125 Jahre Müngstener BrückeEin Meisterwerk im Bergischen mit 934 456 Nieten
Rhein-Wupper – Wenn man zu ihr aufblickt, erfasst einen noch heute Ehrfurcht. Sie ist eine Meisterleistung der Ingenieurskunst – erst recht, wenn man bedenkt, dass sie aus einer Zeit ohne Computer und Lastwagen stammt. Es war eine Aufsehen erregende Pioniertat, 5000 Tonnen Stahl derart filigran und dennoch so massiv in einem einzigen kühnen Bogen über das Tal zu spannen, dass sie schwere Dampfloks tragen kann.
Seit 125 Jahren ist die Müngstener Brücke die höchste Eisenbahnbrücke Deutschlands. Das Jubiläum wird am kommenden Wochenende im Park an der Wupper gefeiert. Dann zischt und rattert in 107 Metern Höhe ausnahmsweise auch wieder eine Dampflok über die Gleise, die zwischen den Bahnhöfen Solingen-Schaberg und Remscheid-Güldenwerth das Tal der Wupper überspannen (siehe auch „Dampflok-Züge wie vor 125 Jahren“).
Verwandte des Eiffelturms
„Liegender Eiffelturm“ wird das von mehr als 930 000 Nieten zusammengehaltene Stahlskelett oft genannt. Unter Eisenbahnfans genießt der von 1894 bis 1897 im spektakulären freien Vorbau von beiden Ufern aus erbaute Koloss Kultstatus.
Der Leichlinger Eisenbahnhistoriker Kurt Kaiß hat dem 1897 als „Kaiser-Wilhelm-Brücke“ eingeweihten Jubilar eine erweiterte Neuauflage seines Buches „Der Brückenschlag bei Müngsten“ gewidmet und alte Ansichtskarten entdeckt, die vom Ruhm des Bauwerks erzählen. Darauf ist auch das 1895 errichtete „Schloss Küppelstein“ zu sehen, eine in den 1950er-Jahren abgebrochene Gaststätte, die zum Rummel der Schaulustigen zählte, die zum Publikumsmagneten Baustelle pilgerten: „Um die Brücke herum, sei es im Tal oder auf den Höhen, entstanden zahlreiche Ausflugslokale, die den in Scharen herbeiströmenden Brückentouristen die Möglichkeit boten, die Fortschritte des Baus hautnah zu beobachten“, schreibt Kaiß.
Noch besser in Erinnerung ist das Restaurant „Bergische Schweiz“ am Eingang des Tals – wo später bis 2005 die legendäre Rock-Disco Exit einzog. 2008 wurde das stattliche Fachwerkhaus abgebrochen. Heute erstreckt sich hier von der Kunstschmiede bis zum Minigolfplatz unter dem Brückenbogen und der mit Handkraft an Seilen gezogenen Schwebefähre über die Wupper der moderne Müngstener Brückenpark.
Schmuckstück aus Stahl
Seine hügeligen Grünflächen huldigem dem Meisterwerk der MAN-Konstrukteure ebenso wie der Cortenstahl des neuen Restaurants „Haus Müngsten“, dessen rostige Fassade das Material der frisch gestrichenen Jubiläums-Attraktion übernimmt.
Dampflok-Züge wie vor 125 Jahren
Das Jubiläumsfest zum 125. Geburtstag der Müngstener Brücke wird am Wochenende 27./28. August vom Verein „Welterbe Müngstener Brücke“ ausgerichtet, in dem die drei umliegenden Orte des Bergischen Städtedreiecks, Solingen, Remscheid und Wuppertal, kooperieren. Gefeiert wird im Müngstener Brückenpark an der Wupper. Die Anreise wird dringend mit Bus (Linie 687) und Bahn (bis Schaberg) empfohlen, weil es im Tal an der B229 nicht genügend Parkplätze für die zu erwartenden vielen Besucherinnen und Besucher geben wird.
An beiden Abenden wird die Brücke bei Einbruch der Dämmerung festlich angestrahlt und ein Fesselballon am Ufer illuminiert. Im Stahlbogen werden auch abendliche Klettertouren angeboten.
