Ende März ging der 1. FC Düren in die Insolenz. Der Verein liegt am Boden. Für zehn vereinslose Spieler ist es eine unerwartete Chance.
Einzigartiges SpielercastingGesucht: Eine neue Fußballmannschaft für den FC Düren

30 Bewerber bekamen die Chance, sich für einen Kaderplatz zu empfehlen.
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An der Dürener Westkampfbahn erinnert die Atmosphäre am Dienstagnachmittag an Saisonvorbereitung: Gut 200 Zuschauer sitzen auf der Tribüne, Fußballer dribbeln durch Slalomstangen und absolvieren Sprinttests, es gibt Bier und Bratwurst. Ein Detail verrät jedoch, dass die in der Sonne schwitzenden Sportler noch gar nicht unter Vertrag stehen. Die Namen auf der Rückseite der blauen und weißen Trikots sind notdürftig überklebt. Dem 1. FC Düren ist das Geld ausgegangen, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat die erste Mannschaft gekündigt. Nun versucht der Verein, für die restliche Regionalliga-Saison eine komplett neue Mannschaft zu finden - mit einer wohl noch nie dagewesenen Form des Probetrainings.
Dazu aufgerufen hatte Fußball-Influencer Bilal Kamarieh über Instagram. Gemeinsam mit Benjamin Henrichs von RB Leipzig hat er für die Hallenfußball-Liga „Icon League“ das Team „B2B United“ aufgebaut. Wie der Zufall es wollte, ist auch Dürens U23-Kapitän Philipp Simon Teil dieser Mannschaft. Er habe „Bilo“ um Hilfe gebeten, weil es in der Regel nicht so viele vertragsfreie Spieler gibt und es schwierig sei, kurzfristig an sie ran zu kommen, erklärt Simon. Kamarieh, dessen Account 180.000 Follower hat, erhielt über 1000 Bewerbungen, so der Mittelfeldspieler. 30 von ihnen wurden für das Probetraining eingeladen.
Duisburg-Trainer bezeichnet Casting als „albern“
„Fußball ist mein Leben. Wenn ich eine Chance bekommen hätte, in der Regionalliga West zu spielen, hätte ich auf jeden Fall versucht, sie zu nutzen“, bekräftigt Kamarieh, der früher unter anderem für die Zweitvertretungen von Hertha BSC und Mainz 05 auflief. Er habe dem Verein nur helfen wollen, entgegnet er der zuletzt laut gewordenen Kritik an der Aktion. Dietmar Hirsch, Cheftrainer vom Regionalliga-Ersten MSV Duisburg hatte sie vor einer Woche als „albern“ bezeichnet und sich, auch wegen drei mittlerweile laufenden Insolvenzverfahren, um den Ruf der gesamten Liga gesorgt: „Das wird wahrscheinlich irgendwann in jeder Comedy-Show zum Thema gemacht“, so der 53-Jährige verächtlich.

Die Jury (v.l.): Luca Lausberg, Philipp Simon, Bilal Kamarieh und Garrit Golombek.
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Für den Urheber der Casting-Idee, Philipp Simon, ist die Aufregung übertrieben: „Jeder nutzt in der Privatwirtschaft die Möglichkeiten von Social Media.“ Es sei außerdem auch darum gegangen, zu zeigen, „dass wir noch da und bereit sind, neue Wege zu gehen“, ergänzt Vizepräsident Karsten Schümann. Das oberste Ziel sei gewesen, kurzfristig den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten. Dass Düren auch in der kommenden Saison Regionalliga spielt, glaube er dennoch nicht. „Dazu bin ich zu sehr Realist“, sagt Schümann. „Außerdem werden wegen der Insolvenz noch neun Punkte abgezogen.“
Cheftrainer trifft alte Bekannte
Bei der Niederlage am vergangenen Samstag in Wuppertal trat die U23 an, die sich eigentlich in der Landesliga misst. „Die mussten letztes Wochenende 180 Minuten ran“, unterstreicht Luca Lausberg, jetzt Trainer der zweiten sowie ersten Mannschaft, die Belastung. Deshalb wolle der Verein zehn Fußballern die Möglichkeit bieten, sich an den verbleibenden Spieltagen zu präsentieren - und dadurch die U23 zu entlasten.
„Ich bin skeptisch“, sagt Rentner „Conny“, regelmäßiger Gast an der Westkampfbahn. „Die haben sechs Monate nicht gespielt und haben keine Zeit, sich einzugewöhnen.“ Denn eine halbjährige Spielpause ist das wichtigste Kriterium, um überhaupt am Casting teilzunehmen. Nur dann kann nach den Regeln des Westdeutschen Fußballverbandes die Spielerlaubnis ohne Wartefrist erteilt werden.
Ich brauche keinen, der hier 27 Übersteiger macht.
Darüber hinaus seien Profile angelegt und die Spieler in Positionen unterteilt worden, erläutert Trainer Lausberg. Dass da jemand durchs Raster geflogen sei, könne er dennoch nicht ausschließen. In gut zwei Stunden unter allen 30 Bewerbern die Besten zu finden, ist für Kamarieh keine Herausforderung: „Ich will nicht arrogant klingen, aber als Fußballer erkennt man sehr schnell, ob jemand ein guter Spieler ist.“ Garrit Kolombek, Trainer des Icon League-Teams „Berlin Underdogs“ und Teil des fünfköpfigen Auswahlgremiums, macht es konkreter: „Ich achte in allererster Linie auf die Athletik. Das ist das Wichtigste. Ich brauche keinen, der hier 27 Übersteiger macht.“
Der erfahrene Fußballlehrer und Juror Lausberg schaut mit einer anderen Brille auf das Probetraining: „Manchen bin ich schon mal auf den Plätzen hier in der Region über den Weg gelaufen. Bei dem einen oder anderen habe ich mir gedacht: Interessant, den gibts auch noch.“ Einer davon sei Aron Ingi Andreasson, ein groß gewachsener Innenverteidiger mit „interessantem Profil“, so Lausberg.

