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Randale in LeichlingenWilde Horde flüchtete von Reuls Haus in den Wald

Lesezeit 5 Minuten

Eine Armada von Einsatzwagen mit Kräften aus drei Hundertschaften bezog am Busbahnhof Stellung.

Leichlingen – Am Morgen danach war wieder alles ruhig in der Blütenstadt. Keine Blaulichter mehr vor dem Haus von NRW-Innenminister Herbert Reul. Keine Straßensperren, keine Hubschrauber und keine aufmarschierten Polizei-Hundertschaften. Wie ein Spuk wirkte am Montagmorgen der Belagerungszustand, in dem sich Leichlingen noch wenige Stunden zuvor befunden hatte.

Wie berichtet hatten vermummte Demonstranten, über deren Identität und Ansinnen bislang wenig bekannt ist, am Sonntagnachmittag vor dem Wohnhaus von Herbert Reul lautstark randaliert und Bengalos gezündet – und damit einen Polizeieinsatz ausgelöst, wie ihn die Stadt noch nicht erlebt hat.

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Stundenlang kreisten am Sonntag Polizeihubschrauber auf der Suche nach den geflüchteten   Protestierern über Leichlingen.

Dem CDU-Politiker ist bei dem unangemeldeten Aufmarsch nichts passiert – er war gar nicht zu Hause. Niemand ist verletzt worden und es ist kein nennenswerter Sachschaden entstanden. An der weiß verputzten Fassade von Reuls Eigenheim sind keine Schmauchspuren von Brandsätze zurückgeblieben. Aber die Anschlagsgefahr mobilisierte ein Großaufgebot des Polizeiapparats, das die Bürgerschaft stundenlang in Spannung versetzte.

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Vom Tatort geflüchtet

Nachdem Anwohner die Ordnungshüter alarmiert hatten, raste der erste von vielen Einsatzwagen mit quietschenden Reifen zur Anschrift des prominentesten Leichlinger Bürgers. Die Demonstranten waren wenige Minuten zuvor vom Tatort geflüchtet. Bis zum Abend kreiste ein Hubschrauber tief über der Innenstadt, um nach den Tätern zu suchen. Am Busbahnhof sammelten sich nach und nach Dutzende Streifen- und Mannschaftswagen mit Besatzungen, die aus drei Hundertschaften zusammengezogen worden sind. In der Innenstadt patrouillierten Einsatzfahrzeuge auf den Straßen. Von den gesuchten Randalierern wurde bei der Großfahndung aber offenbar niemand mehr erwischt.

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Eine Armada von Einsatzwagen mit Kräften aus drei Hundertschaften bezog am Busbahnhof Stellung.

Die Horde der 15 bis 20 bunt gekleideten Demonstranten tauchte gegen 16 Uhr plötzlich zu Fuß laut lärmend vor der Privatwohnung des Innenministers auf. Die Polizei nennt die unangemeldete Demonstration eine „Spontanversammlung“. Vor der Haustüre des obersten Polizeichefs von NRW wäre eine solche auch nicht genehmigt worden.

Sprechchöre, Geschrei, Parolen, die durch ein Megafon gerufen wurden, und die Qualmwolken von Brandsätzen trieben Anwohner auf die Straße. Mancher dachte, es würde irgendwo brennen. Auch auf der Terrasse einer Nachbarin landete ein brennendes Wurfgeschoss.

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Die Polizei sperrte nach dem Vorfall die Straße und vernahm Augenzeugen des Geschehens.

Der Protest war so schnell vorbei, wie er gekommen war. Die wilde Truppe rannte mit hohem Tempo aus der Straße Im Dorffeld in Richtung Schulbusch. Die jungen Personen hatten ihre Gesichter mit schwarzen Sturmhauben, Masken und Kapuzenpullis verhüllt. Nachbarn gelang es noch, Fotos und Tonaufnahmen der Gruppe zu machen. Die Polizei sichtete sie und vernahm Augenzeugen, während sie die Wohnstraße mit Streifenwagen sperrte.

Die Parolen der aggressiv auftretenden Demonstranten waren ziemlich unverständlich. Auch was auf den Bannern stand, die angeblich hochgehalten wurden, ist nicht bekannt. Erste Vermutungen von Zeugen, dass die Proteste einen rechtsradikalen Hintergrund hätten, stimmen aber wohl nicht.

Bei der Sponti-Aktion handelte es sich höchstwahrscheinlich um einen Protest aus der linken Szene gegen die Verschärfung des NRW-Demonstrationsgesetzes. Die Polizei konnte diese Lesart bislang weder bestätigen noch dementieren und ermittle „grundsätzlich in alle Richtungen“, so ein Sprecher.

