KindesmissbrauchWie ein pädophiler Soldat den Weg ins Gladbacher Netzwerk fand
- Am Dienstag begann der Missbrauchs-Prozess gegen Bastian S. in Moers.
- Allein Bastian S. werden 36 Fälle teils schweren sexuellen Missbrauchs und die Produktion von Kinderpornos vorgeworfen.
- In dem Gerichtsprozess öffnet sich der Blick in eine verstörende Welt: Einen Ring aus Kinderschändern, mehr als 30 Opfer und 50 mutmaßliche Täter hat die Ermittlungskommission Berg bereits identifiziert.
Bergisch Gladbach / Moers – Mit tränenerstickter Stimme erzählt Christina S. im Zeugenstand vom Martyrium ihrer Kinder und natürlich auch von ihrem eigenen. Eineinhalb Jahre lang soll ihr Ehemann die gemeinsame Tochter und ihren Sohn missbraucht haben. Was damals, zwischen Mai 2018 und Oktober 2019, genau passiert sein soll, hatte der Angeklagte Bastian S. kurz zuvor detailliert geschildert und bei den Zuschauern Momente der Fassungslosigkeit ausgelöst. S. erzählte vom Missbrauch des Mädchens, damals gerade zwei Jahre alt, am Wickeltisch.
Davon, wie er den damals fünfjährigen Jungen angefasst und sogar versucht haben soll, ihn zu vergewaltigen. Von sexuellen Übergriffen auf dem Sofa, davon, dass die beiden Kinder sich gegenseitig anfassen sollten. Wie er die Taten mit dem Handy fotografiert, gefilmt und die Dateien weitergegeben hat. Verdacht hatte Christina S. offenbar nicht geschöpft. Ihr Mann habe stets darauf geachtet, dass sie während der Taten nicht zu Hause war.
Bilder und Videos von Misshandlungen in Chaträumen geteilt
An diesem Dienstag hat vor der Außenstelle in Moers der Prozess gegen den 27 Jahre aus Kamp-Lintfort begonnen. Das Verfahren ist Teil des Missbrauchskomplexes von Bergisch Gladbach, der längst monströse Dimensionen angenommen hat. Mehr als 30 Opfer hat die Ermittlungskommission Berg identifiziert, bundesweit sind mehr als 50 mutmaßliche Täter im Blick der Behörden, noch immer kommen neue hinzu. Als Haupttäter gilt Jörg L. aus Bergisch Gladbach, der sich demnächst vor dem Kölner Landgericht verantworten muss.
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Die mutmaßlichen Täter sollen in Chaträumen Bilder und Videos von Missbrauchshandlungen getauscht und sich privat getroffen haben, um mitunter gemeinsam die eigenen Kinder zu missbrauchen und dabei zu filmen. Allein Bastian S. werden 36 Fälle teils schweren sexuellen Missbrauchs und die Produktion von Kinderpornos vorgeworfen. Er soll sich nicht nur an der leiblichen Tochter und dem Stiefsohn vergangen haben, sondern auch an seiner zwei Jahre alten Nichte und an der dreijährigen Tochter von Jörg L.
Angeklagter gesteht fast alle Taten zu Prozessbeginn
Wie ein gestählter Soldat sieht Bastian S. nicht aus. Ein schlabbriges, blaues T-Shirt bedeckt seinen hageren Oberkörper. Er trägt Jeans und Brille. Von seinem Kinn steht ein buschiger Ziegenbart ab. Gleich zu Beginn der Verhandlung in Saal 106 räumt er die Taten weitestgehend ein. Er habe „totale Scheiße" gebaut, sagt er. Ruhig und klar trägt er vor, was er verbrochen haben soll. Schwer zu ertragen, was aus seinem Mund oft so banal klingt: ein bisschen an den Geschlechtsteilen rumgespielt, ein bisschen orale Befriedigung, onaniert und ejakuliert. S. erzählt, als gebe er den Inhalt eines Films wieder, den er nur mäßig spannend fand. „Die Art und Weise der Schilderung zeigt, dass ihm das Ausmaß und das Schwerwiegende der Übergriffe noch immer nicht bewusst ist", wird Ralf Büscher später sagen, der in der Nebenklage die leibliche Tochter von S. vertritt.
