpich. Dort leben sowohl Zweinutzungsrassen als auch herkömmliche Legehennen. Arne Mehrens, für die Hühnerhaltung zuständig, mästet die sogenannten Bruderhähne für die Schlachtung. „Es ist schwierig“, räumt er ein. „Wir verkaufen die Bruderhahn-Eier und das Fleisch teurer. Trotzdem ist das nicht kostendeckend.“ Zwischen 50 und 60 Cent kostet ein Ei der Schwestern, das Fleisch der Hähne 20 Euro pro Kilo.

Wenige Tage alte Küken stehen in einem Hähnchenmastbetrieb.

Doch während ein herkömmliches Masthähnchen nach vier Wochen schlachtreif ist, brauchen Bruderhähne 12 bis 13 Wochen. „Wir stecken also dreimal so viel Futter rein und der Stall ist auch dreimal so lange belegt“, rechnet Mehrens vor. Wirtschaftlich lohnend sind die Zweinutzungshühner also nicht. Trotzdem wird Mehrens weiter auf sie setzen – aus ethischer Überzeugung. Durchsetzen können wird sich die Bruderhahn-Haltung allerdings nur, wenn der Verbraucher bereit ist, mehr Geld auszugeben.

Robustere Tiere

Für einen Umstieg auf Zweinutzungshühner spräche nicht nur der Tierschutz, sondern auch der Klimaschutz. „Dass die Tiere weniger Leistung bringen, bietet die Chance auf gesündere, robustere Tiere“, sagt Inga Günther von der gemeinnützigen GmbH „Ökologische Tierzucht“ (ÖTZ). Die Initiative der Bio-Anbauverbände Demeter und Bioland züchtet Zweinutzungsrassen. Ziel ist, dass diese Tiere auch mit regional produzierten Futtermitteln und Abfallstoffen aus der Lebensmittelerzeugung vom Hof zurechtkommen. Das verursacht viel weniger CO2 als Spezialfutter für Hochleistungstiere. „Wirtschaftlich ist das aber nur, wenn der Landwirt höhere Preise verlangt“, weiß Günther. „Und es ist sicher nicht für jeden von heute auf morgen die praktikabelste Lösung.“

Trotzdem ist Inga Günther ebenso wie der Bioanbauverband Demeter gegen die Geschlechtsbestimmung im Ei: „Der Weg der In-Ovo-Selektion ist aus meiner Sicht Verbrauchertäuschung, weil nur so getan wird, als löse man ein Problem.“ Auch der Deutsche Tierschutzbund hat sich gegen die Geschlechtsbestimmung im Ei ausgesprochen. Favorisiert wird die Rückkehr zu Zweinutzungshühnern, den Weg dorthin hätte die Bundesregierung „längst ebnen“ müssen, heißt es in einer Stellungnahme.

Verbraucher, die bislang Eier kauften, für die keine Küken getötet wurden, konnten sich darauf verlassen, dass die Bruderhähne auch aufgezogen wurden. „In-Ovo-Selektion bedeutet dagegen, dass die Küken im Ei getötet werden“, sagt Günther. Zwar haben auch die Bruderhähne kein langes Leben. „Sie werden aber aufgezogen, dienen als Nahrung und werden nicht weggeworfen.“ Sie befürchtet außerdem, dass die In-Ovo-Selektion die Monopol-Strukturen unter den Brütereien festigen würde. „Alle Legehennen stammen von nur wenigen großen Geflügelzüchtern, die am bestehenden Haltungssystem festhalten wollen.“ Auch fast alle Biobetriebe kaufen dort. Wenn diese Geflügelzüchtereien mit Geräten für die Geschlechtsbestimmung im Ei ausgestattet werden, kleinere Betriebe aber nicht, könnte das zu weiteren Abhängigkeiten der Geflügelhalter führen.

Die Entscheidung des BVG könnte Folgen auch für die Haltung männlicher Exemplare anderer Nutztierarten wie Schweine, Rinder und Ziegen nach sich ziehen. Denn auch hier stehen die Bauern vor die Frage: Wohin mit den Nutztieren, die angeblich niemandem nützen?

Was passiert mit anderen männlichen Nutztieren?

Eberferkel

Das Fleisch des unkastrierten Ebers riecht und schmeckt manchmal streng. Außerdem geraten die männlichen Tiere in der Enge der Schweinemast aneinander. Um das zu vermeiden, haben Landwirte die männlichen Ferkel bislang kurz nach der Geburt kastriert – ohne Betäubung und unter großen Qualen der Tiere. Bis zum siebten Lebenstag war die betäubungslose Kastration erlaubt. Seit 2019 ist sie eigentlich verboten – allerdings wurde die Frist für den Übergang um zwei Jahre verlängert. Die Betäubung der Ferkel durch den Tierarzt ist für die meisten Höfe nicht praktikabel. Selbst narkotisieren dürfen die Landwirte die Tiere nicht. Eine Impfung gegen Ebergeruch und die Inhalationsbetäubung durch die Landwirte stehen als Alternativen im Raum. Möglicherweise droht den männlichen Schweinen aber auch das Schicksal der Bullen und Böcke – der Tod kurz nach der Geburt.

Bullenkälber

Eine Milchkuh muss einmal im Jahr Nachwuchs bekommen, um weiter Milch zu liefern. Das Fleisch ist wegen der Züchtung auf große Euter und einen eher ausgemergelten Körper eher unwirtschaftlich. Rechtfertigt die gewonnene Milchmenge nicht mehr das verspeiste Futter, wird die Kuh geschlachtet. Ihre naturgemäße Lebensdauer von etwa 25 Jahren erreicht sie meist nicht. Ist das Kalb weiblich, kann es bald selbst Milch geben. Aber was soll ein Milchkuhhof mit einem männlichen Kalb? Sein Fleisch kann eigentlich nur zu Hundefutter verarbeitet werden. Kleine Bullen werden deshalb bereits kurz nach der Geburt von der Mutter getrennt und getötet. Die Milch bekommt der Mensch. Auch bei den Rindern gibt es Bestrebungen, Zweinutzungsrassen zu züchten. So weit wie bei den Hühnern ist man aber noch nicht. Die Ökologische Tierzucht GmbH will in diesem Jahr mit Zuchtversuchen starten.

Böckchen

Ziegenprodukte sind im Trend. „Jeder will Ziegenmilch trinken, aber keiner schätzt das Fleisch der männlichen Lämmer“, beschreibt Inga Günther von der gemeinnützigen GmbH „Ökologische Tierzucht“ das Problem. Zumindest gilt das für Deutschland, denn deutsche Gaumen sind nicht an den mitunter strengen Geschmack und Geruch des Fleischs gewöhnt. Den hat es, weil die Böcke Duftstoffe produzieren, mit denen sie den weiblichen Tieren ihre Paarungsbereitschaft signalisieren. Männliche Ziegenlämmer werden darum häufig eingeschläfert. Einige Bio-Betriebe verkaufen sie auch zur konventionellen Mast nach Frankreich.