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Kinderpornografie-Ermittler„Die Bilder übersteigen die menschliche Vorstellungskraft”

Lesezeit 5 Minuten
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LKA-Fahnder Patric Schönenberg sichtet Dateien. 

  1. Die Feststellung des NRW-Innenministers Herbert Reul schockiert: „Kinderpornografie ist inzwischen ein Massenphänomen.“
  2. Im Kampf gegen den schweren Kindesmissbrauch stockt das Landeskriminalamt jetzt die Zahl seiner Beamten deutlich auf.
  3. Die psychische Belastung ist für die Ermittler, die sich stundenlang verdächtiges Videomaterial anschauen müssen, enorm hoch.
  4. Wie verkraften sie das? Ein Besuch bei der Spezial-Einheit in Düsseldorf.

Düsseldorf – Vor einiger Zeit traf Patric Schönenberg seinen alten Klassenlehrer aus dem Gymnasium wieder, zum ersten Mal seit 30 Jahren, im Fußballstadion. Was Schönenberg beruflich so mache, wollte der Lehrer wissen. „Ich bekämpfe den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen“, antwortete der. Und es folgte, was oft folgt, wenn der 48-jährige Kriminalhauptkommissar seinen Beruf erwähnt – eine Gesprächspause, und dann der Satz: „Also, ich könnte das nicht. Aber es ist gut, dass du das machst.“

Der Weg zu Schönenbergs Arbeitsplatz im Landeskriminalamt in Düsseldorf führt durch eine Glastür, die sich nur mit Zugangsberechtigung öffnen lässt – „Sicherheitsbereich“ steht darauf. Dezernat 43, Sachgebiet 43.2, „Zentrale Auswertungs- und Sammelstelle Kinderpornografie“.

Zwölf Ermittler arbeiten hier. Täglich sichten sie beschlagnahmte Fotos und Videos mutmaßlich pädophiler Täter, pflegen die Aufnahmen in eine Datenbank ein, bewerten, ob eine Straftat darauf erkennbar ist, und versuchen, die abgebildeten Opfer und Täter zu identifizieren.

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Die Ermittler arbeiten im Sicherheitsbereich des Landeskriminalamts.

Was die Beamten täglich auf ihren Bildschirmen sehen, „übersteigt ein Stück weit die menschliche Vorstellungskraft“, sagt Dezernatsleiter Sven Schneider. „Wir setzen natürlich auf Freiwilligkeit“, fügt er hinzu. Niemand werde gezwungen, diese Arbeit zu machen. Viele Kollegen seien intrinsisch motiviert. Es sind mehr Frauen als Männer. Oft Eltern. „Sie wollen Kinder schützen und die Täter überführen“, sagt Schneider. Das treibe sie an.

Patric Schönenberg, Vater dreier Kinder, erinnert sich an einen Fall aus Leverkusen vor drei Jahren: Ein damals 40 Jahre alter Mann soll seine neunjährige Tochter über Jahre sexuell missbraucht, die Übergriffe fotografiert und die Bilder im Internet verbreitet haben. Der erste Hinweis kam von Ermittlern aus dem Ausland, sie informierten das Bundeskriminalamt. Doch lange war unklar, wo die Fotos aufgenommen worden waren.

„Solche Momente entschädigen für vieles”

Die Polizei griff irgendwann zum vorletzten Mittel: Sie leitete eine Schulfahndung ein, schickte ausgewählte Aufnahmen an alle 15 578 Grundschulen im Bundesgebiet. Der letzte Schritt wäre eine Öffentlichkeitsfahndung gewesen. Doch nur ein paar Tage später meldete sich ein Grundschullehrer aus Leverkusen: Er kannte das Mädchen auf dem Bild, es war seine Schülerin. Polizisten fuhren zur Adresse des Kindes und nahmen den Vater fest. „Solche Momente entschädigen für vieles“, sagt Schönenberg. Das seien „Highlights“. Die Täter aus dem Verkehr ziehen und laufende Missbrauchsfälle stoppen – vor allem darum gehe es.

Ältere Studien sprechen von einem Prozent der Bevölkerung, das pädophile Neigungen habe, sagt Kriminalrat Schneider. Neue Studien nennen fünf Prozent, das wäre jeder Zwanzigste. Die medizinische Diagnose „Pädophilie“ bekäme weniger als ein Promille der Deutschen, fast ausschließlich Männer. Aber auch das wären noch 80 000 Menschen. „Es gibt auf jeden Fall einen großen Markt für Missbrauchsabbildungen“, sagt Schneider. Er sagt nicht „Kinderpornografie“. Das klingt ihm zu beschönigend. So, als würden die Kinder freiwillig mitmachen.

