130 Kilometer nach BurscheidSchwerkranke 21-Jährige erfüllt sich Traum mit Wanderritt
Burscheid – Sie weiß: „Es ist die letzte Chance, diesen Traum zu erfüllen.“ Knapp 130 Kilometer liegen hinter Melina Pusch und ihrem Pferd Gino. Diese Kilometer führten die 21-jährige schwerkranke junge Frau über einige Umwege von Hamm nach Burscheid. Was nach einem großen Abenteuer klingt, war für Pusch ein großer Traum, der in Erfüllung ging. Denn neben viel Mut kostete die junge Frau diese Reise auch enorme Kraft und Energie: Sie leidet an einer seltenen Form der Polyneuropathie. Direkt nach ihrer Ankunft im Bergischen sollen unter anderem ihre Hirnödeme behandelt werden.
Melina Pusch kommt ursprünglich aus dem Kreis Lippe bei Paderborn. Für ihre Ausbildung zur Pflegefachfrau zog sie vor nicht allzu langer Zeit nach Hamm, doch sie musste wegen ihrer Erkrankung pausieren. Einige Operationen und ein Umzug in die Nähe einer Spezialistin in Aachen stehen an. Als neue Heimat sei ihr Burscheid sofort ins Auge gefallen. „Die Natur war mir sehr wichtig. Außerdem habe ich einen großartigen Stall für Gino gefunden, und das war mir das Wichtigste.“ Den Umzug wollte Melina mit dem Traum Wanderritt verbinden.
Pferde als seelische Begleiter
„Ich hatte eine schwierige Kindheit, weshalb ich mich schon damals gerne in die Natur verzogen habe“, sagt Pusch. Pferde hätten ihr seelisch geholfen. Für den Wanderritt sei ihr Pferd Gino dabei der perfekte Partner und ein treuer Begleiter gewesen. „Es ist unglaublich, was er alles für mich macht.“ Vor drei Jahren habe sie den heute elfjährigen Traber-Tinker-Mix aus einem Tierschutzverein in Irland bekommen.
„Ich musste ihm alles selbst beibringen. Anfangs war er sehr ängstlich. Ich habe mich stundenlang jeden Tag auf die Weide gesetzt und mich so herangetastet“, erklärt die 21-Jährige. Mittlerweile sei er sehr unerschrocken, findet die zukünftige Burscheiderin. Sie habe Gino aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen auf ihre Bedürfnisse trainiert. „Aufgrund meiner Muskelschwäche und des Muskelschwunds habe ich ihn direkt so trainiert, als hätte ich keine Beine.“ Pusch sucht aktuell auch jemanden, der Gino in Burscheid pflegen und sich um ihn kümmern könnte – auch in ihrem Todesfall, sagt sie.
Vorbereitung, die Kraft kostet
Die Route für den Ritt habe Pusch mit der Wanderreitkarte geplant, erzählt sie. „Es gibt dazu eine Internetseite, auf der man die Karten einsehen kann. Ich habe die Strecke dann bei der Wander-App Komoot eingetragen.“ Der Start war für Anfang September vorgesehen, musste dann aber verschoben werden, weil der Transporter kaputtging. Also ging es für das Paar einige Tage später los – am 14. erreichte sie ihr Ziel.
Um vorbereitet zu sein, hatten Melina Pusch und Gino im Vorfeld viel trainiert. „Das Training hat mich sehr geschlaucht. Es war teilweise sehr anstrengend.“ Das zeigte sich auch während der Reise, zunächst zu Fuß. „Wir trafen relativ schnell auf sehr steile Hänge, die ich mit meiner Muskelschwäche nicht hochkam. Mir klappten die Beine weg, weshalb ich mich dann dazu entschied aufzusteigen.“ Hatte Pusch anfangs vorgehabt, nach Karte zu reiten, war sie bereits an Tag eins nur in ungefährer Richtung unterwegs. „Am nächsten Tag habe ich dann gemerkt, dass es tatsächlich ausreicht, die ungefähre Richtung zu kennen. Sonst fahre ich in Hamburg nicht mal einen Kilometer ohne Navi“, sagt sie und schmunzelt.
Sie hat viele Pausen gemacht, um ihre Medikamente zu nehmen, den Blutdruck zu messen – und sich auszuruhen. Die Zwischenstopps und Übernachtungsunterkünfte seien der 21-Jährigen über ihren Facebook-Aufruf angeboten worden. „Es ist schön zu sehen, wie viel Hilfsbereitschaft gezeigt wird und wie viele Menschen Gino und mir ihren Garten und ihr Gästezimmer anbieten.“ Die Unterstützung und die positiven Rückmeldungen hätten ihr Mut und Kraft gegeben, ihren Traum wahr werden zu lassen.
Melina erfüllt sich ihren Traum trotz Krankheit
Die größte Herausforderung des Ritts sei dennoch Melina Puschs Krankheit, eine seltene Form der Polyneuropathie. Ihr gesamtes autonomes Nervensystem sei von der Krankheit betroffen. „Alle Organe werden belastet, ich habe Herz-Kreislauf-Probleme, Belastungsasthmas und Darmprobleme.“ Mit 14 sei ihre Erkrankung ausgebrochen. „Davor war ich Kickboxerin und Vize-Deutsche-Weltmeisterin. Dann ist mein Blutdruck irgendwann angestiegen und Gefäße in meinem Gehirn sind geplatzt. Von den Ärzten wurde das dann erstmal auf die Psyche und Pubertät geschoben. Am Anfang hat mich keiner ernst genommen“, sagt Pusch.
Mitte Oktober steht nun Melina Puschs nächste Operation an. Deshalb war es ihr besonders wichtig, den Traum zu erfüllen. „Ich werde dauerhaft einen künstlichen Darmausgang bekommen und Teile des Dickdarms werden komplett entfernt. Nach der Operation werde ich auch erst einmal nicht – wenn überhaupt wieder jemals – laufen können“, erklärt Melina Pusch. Zudem seien vor kurzem mehrere Ödeme im Gehirn entdeckt worden. „Bei einer Operation kann alles passieren. Meine Krankheit ist eben unberechenbar.“
Pusch hat ihren Wanderritt teilweise auf Facebook und auf ihrer Instagramseite „keine_grenzen_in_sicht“ geteilt. Ein paar Menschen hätten sich schon bei ihr gemeldet. „Es freut mich so sehr, wenn ich den Leuten Mut geben kann, sich Dinge zu trauen“, sagt sie.
Melina Puschs Ziel für die Zukunft ist, einmal Psychologie studieren. „Ich möchte dazu beitragen, dass das Leben für Menschen mit schweren Erkrankungen leichter gemacht wird. Es kostet alles viel Kraft, zu Ärzten zu laufen und tausende von Anträgen zustellen“, erklärt die 21-jährige. Das Gesundheitssystem brauche Fortschritte. „Man bekommt keine Informationen und muss sich alles selbst raussuchen. Man fühlt sich mit der Krankheit auf sich allein gestellt. Gerade als junger Mensch ist es schwierig und da hoffe ich auf Veränderung.“