Seine pädophilen Neigungen will S. erstmals 2013 entdeckt haben. Damals habe er im Netz nach Hentai-Bildern gesucht, Pornodarstellungen im japanischen Mangastil, und sei dabei auch auf kinderpornografische Darstellungen gestoßen. Auch in den Jahren darauf sei es zunächst nur um Fotos gegangen. Die reine Ansicht aber habe ihm irgendwann nicht mehr gereicht. „Ich wollte machen, was ich auf den Bildern gesehen habe", sagt er. Mitte 2018 habe er dann angefangen, seine Tochter zu missbrauchen.
Ein virtueller Tummelplatz für Pädophile
Während einer Bundeswehrübung in Norwegen ein paar Monate später wählte er sich via Skype in einen Massenchat ein, ein virtueller Tummelplatz für Pädophile aus aller Herren Länder. In allen erdenklichen Sprachen hätten sich die Tausenden Teilnehmer unterhalten und einschlägiges Bildmaterial getauscht. Hier habe er dann auch Jörg L. kennengelernt, ebenfalls Vater einer Tochter, eine „Freundschaft" sei entstanden. Eine „Freundschaft plus" oder wie man so sagt, ergänzt er, murmelt weiter und hält dann inne, als sei ihm aufgefallen, dass der Begriff im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch verstörend wirken könnte.
„Wie schön es wäre, auch mal einen Jungen dabei zu haben", soll ihm L. einmal gesagt haben. Kurz darauf habe sich S. dann an seinem Stiefsohn vergangen und die Bilder an seinen Freund verschickt. Laut S. wollten die beiden mehr, wollten ihre Fantasien gemeinsam ausleben. Mehrfach soll es zu Treffen gekommen sein, auf denen sie sich gemeinsam und wechselseitig an ihren Kindern vergangen hätten.
Dabei sollen die beiden Männer auch miteinander sexuellen Austausch gehabt haben. Einmal hätten sich die beiden Männer mit den Mädchen sogar ein Zimmer in einer Wellnessoase gemietet, erzählt S., eine Suite mit eigenem Whirlpool und Massageliege. Missbrauch im Luxusambiente. Bastian S. ließ Jörg L. hinein in das Innerste seiner Privatsphäre. Sogar seiner Frau habe er L. vorgestellt, als Kamerad von der Bundeswehr.
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Im Juni 2019 flog S. schließlich auf. In der Sprache eines Sechsjährigen berichtete der Sohn eines Abends beim Duschen, was der Stiefvater ihm angetan hatte. Christiane S. warf ihren Mann aus dem Haus, das Jugendamt verhängte ein Kontaktverbot und zeigte ihn an. Bei der Polizei räumte er einige seiner Taten ein. Doch ein Haftgrund ergab sich nicht, S. blieb auf freiem Fuß.
Eigentlich habe er danach aufhören wollen, sagt er. Doch wieder habe sich Jörg L. bei ihm gemeldet und ihn mit Bildern wieder angefixt. Kurz darauf hätten sie ihre nächste Tat geplant: Ein Halloween-Wochenende mit den Kindern, statt der Tochter sollte diesmal die Nichte von S. dabei sein. L. bestellte Dessous in Kindergröße, S. ein Set mit Sexspielzeug. „Wir können ihnen ja Alkohol einflößen", habe L. ihm geschrieben. „Vielleicht ja Schokolikör", habe S. geantwortet – im Scherz, wie er vor Gericht beteuert. So was hätte er nie getan. Sie hätten ja einen ehernen Grundsatz gehabt. „Wir gehen nur so weit, wie die Kinder wollen."
Zu dem Treffen kam es nicht mehr. Kurze Zeit später sprengten Ermittler den Pädophilen-Ring. Jörg L. kam in U-Haft und mit ihm auch Bastian S., auf dessen Rechner 33.000 kinderpornografische Bilder und mehr als 600 entsprechende Videodateien gefunden wurden. Der Prozess ist auf vier Tage angesetzt.