Ernst Müller aus LeichlingenStolz, Wehmut und Erleichterung

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Leichlingen – 19 Jahre, sieben Monate, zwei Wochen und ein Tag sind vergangen, wenn Ernst Müller das Rathaus am Sonntag nach seiner Abschiedsfeier das letzte Mal als Chef verlässt. Um 0 Uhr wird der Schalter umgelegt. Ab Mitternacht ist Frank Steffes sein Nachfolger. Wie es sich anfühlen wird, am Montag danach, dem ersten Tag im Ruhestand, wenn er mit seiner Frau beim Frühstück zu Hause sitzt und sich keine Sorgen mehr um die Ratssitzung am Abend machen muss, das weiß der scheidende Bürgermeister heute auch noch nicht: „Da bin ich auch sehr neugierig“, gesteht er, während er Aktenschränke, Vitrinen und Schubladen in seinem Dienstzimmer im zweiten Stock des Rathauses ausräumt.
Leicht fällt das nicht. Immer wieder kommen ihm Briefe, Schlagzeilen, Gastgeschenke, Fotos und andere Erinnerungen entgegen, die ihn innehalten – und oft auch schmunzeln lassen. Zum Beispiel die Kaffeedose aus Tansania, bei deren Übergabe er mit afrikanischen Gästen der katholischen Kirchengemeinde plötzlich die Nationalhymne absingen musste. Nachdenklich und auch etwas wehmütig blickt er beim Einpacken auf zwei Berufs-Jahrzehnte zurück, die sein Leben prägten. Aber den Entschluss, jetzt aufzuhören, hat er nie bereut. Schon seit Wochen wirkt der 58-Jährige trotz des Kommunalwahlstresses zum Finale seiner Amtszeit entspannt und froh, dass er die große Verantwortung und Belastung als Stadtoberhaupt abgeben kann.
Es überwiege die Erleichterung, dass er sein Ziel umsetzen konnte, selbst zu entscheiden, wann er von Bord geht, ohne dazu gedrängt zu werden. In seine Gefühle, sagt er, mische sich zudem Stolz, dass unter seiner Mitwirkung seit 1994 in der Stadt eine Menge erreicht worden sei – auch wenn es ihn ärgert, dass er die Innenstadtplanung unvollendet liegen lassen musste. Und etwas Wehmut schwinge auch mit, weil er ein Team verlassen müsse, mit dem er so lange „gut und intensiv“ zusammengearbeitet habe.
Geht er wirklich ganz? Ob Ernst Müller sich beruflich oder politisch weiter betätigen wird, darüber rätseln alle seit seiner Ankündigung, nicht mehr kandidieren zu wollen. Nein, er geht tatsächlich nicht ganz, verrät er jetzt. Sein Vertrag als Geschäftsführer der Stadtwerke und der Bädergesellschaft LBB ist zunächst bis Ende Oktober verlängert worden. Für diese Tätigkeit behält er ein kleines Büro im Rathaus. Im Vorstand der Bürgerstiftung will er weiter mitarbeiten. Und der SPD zur Seite stehen, wenn dies gewünscht wird. Ratsherr wollte er zwar nicht werden, weil er nicht als „Besserwisser“ lästig werden wolle. Aber eine Mitarbeit als sachkundiger Bürger kann er sich zum Beispiel im Arbeitskreis für die von ihm geliebten Städtepartnerschaften mittlerweile vorstellen.
Vor Langeweile fürchtet er sich kein bisschen. Einen Fernseher wird er sich deshalb auch jetzt nicht anschaffen. Aber einen Oldtimer. Er grast den Markt nach einem Jaguar Mark II ab, mit dem er schon lange liebäugelt. Auch sonst gibt es viel nachzuholen, das bisher zu kurz gekommen ist. Vor allem in der Familie, zu der die Schwiegereltern in der Schweiz, zwei erwachsene Söhne und Enkel Manuel gehören. Und bei vielen Hobbys vom Fotografieren über Schach, Wandern, Kochen und Reisen bis zur Musik, der er treu bleibt. Seine Band „Take Off“ hat sich nach über 25 Jahren vor zwei Monaten aufgelöst, weil einige Mitglieder aufhören wollten. Ernst Müller hängt seine E-Gitarre aber nicht an den Nagel. Er hat schon eine neue Band gegründet. Einen Namen hat sie noch nicht, und ein Schlagzeuger wird noch gesucht. Doch vier Musiker proben bereits – immer noch rockig, aber auch „ein bisschen jazziger“, sagt Müller. Von den befreundeten Blue Suede Boys aus Marly-le-Roi ist er außerdem für den 18. Oktober zu einem Konzert eingeladen worden, zu dem er nach Frankreich fährt – mit seiner Gibson und natürlich mit seiner Frau Françoise.
Überhaupt: Reisen! Marokko und die Azoren stehen auf der Liste des Ehepaares. Im August geht es nach Norwegen zu einer Schiffspassage auf der Hurtigruten-Linie. Viele Touren wird es zur Familie in der Schweiz geben. Aber wohnen bleiben wollen die Müllers in Kradenpuhl: „Unser Lebensmittelpunkt wird immer hier sein“, versichert er. Dazu hat er sich vertraglich verpflichtet: Ernst Müller hat als Wegewart des „Bergischen Wanderlandes“ die Patenschaft über den „Bergischen Weg“ von Fähr bis Diepental übernommen und muss sich in seinem Revier ab jetzt darum kümmern, dass alle Markierungen, Schilder und Bänke, Bäume und Zäune in Ordnung sind.