Die Ermittlungen zum Hintergrund des Geschehens hat der Staatsschutz des Polizeipräsidiums Köln übernommen. Das teilte die Polizei dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ am Montag auf Anfrage mit. Demnach gehen die Behörden von einer politischen Motivation der chaotischen, illegalen Versammlung aus.

Der Staatsschutz ermittle wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz und das Sprengstoffgesetz. „Im Zuge der Ermittlungen wurden auch Bilder aus einer Überwachungskamera gesichert“, sagte der Sprecher.

Karl Lauterbach bekundet seine Solidarität

SPD-Politiker Karl Lauterbach hat betroffen auf die Randale vor dem Haus des NRW-Innenministers Herbert Reul am Sonntag in Leichlingen reagiert. „Es tut mir sehr leid, dass es Herrn Reul getroffen hat“, sagte der Leverkusener Bundestagsabgeordnete dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Ich schätze ihn sehr, auch wenn wir in unterschiedlichen Parteien sind.“ Herbert Reul sei eine geradlinige Persönlichkeit, so Lauterbach: „Er hat meine volle Solidarität.“

Auch Lauterbach steht unter polizeilichem Schutz. Geht er vor die Tür, hat er immer Leibwächter an seiner Seite. Insbesondere in der Corona-Krise war Lauterbach als Experte für Gesundheitspolitik zum Feindbild von Corona-Leugnern, sogenannten Querdenken und anderen Extremisten geworden.

„Ich verstehe, wie Herbert Reul jetzt empfinden muss“, sagte Lauterbach. Dennoch stehe für ihn fest: „Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen.“ (hge)

Der überraschende Aufmarsch in Leichlingen erfüllt die Sicherheitskreise in NRW mit Sorge. „Orte für den politischen Meinungsstreit in unserem Land sind die demokratischen Institutionen und der friedliche Protest auf der Straße – keine illegalen Aktionen an privaten Wohnanschriften“, sagte ein Sprecher von Minister Herbert Reul dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Bei einer Großdemo gegen die Regierungspläne war es im Juni in Düsseldorf vor dem Landtag zu heftigen Zusammenstößen zwischen Polizei und dem Antifa-Block gekommen, in dem Pyro-Technik gezündet worden war. Im Anschluss hatten die Beamten Demonstrations-Teilnehmer stundenlang eingekesselt. Die Kritik am Vorgehen der Polizei hatte danach zu einer Sondersitzung des Innenausschusses geführt. Am 30. Oktober soll in Köln eine weitere Großkundgebung gegen das umstrittene Versammlungsgesetz stattfinden.

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Im Zuge der Fahndungen wurde am Sonntag in Leichlingen ein 31-Jähriger als Verdächtigter nahe des Demonstrationsorts vernommen. Nach Angaben der Polizei handelt es sich um „eine aus dem linken Spektrum bekannte Person“, die aber wenig später wieder entlassen wurde. Am Abend teilte die Polizei dazu mit: „Inwiefern der 31-Jährige an der Versammlung beteiligt war, konnte nicht abschließend geklärt werden. Weitere Beteiligte konnten bisher nicht ausfindig gemacht werden.“

Horde zerstreute sich

Die Horde zerstreute sich nach ihrem überfallartigen Auftritt wahrscheinlich auf getrennten Wegen. Das Waldgebiet oberhalb des Freibades Am Schulbusch ist von Einsatzkräften ohne Erfolg nach ihnen abgesucht worden. Noch am Sonntagabend kreiste ein Polizeihubschrauber über Leichlingen, verharrte mal über der Kirchstraße, mal über dem Johannisberg in der Luft, während am Boden Einsatzfahrzeuge vom Stadtpark aus in verschiedene Richtungen ausrückten. Aber den vermutlich auswärtigen Randalierern kamen sie nicht auf die Spur. Möglicherweise hätten sie sich unter Spaziergänger gemischt, hieß es.

„Angriff auf Demokratie“

Hendrik Wüst, der designierte neue Chef der NRW-CDU, zeigte sich besorgt: „Dieser Angriff auf das Haus von Reul ist ein Angriff auf uns alle, auf die Demokratie“, schrieb er in einer Twitter-Nachricht. FDP-Chef Joachim Stamp sieht das ähnlich: „Wenn Politiker schon zu Hause bedroht werden, muss der Rechtsstaat sich mit aller Klarheit wehren.“