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Geboren in BurscheidSo wuchs Günter Wallraff in Blecher auf

Lesezeit 4 Minuten
  1. Nur wenige wissen, dass der Investigativ-Journalist Günter Wallraff in Blecher bei Altenberg aufgewachsen ist.
  2. Er kam am ersten Oktober 1942 während eines Fliegerangriffes in der Burscheider Budde-Stiftung zur Welt.

Burscheid/Odenthal – „Wie kommt eine tropische Kauri-Muschel in einen Bach, der in die Dhünn fließt?“ Diese Frage stellt sich Günter Wallraff seit Jahren. Die meisten kennen Wallraff für seine enthüllenden Reportagen über Missstände in der deutschen Gesellschaft. Doch nur wenige wissen etwas über seine Ursprünge in Blecher bei Altenberg.

Der Investigativ-Journalist kam am ersten Oktober 1942 während eines Fliegerangriffes in der Burscheider Budde-Stiftung zur Welt und verbrachte die ersten Jahre seines Lebens in Blecher bei Altenberg. Das Wissen um seine Geburt verdankt Wallraff einer Rundum-Recherche der Bild-Zeitung, die nach seiner Bild Episode als Hans Esser ein Reporterteam auf ihn ansetzte. „In deren Paranoia haben die meine Kindheit bis zur Geburt zurück verfolgt.“

Muschel am Leimbach gefunden

An seine Kindheit in Altenberg und Blecher erinnert sich der heute 73-Jährige gerne. Er verbindet magische Erinnerungen mit der Region rund um den Märchenwald.

Stundenlang spielte der kleine Wallraff in den Wäldern Indianer. Er kletterte in Steinbrüche und verbrachte viel Zeit am Leimbach. Dort fand er auch die Muschel, die er bis heute sorgsam aufbewahrt.

Wallraffs Eltern zogen nach der Zerstörung Kölns durch die Flugbomber der Alliierten aufs Land. Sie fanden Zuflucht bei Wallraffs Großmutter, die auf dem Weg zum Märchenwald einen kleinen Souvenirshop betrieb. „Man muss sich das mal vorstellen: Durch die Fliegerangriffe war Köln fast komplett zerbombt. Meine Eltern waren Kriegsflüchtlinge.“ In einem Fachwerkhaus in Blecher, auf einer kurvigen Straße lebte die Familie. Das Haus gibt es heute noch. Nach Kriegsende kehrte die Familie nach Köln zurück. Doch Wallraff verbrachte trotzdem weiterhin viel Zeit bei seiner Großmutter in Blecher. Sonntags ging die Familie immer in den Altenberger Dom, der Großmutter zuliebe. Auf dem Hang neben dem Altenberger Dom ist Wallraff als Kind immer Schlitten gefahren. Auch später als Erwachsener ließ er sich gerne bäuchlings den Hügel bis zur Straße hinunter schlittern.

Wallraffs Großeltern zogen wegen einer Lungenerkrankung des Großvaters nach Blecher. Der Kerzenfabrikant Kotthaus vermietete der Großmutter, nach dem Tod des Großvaters, die kleine Bude, auf dem Weg zum Märchenwald, mit der sie sich einen kleinen Lebensunterhalt verdienen konnte. „Meine Großmutter verkaufte Lebkuchenherzen und Souvenirs. Nach dem Krieg erweiterte sie das Sortiment und verkaufte auch Gipsmadonnen, Wanderstöcke und Cappis. Später dann auch Eis. Altenberg war schließlich ein Wallfahrtsort.“ Auch der kleine Günter arbeitete als Kind und Jugendlicher tatkräftig bei seiner Großmutter mit. „Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir abends die Souvenirs die steile Straße nach Blecher hoch schleppten.“

Mit seiner Großmutter besuchte Wallraff oft das Wanderkino Hemmelrath, das in einer Kneipe in einer Gaststätte in Blecher einmal wöchentlich amerikanische Krimis zeigte. „Meine Großmutter stammt aus der Zeit, in der das Kino erfunden wurde. Sie fieberte bei den Filmen noch richtig mit und schrie und jauchzte. Ihr fehlte einfach die Distanz zum Kino“, erinnert sich Wallraff. Dem schüchternen Einzelkind war das Benehmen der Großmutter im Kino oft peinlich.

Wanderausflug zum Eifgental

Auch heute kehrt der mittlerweile 73-Jährige regelmäßig ins Bergische Land zurück. Dann unternimmt er lange Wanderausflüge. Eine seiner Lieblingsstrecken ist der Weg von Altenberg das Eifgental hinauf, vorbei an der Markusmühle bis hin zur Rausmühle in Wermelskirchen. Die Rausmühle ist sein Lieblingslokal, dort fühlt er sich geborgen.

Kleines Krankenhaus in Burscheid

Burscheid hatte bis in die 60er-Jahre hinein ein kleines Krankenhaus – die Budde Stiftung. Das Haus an der Hauptstraße wurde abgerissen, heute steht dort die Heizungsfirma Zimmer (Hauptstraße 128). Im Jahr 1883 wurde das Krankenhaus gebaut, nachdem der Stifter Geld aus Spanien für diesen Zweck geschickt hatte. In seinem Buch „Burscheid und seine Umgebung“, schrieb Hugo Liesendahl 1907: „Ein Spanier war es, der seiner fernen Heimat gedachte, Budde aus Cadix, ein geborener Burscheider. 90 000 Mark vermachte dieser seinem Heimatörtchen zum Bau eines Armen- und Krankenhauses. Dieses ehrende Geschenk weiß auch Burscheid voll zu würdigen; das Krankenhaus ist ein Segen für die Gemeinde geworden.“

Anne Marie Frese, Vorsitzende des Bergischen Geschichtsvereins, Abteilung Burscheid, weiß, dass das Gebäude in den Jahren 1913/14 um ein Stockwerk erweitert wurde, in den 20er- oder 30er-Jahren sei ein Anbau hinzugekommen.

Aus ihrer Kindheit erinnert sich Frese noch an „Tante Lieschen“, die Hebamme, die in der Budde Stiftung beschäftigt war. Zuletzt habe die Arbeiterwohlfahrt dort ein Altenheim betrieben. (JAN)