Die Arbeit für die Ermittler ist nicht nur psychisch belastend. Es ist auch die schiere Datenmenge, die sie überfordert. Allein 14 Terabyte Fotos und Videos hat die Polizei beim Missbrauchsfall von Lüdge sichergestellt. „Wir haben mal nachgerechnet“, sagt Hartwig Beinke, Sachgebietsleiter im Dezernat 43.2: Um ein Terabyte auszuwerten, bräuchte ein einzelner Mitarbeiter ungefähr elf Monate, wenn er jedes Bild nur eine Sekunde lang anschaute. Nimmt er sich zehn Sekunden Zeit, bräuchte er knapp zehn Jahre.

Jedes einzelne Foto muss analysiert werden

Sven Schneider schätzt, dass derzeit im LKA und in den einzelnen Polizeibehörden landesweit insgesamt 1000 bis 3000 Terabyte Material mit potenziell kinderpornografischem Inhalt vorliegen. Und jedes einzelne Foto, jede Filmsequenz muss analysiert werden – ein unvorstellbarer Aufwand.

Das hat auch die Landesregierung erkannt. Innenminister Herbert Reul (CDU) will die Zahl der Ermittler um 20 aufstocken. Weil geeignete Bewerber auch in den eigenen Reihen schwer zu finden sind, wurden die Stellen öffentlich ausgeschrieben. Die Bewerbungen werden derzeit geprüft, bald sollen die ersten Mitarbeiter eingestellt werden.

Patric Schönenberg ermittelt seit nunmehr fast sieben Jahren im Bereich Kinderpornografie. Die Arbeit habe bei ihm bisher keine negativen psychischen Spuren hinterlassen, betont er. Dazu trage bei, dass die Kollegen auf der Dienststelle sehr offen miteinander umgingen. „Jeder achtet auf den anderen. Wir reden viel miteinander, das hilft.“ Er täte sich wohl eher schwer damit, in einer Mordkommission zu arbeiten. Denn mit dem Anblick von Leichen, sagt Schönenberg, könne er nicht gut umgehen.

„Nicht acht Stunden am Tag anschauen“

Herr Schneider, Ihre Dienststelle bekommt 20 zusätzliche Mitarbeiter. Welche Fähigkeiten setzen Sie bei den neuen voraus?

Das haben wir uns vor der Stellenausschreibung auch lange überlegt. Mir fällt keine Berufsausbildung ein, die jemanden grundsätzlich für diese Aufgabe qualifiziert. Eine gewisse psychische Stabilität gehört sicher dazu, auch die Fähigkeit, sich Gesichter merken zu können.

Gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, wie solche Bilder und Filme auf die Psyche wirken?

Nein. Dazu gibt es kaum Studien. Sicher scheint mir: Niemand sollte sich acht Stunden am Tag diese Bilder anschauen. Wir müssen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die Kollegen, die diese Arbeit machen, dabei auch gesund bleiben. Psychohygiene heißt hier das große Stichwort.

Wie wollen Sie das machen?

Denkbar wäre, die Stellen in Teilzeit einzurichten, um die Arbeitsintervalle möglichst kurz zu halten. Ausreichend Pausen sind wichtig. Und der kollegiale Umgang im Team muss stimmen.

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Sven Schneider

Kriegen die Mitarbeiter auch psychologische Unterstützung?

Ja. Wir haben einen Polizeiseelsorger im Haus, der bislang einmal im Jahr eine Supervision mit den Mitarbeitern macht. Das werden wir jetzt auf zwei- bis viermal pro Jahr erhöhen. Aber auch der Vorgesetzte muss nah dran sein an seinen Mitarbeitern, er muss ein Klima des Vertrauens schaffen und frühzeitig erkennen, wenn jemand Probleme bekommt.

Zur Person

Sven Schneider leitet das Dezernat 43 „Ermittlungsunterstützung und Kinderpornografie“ im Landeskriminalamt. Eine Abteilung beschäftigt sich ausschließlich mit der Auswertung von Bildern und Filmen mit kinderpornografischem Inhalt.