Am Samstag startet dort zwischen 9.30 und 11 Uhr die „Six-Bridges-Rallye“, eine Oldtimer-Rundfahrt zu den fünf anderen europäischen Großbogenbrücken in Frankreich, Italien und Portugal, die sich gemeinsam mit Müngsten mit ihren technisch ähnlich konstruierten Bauwerken um den Status als Unesco-Welterbe bewerben. Dabei legen die Teilnehmenden in 16 Tagen 6000 Kilometer durch neun Länder zurück.
Am Sonntag spielen das Blechbläserensemble der Bergischen Symphoniker und die Marching-Band „Em Brass“, gibt es geführte Wanderungen für Familien, eine Ausstellung des Stadtarchivs Solingen zur Brücken-Historie in der Kunstschmiede Bauer-Brandes, ein Postamt mit Sondermarke und Jubiläumsstempel und für Kinder Pantomimen, Seifenblasen-Show und Puppentheater. Die Feuerwehr Wuppertal demonstriert um 14 und 16 Uhr eine Personenrettung mit Abseilen von der Brücke in den Park.
Dampflok-Sonderfahrten mit einem Museumszug und teils über 100 Jahre alten Waggons führen an beiden Tagen um 10.56, 13.56 und 16.56 Uhr ab Solingen Hauptbahnhof über Solingen-Mitte und -Schaberg über die Müngstener Brücke bis Wuppertal und zurück. Billets im Vorverkauf sind bereits erschöpft. Tageskarten können aber auch noch im Zug erworben werden. (hgb)
Die Deutsche Bahn hat das Denkmal, das wegen Baufälligkeit 2010/11 sogar monatelang gesperrt war, jüngst für 30 Millionen Euro saniert. „Schwerpunkte der Maßnahmen, die 2012 begannen und erst 2021 ihr Ende fanden, waren die Erneuerung der Fahrbahnbrücke mit Austausch der Rollenlager, Instandsetzung und Verstärkung der Stahlbauteile, Widerlager und Fundamente sowie Korrosionsschutzarbeiten am gesamten Bauwerk“, listet Kaiß auf. Zum Schluss sei die Brücke mit etwa 3000 Tonnen Sand abgestrahlt worden und als Farbton für den letzten von vier Anstrichen „wählte man den Farbton DB 703, der dem originalen Farbton sehr nahekommt.“
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Jetzt dürfen sogar wieder schwere Dampfloks hinüber, können sich Schwindelfreie im Bogen zu Klettertouren anseilen und ist der 125 Jahre alte Kandidat fit für die seit Jahren laufende Bewerbung um die Auszeichnung als Weltkulturerbe.
Das Technikdenkmal soll unter den Schutz der Unesco gestellt werden. Weil die bergische Sehenswürdigkeit das im Alleingang nicht geschafft hat, soll der Ritterschlag im europaweiten Verbund mit fünf weiteren Großbogen-Viadukten aus dem 19. Jahrhundert in Frankreich, Portugal und Italien bald gelingen.
Mythos Müngsten
Der goldene Niet ist die berühmteste der Legenden, die sich um die Müngstener Brücke ranken: Eine der 934 456 Nieten, welche die 5000 Stahlprofile zusammenhalten, soll der Sage nach aus purem Gold sein und von einem Arbeiter beim letzten Hammerschlag eingefügt worden sein. Das Prunkstück ist freilich nie gefunden worden.
Wie beliebt dieser Mythos ist, kann man an einem Brückenpfeiler am Westufer sehen, wo Scherzbolde dem goldenen Niet mit Lackstift ein Denkmal gesetzt haben. Angeheizt wurde die Fantasie im August 2011, als im Archiv der Baufirma MAN in Augsburg der Brief eines 84-jährigen Mannes entdeckt wurde, der sich zu der einstigen Heldentat bekannte – leider war das Dokument anonym und undatiert...
Eine weitere Legende: Der Konstrukteur der Brücke, Anton von Rieppel, soll sich 1897 aus Angst, das Eisengerüst könne bei der Probefahrt unter der Last der schweren Dampflok zusammenbrechen, tags zuvor von der Brücke gestürzt haben. Tatsächlich lebte der Ingenieur aber bis 1926. (hgb)