Aron Ingi Andreasson spielte bereits in der Regionalliga, verletzte sich jedoch schwer.
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Der Angesprochene spielte früher unter anderem für den FC Hennef 05. Er wollte Profifußballer werden, berichtet der gebürtige Isländer. Zunächst schien er auf einem guten Weg: In Thüringen spielte er für den Regionalligisten ZFC Meuselwitz, später schloss er sich dem VfB Lübeck aus der Regionalliga Nord an. Eine Schultereckgelenksprengung begrub den Traum der Profi-Laufbahn. Das Dürener Probetraining habe sich dann als unerwartete Möglichkeit entpuppt, seine Karriere vielleicht doch nochmal ans Laufen zu bringen, sagt der 24-Jährige.
Erstes Pflichtspiel vor über 2000 Zuschauern
Diese Hoffnung macht sich nicht nur der ehemalige Hennefer. Die Spieler zeigen trotz sommerlicher Temperaturen vollen Einsatz, ein Kandidat mischt sich ohne Einladung unter die Bewerber. Kamarieh hat dafür Verständnis. Nach kurzer Diskussion darf der Unbekannte bei einer Torschussübung zeigen, was er kann. Der flinke Dribbler kommt zwar an seinem Gegenspieler vorbei, aber der Abschluss gerät zu ungefährlich. Der Influencer komplimentiert ihn vom Platz. Einer anderer überzeugt die Jury hingegen so schnell, dass er noch vor dem Ende des Castings eine Zusage erhält: David Arize, früher unter anderem für die U19 von Borussia Mönchengladbach aktiv, hat das Leder eng am Fuß, umkurvt den Verteidiger mühelos und trifft schnörkellos links unten ins Tor.
„Stark!“, findet Lausberg. Sein neuer Stürmer scheint gefunden. „Bei der Bewegung, beim Blick aufs Tor, da stimmt einiges. Den kannst du auf jeden Fall in der Regionalliga reinschmeißen.“ Kurz danach gerät Andreasson in den Fokus, aber in verteidigender Rolle. „Aron, stabil bleiben, stell dir den Mann, dräng ihn weg“, fordert der Trainer vom Spielfeldrand. Stoppen kann der Innenverteidiger seinen Kontrahenten zwar nicht, aber sein routiniertes Stellungsspiel behindert den Torschuss entscheidend. „Aron gefällt mir mittlerweile auch richtig gut“, zieht Kamarieh ein Zwischenfazit.
Nach einem Abschlussspiel ist das Probetraining beendet. Die Bewerber kommen zusammen, die Juroren verkünden ihre Entscheidung. Kamarieh betont, er erwarte, dass die zehn Auserwählten für den 1. FC Düren „ackern“. „Ihr werdet eure Einsätze bekommen und ihr wisst, wie es ist: Manchmal reicht ein Spiel, wo ein Scout da ist und euch weiterempfiehlt“. Einer, der darauf hoffen kann, ist Andreasson. „Das ist geil“, freut sich der Neu-Dürener über die Zusage und den damit verbundenen Kaderplatz für das anstehende Spiel gegen den Ligaprimus. An der wohl ausverkauften Westkampfbahn werden 2500 Fans erwartet.