Leichlingen/Leverkusen – Nur Vogelgezwitscher war zu hören, als die Bürgermeister und Oberbürgermeister von Leichlingen, Solingen, Leverkusen, Langenfeld, Wuppertal und Remscheid sich den Blumenkränzen zuwandten.
Es war andächtig still vor der Gedenkstätte am Wenzelnberg. An diesem Ort wurde vor 73 Jahren eine Gräueltat begangen. 71 Männer verloren am 13. April 1945 ihr Leben – getötet durch Genickschuss und verscharrt in einer Grube, die kurz vorher von ausländischen Zwangsarbeitern ausgehoben wurde.
Es heißt, einige von ihnen seien noch lebendig in das Loch gestoßen worden, das die Gestapo mit Laub und Ästen tarnte. Willkürlich wurden die 71 Häftlinge der Zuchthäuser Remscheid-Lüttringhausen, Wuppertal-Bendahl und Ronsdorf für die Hinrichtung ausgesucht. Einen Prozess gab es für die Widerstandskämpfer und Zwangsarbeiter nicht. Nur wenige Tage später marschierten die amerikanischen Truppen ein.
“Was damals geschah, was damals geschehen konnte, die Gräuel, die von Deutschen oder in deutschem Auftrag begangen wurden, sie erfüllen uns bis heute mit Trauer, mit Entsetzen und mit Scham“, sagte Leichlingens Bürgermeister Frank Steffes zu dem Verbrechen zum Kriegsende unmittelbar an der Stadtgrenze. Dieses Jahr oblag es der Stadt Leichlingen, die Gedenkfeier auszurichten.
„Für mich ganz persönlich wirft sich die Frage auf, wie ich mich wohl verhalten hätte, wenn ich damals gelebt hätte. Wohl keiner kann das mit Gewissheit beantworten“, sagte er, „Aber wir können Antworten finden auf die Frage, was wir heute tun können, damit sich die Schrecken der Vergangenheit nie wiederholen, damit wir in einer Gesellschaft ohne Rassismus und Ausgrenzung leben.“ Auch im heutigen Deutschland gebe es Entwicklungen, die bedenklich seien. Die Verbrechen der NSU sah Steffes als ein Beispiel dafür an, dass rechtsextremistische Gewalttaten „bagatellisiert“ werden.
Er verwies auf die kleine Anfrage der AfD im Bundestag, in der ein Zusammenhang zwischen Inzucht, Kindern mit Behinderung und Migranten hergestellt wird. „Verzeihen Sie mir den Ausdruck, da wird mir speiübel. Und dieser Ausdruck ist wirklich zu schwach.“ In diesem Zusammenhang erzählte Steffes von einem Konzert der Schülerband der Paul-Klee-Schule für Kinder und Jugendliche mit körperlichen Beeinträchtigungen. „Wer mich kennt, glaubt mir, wenn ich sage, dass mir Tränen in die Augen stiegen, als ich mir vergegenwärtigte, dass es diese Menschen vor über 70 Jahren vermutlich nicht gegeben hätte. Sie wären ermordet worden.“ Steffes weiter: „Gerade heute, hier und jetzt ist es unsere Aufgabe, gemeinsam Zeichen zu setzen, nicht still zu halten, sondern lautstark dagegen zu sprechen.“
Jugendliche wirkten mit
Als ein gutes Zeichen sah er es an, dass der Geschichts-Leistungskurs des Gymnasiums Leichlingen an der Gedenkfeier mitwirkte. Sie malten sich aus, wie die letzten Stunden im Leben der Hingerichteten wohl aussahen. Wenn die 71 Männer nicht getötet worden wären, sie hätten sich sicherlich für ein neues Deutschland eingesetzt, sagte Holger Kahle von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN. Als beschämend bezeichnete er, dass die bekannten Täter nie zur Rechenschaft gezogen worden seien.
Nach dem Straffreiheitsgesetz aus dem Jahr 1954 gibt es keinen Prozess für Taten, die in der Endphase des Kriegs begangen wurden, wenn es sich dabei um eine Pflichterfüllung oder der Ausführung eines Befehls handelte. Er verwies auf den Brandanschlag in Solingen, bei dem fünf Menschen starben. Am 29. Mai ist der 25. Jahrestag. Einzelne Demonstranten nutzten am Wenzelnberg die Gelegenheit, gegen den Auftritt des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu zu demonstrieren, der zu der Gedenkfeier eine Rede halten soll.